Der Nachholbedarf an Investitionen in den Kommunen ist schon lange offenkundig. Die Pandemie hat die Situation trotz Hilfen verschärft. Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Ralph Spiegler, legt gleich ein ganzes Bündel an Forderungen vor.
Herr Spiegler, welche Verheerungen haben denn zwei Jahre Pandemie in den Kommunen angerichtet?
Allein im letzten Jahr haben die Kommunen ungeplante Kosten und Ausnahmeausfälle von über neun Milliarden Euro verkraften müssen, dazu kommt dann das Defizit aus dem ersten Corona-Jahr. Allerdings muss ich hier dazu ganz klar sagen: Der Bund hat sich bei den Corona-Belastungen absolut fair verhalten und uns in den Kommunen nach Kräften unterstützt. Allein im Bereich der Gewerbesteuerausfälle – und die waren aufgrund von geschlossenen Geschäften und Lokalen beträchtlich – hat der Bund uns mit elf Milliarden Euro unterstützt. Also Bund und auch unsere Landesregierungen haben Wort gehalten, uns nicht im Regen stehen zu lassen.
Doch die Pandemie geht weiter, auch in diesem Jahr wird es zu weiteren Gewerbesteuerausfällen kommen, denn 2G-Plus ist gerade erst bundesweit ausgeweitet worden?
Das ist richtig, aber man muss hier klar zwischen Stadt und Land unterscheiden. In den städtischen Kommunen macht die Gewerbesteuer ungefähr zwei Drittel des Steueraufkommens aus. Im ländlichen Raum ist es faktisch umgekehrt. Dort liegt das Einkommenssteueraufkommen bei zwei Drittel der kommunalen Einnahmen. Das ist einfach erklärt, in den Innenstädten haben sie viel Handel und Firmensitze, im ländlichen Raum leben aber zum großen Teil die Arbeitnehmer, die Einkommenssteuer zahlen.
Welche Forderungen erheben Sie mit Blick auf diesen Umstand?
Wir brauchen dringend einen zweiten Solidarpakt, und dieser muss dann auf zwei Ebenen wirken. Zum einen in den Städten, das ist die Gewerbesteuer, die dort auch in diesem neuen Jahr sich nicht so erholen wird, wie wir das ursprünglich angenommen haben. Aber wir brauchen dann vor allem im ländlichen Raum Hilfen für die Einkommensteuerausfälle, denn auch diese werden sich in diesem Jahr nicht so erholen, wie wir das erhofft haben.
Dazu kommt dann finanziell obendrauf der gigantische infrastrukturelle Investitionsstau, der sich jetzt nach bald zwei Jahren Pandemie weiter aufgebaut hat?
Das sind weitere Milliarden, die in den Kommunen jetzt fehlen. Denken sie an die dringend reparaturbedürftigen Brücken, denken sie an Schwimmbäder, an Sportstätten. Gar nicht zu sprechen von Schulen und Kitas, oder Jugendclubs. Das ist eine geschätzte Gesamtsumme von 150 Milliarden Euro! Die Kommunen bräuchten 150 Milliarden Euro, um diese ganzen Missstände zu beheben. Ganz klar, das bekommt man nicht innerhalb von zwei, fünf oder zehn Jahren hin, sondern das ist ein langer und steiniger Weg, den aber die Kommunen nicht allein bewältigen können, dazu brauchen wir Bundeshilfe. Vielen Eltern ist vermutlich jetzt erst richtig bewusst geworden, in welchem Zustand sich die Schulen und Kitas befinden. Das sind Toiletten, Klassenräume oder Digitalisierung. Wenn wir jetzt nicht an diese Aufgabe umgehend rangehen, werden wir morgen von Schulen sprechen, die geschlossen werden müssen. Wir werden Kitas haben, die nur noch bedingt Kinder aufnehmen können und auch die Sportler werden ihre Sportstätten nicht mehr so benutzen können, wie sie es jetzt gewohnt sind. Also hier muss sehr schnell etwas geschehen.
Wie enttäuscht sind Sie von den bisherigen Schuldengipfeln von Bund und Ländern?
