Viktoria Berlin will nach der Winterpause wieder den erfrischenden Offensivfußball zeigen, mit dem der Aufsteiger zu Saisonbeginn die 3. Liga gerockt hat. Doch zum Start warten zwei hochkarätige Gegner.
Vor fünf Monaten schien es für Viktoria Berlin keine Grenzen zu geben. Der Aufsteiger war mit drei Siegen in seine Premierensaison in der 3. Liga gestartet – und das nicht nur irgendwie. Mit einem mutigen Offensivfußball hatten die Himmelblauen unter anderem die beiden Top-Clubs Eintracht Braunschweig und 1. FC Kaiserslautern mit 4:0 aus dem Stadion gefegt.
Der Club aus Lichterfelde-Tempelhof, der aus Lizenzgründen in den Jahnsportpark im Prenzlauer Berg umzog, war plötzlich das, was Jugendliche als „en vogue" bezeichnen. „Wir freuen uns über den Hype", sagte damals Sportdirektor Rocco Teichmann, „der kann auch gar nicht groß genug sein." Auf dem Höhepunkt des fulminanten Saisonstarts stemmten sich die Verantwortlichen nicht einmal gegen Fragen nach dem Durchmarsch in die Zweite Liga. „Wir würden uns nicht gegen den Aufstieg wehren", hatte Teichmann damals kokettiert. Diese Aussage hat er inzwischen selbst wieder kassiert. „Unser Ziel Aufstieg", sagte er mit einem Augenzwinkern, „können wir wohl abblasen." Natürlich hatte kein Viktoria-Verantwortlicher ernsthaft mit dem Sprung in die Zweite Liga spekuliert, doch die Auftritte in den ersten Saisonspielen hatten Träume wachsen lassen. Diese sind geplatzt, die Berliner konnten das Niveau nicht halten.
Anders die damals gedemütigten Gegner: Braunschweig belegt als Zweiter aktuell einen Aufstiegsplatz, Lautern liegt nur drei Punkte dahinter. Die Tabelle hat sich zum Ende der Hinrunde geradegerückt, sie drückt die Kräfteverhältnisse nun wieder realistischer aus. Nun warten Braunschweig (16. Januar/14.00 Uhr) und der FCK (22. Januar/14.00 Uhr) als erste Gegner nach der Winterpause, und eine Wiederholung der Hinspiel-Ergebnisse wäre eine Sensation. „Wir stecken in einer anderen Phase als noch im Sommer, Braunschweig und Lautern können mit Viktoria jetzt schon ein bisschen was anfangen", sagte Teichmann: „Es werden interessante Spiele. Auch wenn wir nicht als Favorit reingehen, sind wir mutig und wollen den Gegnern alles abverlangen."
Auftaktgegner Braunschweig war zuletzt von positiven Tests und Quarantäne-Maßnahmen gebeutelt, doch auch Viktoria kam nicht ganz coronafrei durch die Vorbereitung. „Das wäre ja auch Wahnsinn, wenn es so gewesen wäre", meinte Teichmann, „trotzdem versuchen wir, das Beste aus der Situation zu machen." Im Training erlebe er einen „hohen Fokus" und „mentale Frische" – gerade letzteres hatte im zweiten Teil der Hinrunde gefehlt. Umso wichtiger sei der überzeugende 4:1-Sieg bei Viktoria Köln gewesen, „um mit einem besseren Gefühl in die Winterpause zu gehen", so Teichmann: „Dort war diese Überzeugung, diese Energie zu sehen, die uns starkmacht."
Der Aufsteiger will in der Rückrunde wieder Viktoria-Fußball spielen: mutig, offensiv, kreativ. Und genau das ist im Training wieder zu sehen, auch bei der 0:3-Niederlage im einzigen Testspiel gegen den Zweitligisten Werder Bremen waren Ansätze davon zu erkennen. „Ich glaube, dass man sehen konnte, dass die Mannschaft eingespielt ist", sagte Trainer Benedetto Muzzicato, der seiner Mannschaft einen „ordentlichen Auftritt gegen einen ambitionierten Zweitligisten" attestierte. Noch wichtiger: Seine Spieler hätten in der Winterpause „kaum Substanz" verloren. Dafür scheint aber die Leichtigkeit zurückgekehrt. „Die Freude und der Spaß stehen im Vordergrund, um mit dieser Lockerheit wieder Spiele zu gewinnen", berichtete Teichmann: „Das war der entscheidende Punkt, warum wir zu Beginn so erfolgreich waren."
