Lisa Gerwing-Adima aus Alstätte arbeitet für die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe in Ostafrika. Hier hilft die Expertin für vernachlässigte tropische Krankheiten auch Frauen, die auf der Flucht Schreckliches erleben mussten.
Ihr Lebenslauf ist faszinierend. Die Labortechnikerin und Expertin für vernachlässigte tropische Krankheiten lebt seit Jahrzehnten in Afrika: Äthiopien, Togo, Ghana und Tansania sind nur einige ihrer beruflichen Stationen. In Uganda hat sie schließlich 1988 ihren Ehemann kennengelernt. Dr. William Adima ist Augenarzt im nordugandischen Arua. Bis heute steht dort auch das Familienhaus in unmittelbarer Nähe zur südsudanesischen Grenze.
Lisa Gerwing-Adimas Schreibtisch steht acht Fahrstunden entfernt im Büro der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. in der Hauptstadt Kampala. Die Mutter von zwei erwachsenen Kindern ist jedoch häufig im ganzen Land unterwegs.
Sie arbeitet für den medizinischen Sektor der katholischen Kirche in Uganda (UCMB), einer Partnerorganisation der DAHW. Ihr Chef, Dr. Sam Orachi, verantwortet alle katholischen Gesundheitsdienste im Land. „Lisa hat anfangs die Labore unterstützt. Jetzt erstrecken sich ihre Aufgaben auf viel mehr Bereiche bis hin zur Trauma-Arbeit in den Flüchtlingslagern." Die Zusammenarbeit bezeichnet Gerwing-Adima als hervorragend: „Dr. Sam ist ein wundervoller und charismatischer Vorgesetzter."
Ein Mikrokredit für Selbstständigkeit
Heute besucht sie das Flüchtlingslager Palorinya ganz in der Nähe ihrer Wahlheimat Arua. Es ist Regenzeit, und die Piste ist voller Schlaglöcher und Matsch. Der Fahrer ist geschickt und kennt die Straßensituation in der Regenzeit. Unterwegs ist Gerwing-Adima mit dem Team von Transcultural Psychosocial Organization (TPO), der Partnerorganisation der DAHW vor Ort.
Die Sozialarbeiter und Trauma-Experten besuchen regelmäßig das Lager. Heute treffen sie mit Gerwing-Adima eine südsudanesiche Frauengruppe. Ein Mikrokredit ermöglicht dieser die berufliche Selbstständigkeit. Mit einem Grundkapital von rund 180 Euro begannen die Frauen, Flüssigseife herzustellen. An vier Markttagen in der Woche bieten sie das Produkt in den umliegenden Dörfern an. Transportiert werden die Kanister auf dem Kopf und zu Fuß. Gerade in Pandemie-Zeiten ist der Gewinn von wöchentlich rund 18 Euro erfreulich. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, investieren sie ihren Profit in weitere Güter. Immer mehr Kunden werden dadurch angezogen. Ein Teil des Gewinns ist für den Eigenbedarf der Familien bestimmt: Lebensmittel, Medikamente und Schulbildung für die Kinder. Durch entsprechende Workshops und Brainstorming durch die TPO haben die Frauen diese erfolgreiche Geschäftsidee entdeckt: Nicht nur zu Covid-19-Zeiten steigt die Nachfrage nach Flüssigseife. Das Bewusstsein für Hygiene steigt generell.
„Wichtig ist eine Beschäftigung, etwas Sinnvolles danach, damit sie nicht wieder in ein Loch fallen", erklärt Jocknus Bitekere von TPO. „Wir schulen die Frauen darin, Einkommen zu erwirtschaften." Ziel ist die Unabhängigkeit von den Männern, die das Familieneinkommen zu oft in Alkohol investieren. „Frauen sind in der Regel zuverlässiger und kümmern sich vor allem besser um die Kinder."
Die Frauen haben Schreckliches erlebt. Auf ihrer Flucht waren sie Angst, Gewalt, Vergewaltigungen und Tod ausgesetzt. „Uganda hat durch seine eigene Vergangenheit gute Erfahrungen mit der Aufnahme und dem Management von Flüchtlingen. Die an der Grenze zum Südsudan entstandenen Camps sind ordentlich und organisiert", sagt Gerwing-Adima.
Santina Bassa ist Mitglied der Frauengruppe. Sie zeigt der Alstätterin ein großes Foto: „Das ist mein Schwager. Soldaten nahmen ihn mit. Er wurde gefoltert und starb im Gefängnis", berichtet sie unter Tränen. Sie und die anderen Frauen haben Vertrauen zu der Deutschen, die das Team der Partnerorganisation regelmäßig ins Lager begleitet.
„Eines Morgens überfielen Rebellen unser Dorf", erzählt Lucia Adenga. Sie nahmen die Männer mit und vergewaltigten uns. Danach wurden sie bei lebendigem Leib verbrannt. Ich hatte Glück und konnte entkommen." Solche Geschichten hört Gerwing-Adima oft, sie geben ihr Motivation genug durchzuhalten, sich weiter zu engagieren für die Geschundenen, für die Ärmsten der Armen. „Ich bin ein Workaholic", sagt die 62-Jährige über sich selbst und lächelt. Die schlanke Münsterländerin beeindruckt mit ihrer Vitalität und Energie. Pausen gönnt sie sich kaum. „Ich weiß, ich muss mehr auf meine Gesundheit achten", lacht sie achselzuckend.
Später möchte sie mal ein Café eröffnen
Ihre Tante, eine Missionsschwester, hat sie schon früh beeinflusst. Nach der Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin am Hygieneinstitut in Gelsenkirchen und dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg besuchte die junge Lisa Gerwing ihre Tante auf Java. Dort leitete die Verwandte ein Krankenhaus. „Ich durfte im Labor ein wenig mitarbeiten und war gleich Feuer und Flamme", berichtet sie von ihrem Schlüsselerlebnis.
Fast alle Frauen in Palorinya haben eine Trauma-Therapie hinter sich. Depressionen, Ängste und posttraumatische Störungen prägen ihr Leben nach der Flucht. Die kognitive Verhaltenstherapie durch das TPO-Team beinhaltet zehn Sitzungen in zehn Wochen. Hier werden die Frauen das los, was verhindert, dass sie ein normales Leben führen können. Bei 80 Prozent ist die Therapie erfolgreich.
Im Flüchtlingscamp hat jede Familie ein kleines Lehmhaus und ein Stück Garten, in dem sie Gemüse anpflanzen kann. Die Parzellen mit einer Größe von 30 x 30 Meter werden genau aufgeteilt. Jeder Haushalt bekommt die gleiche Fläche Land für das neue Leben in der Fremde.
Jocknus Bitekere und Lisa Gerwing-Adima freuen sich über den Erfolg. Insgesamt betreut TPO als Partnerorganisation der DAHW 33 Trauma-Gruppen, davon 29 Frauen- und vier Männergruppen. Dabei werden die Betroffenen nach ihren Erlebnissen gefragt und genau auf ihre Bedürfnisse untersucht. Die Tests richten sich nach den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation.
Und für später, wenn sie einmal nicht mehr arbeitet, hat Lisa Gerwing-Adima bereits einen Wunsch. Sie möchte in ihrer Wahlheimat Arua ein Café mit Buchladen und viel afrikanischer Literatur aufbauen und zu Lesungen und Gesprächen einladen. Auch das wird ihr mit Sicherheit gelingen.