Die ewigen Klassenbesten unter den Tennisspielern der Welt werden müde. Nur Djokovic, das „Nesthäkchen" der Big Three, will die Titelmelodie der vier Grand Slams weiter mitsingen. Junge Tonangeber und facettenreiche WTA-Spielerinnen stimmen mit ein.
Eine Ära geht zu Ende – wie in der deutschen Politik. Andere Menschen und Typen werden die Spitze formen. Bei den Damen im Tennis geben schon länger neue Stars den Ton auf der Tour an. Wobei Serena Williams – Gewinnerin von 23 Grand-Slam-Titeln – immer noch für Furore sorgt, wenn sie auf dem Platz steht. In Melbourne diesmal aber nicht, seit ihrem Erstrunden-Aus in Wimbledon war die 40-Jährige nicht mehr auf Titeljagd unterwegs: „Obwohl diese Entscheidung nie leicht zu treffen ist, bin ich nicht da, wo ich körperlich sein muss, um an Wettkämpfen teilzunehmen", teilte die US-Amerikanerin mit. Ihre Ablösung steht bereit: Zum dritten Mal in Folge findet sich zum Saisonwechsel die bescheidene Australierin Ashleigh Barty an der Spitze der Weltrangliste. Der wenig bekannte Star will bei den 110. Australian Open (17. bis 30. Januar) erstmals seit 44 Jahren den Turnier-Titel im Einzel für die Ausrichternation holen. Seit mehr als 80 Wochen an der Spitze der Welt, Wimbledon- und French-Open-Titel im Gepäck: Warum sollte die 25-Jährige, frisch verlobte Barty auch nicht in Melbourne gewinnen? Da gibt es beispielsweise Vorjahres- und 2019er-Siegerin Naomi Osaka, mittlerweile 24 Jahre, der große Chancen zugeschrieben werden. Auch Kerber, die Down Under vor sechs Jahren ihren ersten Grand-Slam-Titel holte, oder Garbiñe Muguruza und Simona Halep halten im Rennen um weitere Majors-Titel immer noch gut mit.
Starke Konkurrenz bei den Tennis-Damen
Dann wäre da noch Teenager Emma Raducanu, die als Qualifikantin in einem märchenhaften Turnierverlauf die US Open gewann. Die Britin ist die Newcomerin des Jahres 2021 und war für die Australian Open auf Platz 19 gesetzt. Doch trotz Trainerwechsel zu Torben Beltz, der Deutschlands Nummer eins Angelique Kerber trainierte, wird man in Melbourne auf die 18-Jährige verzichten müssen: „Der Zeitpunkt, um beim ersten Melbourne-Event dabei zu sein, ist für mich zu früh, nachdem ich gerade erst aus der Isolation zurückgekehrt bin", so Raducanu, die gerade erst eine Corona-Infektion überstand.
Die erst 17-jährige Cori Gauff stand vor zwei Jahren schon im Achtelfinale von Melbourne und trifft jetzt auf starke Konkurrentinnen wie Aryna Sabalenka, die als Nummer zwei der Welt mit 23 Jahren reif für einen Grand-Slam-Titel ist. Barbora Krejčíková erlebte mit 25 Jahren 2021 ihre große Saison, durch ihren Sieg bei den French Open und ihre Titelnähe bei den anderen Majors. Ähnlich lief es bei der 27-jährigen Tunesierin Ons Jabeur und der gleichalten Griechin Maria Sakkari.
Die Motivation auf der WTA-Tour ist groß, auf dem hohen Level der Weltspitze mitzuhalten: Die Positionen sind weniger fixiert als bisher bei den Herren. Mit ihrem Titelgewinn in Indian Wells bestätigte etwa die 24-jährige Paula Badosa im November, dass weiter mit kampfstarken Champions aus Spanien bei großen Turnieren zu rechnen ist. Das gilt auch, wenn Rafael Nadal bei den Männern einmal nicht mehr zurückkehrt.
Die „neuen Drei" im Herren-Tennis
Ein Ass, ein Strahlen, zum zweiten Mal Weltmeister: Beseelt von seinem Olympiasieg, spielte Alexander Zverev die Saison seines Lebens: Der 24-Jährige gewann sechs Turniere und ist einer der neuen großen Drei, von denen er zwei im Finale und Halbfinale der ATP Finals ganz cool besiegte.
Nadal war nicht da, Federer sowieso nicht. Aber Djokovic. Und Daniil Medwedew. Und der dritte im Bunde der neuen Drei: Alexander Zverev, der nach drei Jahren zum zweiten Mal die Saison als Tennis-Weltmeister beendete. Die zwei Letztgenannten werden als „Neue" der neuen großen Drei gerade ganz groß. „Erst mal in den Urlaub" und dann „eine starke Saison 2022" waren Zverevs erste Pläne, die ihm wenige Minuten nach seinem zweiten WM-Titel in den Sinn und von dort per Mikrofon zu den Fans kamen. „Ich bin so motiviert wie noch nie für die nächste Saison". Und mit Blick auf baldiges Training in der Off-Season: „Die Australian Open beginnen das Jahr. Es ist nicht lange dahin."