Doch blauäugig will Viktoria nicht in die Rückrunde starten, die lange Sieglosserie hat Spuren hinterlassen. „Wir wissen, dass das eine brutale Rückrunde wird, die uns alles abverlangen wird", meinte Teichmann mit Blick auf sieben Punkten Vorsprung auf den Abstiegsplatz. Und Muzzicato warnte schon mal vor einem möglichen Fehlstart. „Gerade gegen Braunschweig und Kaiserslautern kann es wieder unangenehm werden", sagte der Trainer, „dann steckt man wieder in einem Flow, den man nicht braucht." Auch Muzzicato, der in Medien schon als „Überflieger" tituliert worden war, ist nun gefragt. Während der Ergebniskrise schien der 43-Jährige zwischenzeitlich an der fehlenden Effektivität und Konstanz seines Teams fast zu verzweifeln. Der Trainer, der demnächst beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) seinen Fußballlehrerschein macht und dem höhere Ambitionen als 3. Liga nachgesagt werden, muss nun beweisen, dass er die Krise gemeistert hat. „Ich weiß, wie schnell das Business ist", sagte der frühere Assistent von Florian Kohfeldt bei Werder Bremen, wie schnell er „der Depp von Viktoria" werden könne. „Wie gehe ich damit um? Ganz entspannt. Weil ich weiß, dass es immer weitergeht", sagte er.
Weiter Vertrauen in den Taktikfuchs
Im Verein haben sie aber weiter Vertrauen in den Taktikfuchs. „Die Erkenntnis der Hinrunde ist, dass wir konkurrenzfähig sind", sagte Sportdirektor Teichmann. Viel mehr kann man als Neuling nicht erwarten. Der Club will zudem Muzzicatos Wunsch nach Verstärkungen nachkommen. „Wir führen viele Gespräche", bestätigte Teichmann, der aber erst gegen Ende des Monats mit unterschriebenen Verträgen rechnet: „Wir haben einen Kader, der sehr flexibel ist, trotzdem brauchen wir zwei, drei Verstärkungen, und die werden im Januar auch kommen." Bedarf besteht in der Offensive, die nach dem wochenlangen Ausfall von Topscorer Tolcay Cigerci stark nachgelassen hatte. Auch auf der linken Seite und im zentralen Mittelfeld soll nachgebessert werden, nachdem der Club die Verträge mit Yannis Becker, Erhan Yilmaz, Till Muschkowski und Yazid Heimur „aus persönlichen Gründen" alle aufgelöst hat. Auch die schwere Verletzung von Abwehrspieler Tobias Gunte, der noch mindestens bis März ausfallen wird, zwingt die Verantwortlichen zum Handeln. Für Gunte dürfte Christoph Menz wieder in die Verteidigung rücken, die Not im zentralen Mittelfeld wird dadurch noch größer.
Menz ist aber nicht nur wegen seiner Flexibilität eine zentrale Figur bei Viktoria, als Kapitän ist er auch ein Vorbild in Sachen Einsatz und Identität mit dem Club. Daher freuten sich alle im Verein über die Nachricht, dass der 33-Jährige seinen Vertrag bis 2023 verlängerte. „Als Führungsspieler hat er eine wichtige Funktion für den Teamgeist und den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft auf und neben dem Platz", sagte Teichmann über den gebürtigen Braunschweiger. Menz, der über 100 Spiele in der Zweiten Liga bestritten hat, will „die Geschichte mit Viktoria weiterschreiben und ein Teil davon sein".
Für Teichmann war die Vertragsverlängerung mit dem Kapitän eine „logische Konsequenz". Nicht nur die guten Leistungen, auch Verbundenheit hätte eine Rolle gespielt. „Ich kenne ihn schon ein bisschen länger und weiß, dass es sein Wunsch war, in Berlin zu bleiben", berichtete der Sportdirektor: „Und wenn man in Berlin 3. Liga spielen kann, dann setzt man sich damit auseinander." Teichmann freute sich vor allem über die „sehr unkomplizierten Vertragsgespräche", keine Seite habe versucht, irgendwie ein paar Euro mehr für sich herauszuquetschen. „Das macht mich fast noch stolzer als der Fakt, dass er unterschrieben hat", so Teichmann.