Man darf ja eines nicht vergessen, in den Kommunen sind 35 Milliarden Euro an Altschulden aufgelaufen und der Bund hat sich bei den letzten Verhandlungen weitgehend kooperativ verhalten, es ist aber auch an einigen Ländern gescheitert. Ich kann verstehen, dass sich die Länder schwer damit tun, die Schulden der Anderen mitzutragen. Ich habe jetzt ganz große Hoffnungen in die neue Bundesregierung, die hat ja die Bewältigung der Altschulden in den Kommunen in den Koalitionsvertrag reingeschrieben und ich glaube; das wird eine neue Dynamik in dieser Frage auslösen. Die Kernaussage vom Städte- und Gemeindebund ist klar: Die Altschulden der Kommunen müssen weg.
Sie sprechen bei der Bewältigung von kreativen Möglichkeiten. Also eine Bad-Bank für die Altschulden der Länder?
Das kann eine Bad-Bank sein, das ist eine theoretische Frage der finanzpolitischen Struktur. Aber ich hatte den Eindruck, dass sich in der letzten Legislatur nicht nur in den Ländern Widerstand aufgetan hat in der Altschuldenfrage, sondern dass auch die letzte Bundesregierung nicht wirklich da an einem Strang gezogen hat. Darum nun meine Hoffnung auf die neue Bundesregierung, die sich, wie gesagt, die Bewältigung der Altschulden der Kommunen, in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat. Man darf ja nicht vergessen, es sind drei politisch unterschiedliche Partner mit völlig unterschiedlichen Ansichten, die gemeinsam das Problem erkannt haben und das gibt mir die Hoffnung, dass jetzt tatsächlich bei den Altschulden eine Lösung gefunden wird. Ich bin da sehr positiv gestimmt.
Resultierend aus dieser finanziellen Situation ist der personelle Engpass in den kommunalen Einrichtungen. Wie dagegen vorgehen?
Das ist richtig, wir als kommunale Arbeitgeber können bei den Gehältern mit der freien Wirtschaft natürlich nicht mithalten, gerade in Zeiten, wo die qualifizierten Arbeitskräfte immer knapper werden. Das betrifft vor allem die technischen Berufe, also IT- oder Ingenieurbereich im öffentlichen Dienst. Darum ist unsere Forderung deutlich, wir müssen darüber nachdenken, ob wir in Teilen die Tarifautonomie öffnen, also Öffnungsklauseln einbauen, um Kräften einen weiteren Anreiz zu geben, bei der öffentlichen Hand anzufangen.
Weiteres großes Vorhaben der neuen Bundesregierung ist der jährliche Bau von 400.000 neuen Wohnungen. Wie realistisch ist das?
Die 400.000 neuen Wohnungen sind dringend erforderlich. Wir haben im städtischen Bereich eine Wohnungsnot, die wir vor zehn bis 15 Jahren nicht für möglich gehalten hätten. In Anbetracht des Fachkräftemangels auf dem Bau halte ich das für sehr ambitioniert, man wird es als kommunaler Auftraggeber schwer haben, die entsprechenden Firmen zu finden, die den Bauauftrag umsetzen. Aber auch bei der Wohnungsnot muss man sehr genau hinschauen. Im städtischen Bereich gibt es diese unwidersprochen, doch auf dem Land, außerhalb der Ballungsräume gibt es Leerstand. Warum? Ganz einfach: Mobilität! Wir wollen zugunsten der Umwelt weniger mit dem eignen Auto fahren, doch, wenn ich im Ländlichen wohne, dann brauche ich ein Auto. Wir haben heute in Deutschland 120 Mittelzentren, also kleine Städte mit Kreisbindung, die haben keinen Bahnanschluss mehr. Da fährt zweimal am Tag ein Bus und das war es. Damit klarer Auftrag an die Bundesregierung: Der kommunale öffentliche Nahverkehr muss massiv ausgebaut werden, ganz abgesehen von der digitalen Infrastruktur.
Da müssen wir massiv aufholen. Wir werden die Wohnungsnot in den städtischen Ballungsräumen nur entzerren können, wenn die ländlichen Räume attraktiver zum Wohnen, Leben und Arbeiten werden. Dazu gehört wie gesagt, der öffentliche Nahverkehr und das ist untrennbar damit verbunden, dass die digitale Infrastruktur ausgebaut wird. Homeoffice macht doch nur Sinn, wenn ich auch von zu Hause aus über die entsprechende Netze verfüge, damit ich von meinem Rechner von daheim aus arbeiten kann.