„Wir haben heute zwei Spieler gesehen, die in den kommenden Jahren noch viele Finale spielen könnten. Das könnte eine Rivalität wie zwischen Nadal und Federer werden. Das sind zwei super Typen", sagte Patrik Kühnen, Ex-Davis-Cup-Chef und Turnierdirektor der BMW Open, nach Zverevs Sieg über Medwedew. Der nahm seine Zweisatz-Niederlage gegen die deutsche Nummer eins ganz entspannt hin. So wie am Vortag, im Halbfinale, Novak Djokovic.
Gelassenheit ist den neuen Tonangebern nicht immer gegeben. Ein Beispiel vom Davis Cup am Jahresende. Jan-Lennard Struff brachte Deutschland mit ins Halbfinale. Vor 70.000 Zuschauern nahm der 31-Jährige seinem Gegner Medwedew fast dessen erstes Aufschlagspiel ab. Am Ende unterlag „Struffi" und konstatierte, dass ihm der Russe „keine Chancen" gegeben hätte. Trotz seines Sieges keilte Medwedew gegen das Publikum aus, nachdem er gewonnen hatte: „Die Menschen checken es nicht, mich nicht verlieren zu sehen. Sie kapieren nicht, dass ich immer gewinne." Der Ton könnte rauer werden, mit den neuen Top Drei der Weltrangliste.
Federers Rekorde sind in Gefahr
An Jägern fehlt es dem frischen Spitzentrio Zverev, Medwedew und Djokovic nicht. Einige gefährlich gute Spitzenspieler, wie Matteo Berrettini, waren bei den ATP Finals zu sehen. Andere zählen zur nächsten Generation, aus der schnell neue Rekordinhaber hervorgehen. Siehe Carlos Alcaraz, der im vergangenen Jahr zum jüngsten Australian-Open-Qualifikanten seit „Nole" wurde. In der Saison 2021 kletterte der 18-Jährige um 100 Positionen in der Weltrangliste nach oben und beendete das Jahr als Sieger der Next Gen ATP Finals. Der fokussierte Spanier, der von Zverevs Ex-Trainer Juan Carlos Ferrero gecoacht wird, hat das Potenzial, ein Großer und Tonangeber in Nachfolge von Nadal zu werden.
Einer, nach dem das größte Tennisstadion bei den Australian Open benannt ist, war auch so ein ganz Großer: Rod Laver, der alle vier Grand-Slam-Turniere in einem Kalenderjahr gewann. Das gelang bislang niemand anderem. Auch nicht Djokovic, der sich 2021 aufgemacht hatte, sogar den „Golden Slam" zu gewinnen. Der hätte den Kalender-Slam noch mit einem Olympiatitel verziert. Die direkten Rivalen waren dagegen: Alexander Zverev verdarb Djokovic mit seinem Olympiasieg dessen Ziel, Daniil Medwedew dann auch noch den Grand Slam, als der 25-jährige Russe den 34-jährigen Serben im Finale der US Open besiegte. Djokovic hat dennoch keinen Grund zu klagen: Vergangenes Jahr zog er mit den jeweils 20 Majors-Titel von Nadal und Federer mit, überrundete zudem Federers 310-Wochen-Rekord als Nummer eins in der Weltrangliste.
Dominic Thiem ist so einer, der ohne die jahrzehntelange „Big Three"-Dominanz schon lange vor 2020 einen Majors-Titel errungen hätte. Ob er sich nach einem mental und verletzungstechnisch schwierigen 2021 den teils jüngeren, neuen Tonangebern wieder anschließen kann, wird sich zeigen. Ähnlich Stefanos Tsitsipas: Lange ein selbstbewusster Gipfelstürmer, knockt ein malader Ellbogen den 23-Jährigen zum Auftakt in ein Jahr aus, in dem die Nachrücker alle Chancen haben. Zudem sieht der „griechische Gott" Sinn in anderen Lebenszielen, als alles nur einem Grand-Slam-Sieg unterzuordnen.
Ein Kulturwandel gegenüber der Ära mit Federer und Nadal steht an, mit den kommenden Tonangebern im internationalen Tennis, die auch Zwischentöne pflegen. Der Mehrkampf ist eröffnet. Siehe Medwedews Aussage bei den ATP Finals zur Frage, ob Zverev mit seinem neuen Selbstbewusstsein auch einen Grand Slam gewinnen kann: „Auf jeden Fall. Wird er es tun? Das weiß keiner, denn es liegt ja nicht nur an ihm – wir sind ja auch noch da." Und Djokovic twitterte: „Alex Zverev hatte ein toughes Jahr auf dem Platz und jenseits davon. Ich weiß, wie sehr Tennis mir hilft zu wachsen, und ich bin glücklich, dass es dieses Jahr Saschas Gewinner-Feld war. Er ist so ein großartiger Kerl."