Die kanadische Provinz Nova Scotia ist für zwei Dinge bekannt: Leuchttürme und Hummer. Auf der Lighthouse Route bekommt man von dem einen viel zu sehen und vom anderen viel zu schmecken.
Mit den Armen mal hier-, mal dahin deutend, steht Brian vorn auf dem Aussichtsdeck des Harbour Hopper. Der Harbour Hopper ist ein Amphibienfahrzeug und sieht aus wie eine Mischung aus Bus und militärischem Landungsboot. Letzteres war er auch einmal – im Vietnamkrieg nämlich. Mit seiner bunten Bemalung dokumentiert er aber seine inzwischen friedlichen Absichten. Jetzt ist er mit Touristen in Halifax, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Nova Scotia, unterwegs, allerdings nach wie vor zu Land und zu Wasser. Brian ist wie viele der 430.000 Einwohner der Universitätsstadt Student und verdient sich als Fremdenführer den einen oder anderen Dollar hinzu.
Als Erstes fährt der Harbour Hopper den Berg hinauf zur alten Zitadelle. Sie wurde 1856 von den Briten erbaut, nie angegriffen und ist heute ein National Monument. An ihrem Eingang steht einer von Brians Kommilitonen in historischer Militäruniform Wache. Echte Soldaten patrouillieren hier keine, als Studentenjob ist ein Engagement als „britischer Soldat" dagegen sehr gefragt. Für die Militärausstellung in der Zitadelle haben die Gäste des Harbour Hopper keine Zeit, dafür weist sie Brian auf den Clock Tower hin, den Uhrenturm, der am Zitadellenberg steht und das Wahrzeichen der Provinzhauptstadt ist.
Vorbei an Fischerdörfern
Dann rollt das schwere Amphibienfahrzeug hinunter zum Hafen und taucht dort in den Atlantischen Ozean ein. Auf dem Wasser geht es an den Hochhäusern der Skyline vorbei. Dazwischen liegen versteckt ein paar Lagerhäuser aus dem 19. Jahrhundert. Auf die deutet Brian mit weitausholender Armbewegung. Ältere Holzhäuser wie hier, erzählt er, findet man weit und breit nicht. Heute sind in ihnen Läden und Restaurants untergebracht, und Brian empfiehlt die „Waterfront" als den perfekten Ort für einen abendlichen Kneipenbummel.
Mitten im Hafen liegt die Festungsinsel Georges Island. An ihrem Ufer steht ein großer, alter Leuchtturm, und den kann man durchaus als symbolischen Startpunkt für die Lighthouse Route sehen – eine 340 Kilometer lange Tour, die von Halifax aus an der Ostküste von Nova Scotia entlangführt. Auf gewundenen Straßen bringt sie den Reisenden, immer am Meer entlang, in Fischerdörfer mit bunten Holzhäusern und kleinen Häfen und zu Kaps, Halbinseln und Landspitzen, auf denen die namensgebenden Leuchttürme stehen. Sie führt aber auch zu Restaurants, in denen die frischesten Meeresfrüchte der Welt auf den Tisch kommen – der Hummer von Nova Scotia gilt auch in den Sternelokalen von New York und Paris als besondere und teure Delikatesse. In den Dörfern und Städtchen von Nova Scotia ist „Lobster" aber keineswegs die Speise der Reichen. Hier tischt man die Meeresbewohner mit den großen Zangen auch in der Dorfkneipe oder zu Hause zum Abendessen auf. Hummer kommt in allen Variationen daher, als Fondue, gekocht mit Pommes und Ketchup oder zum Frühstück als Omelett. Und natürlich auch als „Lobster to go" aus dem Imbisswagen auf die Hand.
Der erste Stopp auf der Lighthouse Route ist Peggy’s Cove, ein malerisches Fischerdörfchen mit dem vielleicht berühmtesten und meist fotografierten Leuchtturm des Landes. Der weiße Peggy’s Point Lighthouse mit der aufgesetzten roten Metallkanzel liegt beeindruckend auf einem wellenumtosten Granitfelsen. Er hat es schon auf mehrere kanadische Briefmarken geschafft, war auch schon Motiv für die 25-Cent- Münze. Die Filme, in denen er als Szenerie mitgewirkt hat, kann man auch an den Fingern beider Hände nicht abzählen. Eine der Hauptstraßen des kleinen Ortes trägt den passenden Namen Lobster Lane. Zum Hummerfang kam man hier eigentlich nur aus Not. Anfang des 20. Jahrhunderts nahmen nämlich die Kabeljaubestände ab. Viele Fischer wanderten ab. Die, die blieben, verlegten sich auf das Geschäft mit dem Hummer – bereut haben sie es sicher nicht.
Whale Watching ist besonders beliebt
Eine gute Fahrstunde von Peggy’s Cove entfernt kommt man nach Lunenburg. Die Altstadt der gerade einmal zweieinhalbtausend Einwohner zählenden Kleinstadt gehört seit 1995 zum Weltkulturerbe. Sie gilt als bestes Beispiel einer Kolonialsiedlung aus dem 18. und 19. Jahrhundert in Nordamerika. Mit ihren knallbunten Häusern, mit den teilweise sehr verspielten Dachgiebeln und Türmchen sieht Lunenburg so aus, als würde sich hier Pippi Langstrumpf besonders wohl fühlen. Villa Kunterbunt lässt grüßen. Die Farben hatten aber ursprünglich durchaus ihren Sinn, bunt gestrichen konnten die Fischer die Häuser vom Wasser aus besser erkennen. Fischer und Schiffsbauern sorgten dafür, dass Lunenburg im 19. Jahrhundert zu einer der reichsten Städte des britischen Königreichs wurde. Die Wichtigkeit der Fischerei dokumentierte sogar die Kirche – die Wetterfahne auf der Turmspitze der St.-Andrews-Kirche ziert ein Kabeljau.
So konnte sich der Ort, in dem kaum jemand lebte, sogar ein eigenes Opernhaus leisten. Der wirtschaftliche Werdegang der Stadt spiegelt sich ein wenig im Schicksal der Oper wider – erst wurde sie zum Kino umgewandelt, dann, in den 1970er-Jahren, verfiel das Gebäude allmählich und stand später leer. 2006 aber wurde es renoviert und ist heute wieder der Stolz der Lunenburger.
Heute leben die rund 2.300 Einwohner nicht schlecht vom Tourismus. Unten am Wasser liegt eine der Hauptsehenswürdigkeiten des Ortes, das Museum der Atlantikfischerei. Drinnen gibt’s Infos über die Geschichte des Fischfangs und draußen warten zwei historische Schiffe darauf erforscht zu werden. Gäste, die zwischen Mai und Oktober in der Stadt sind, wird es vermutlich aber selbst hinaus aufs Meer ziehen. Dann ist nämlich Walsaison und Whale watching die Nummer-eins-Aktivität.
Ihren Namen erhielt die 1753 gegründete Stadt, weil sich hier vor allem deutsche Auswanderer niederließen. Die kamen allerdings, anders als der Name es nahelegt, nicht aus der Nähe von Lüneburg, sondern aus der Pfalz und Württemberg. Lunenburg wurde die Stadt genannt, weil der damalige englische König zugleich auch Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg war.
Die Lighthouse Route führt weiter an vielen Leuchttürmen vorbei nach Shelburne, einer Stadt, die aussieht, als wäre sie einem Historienfilm entsprungen und zum Cape Sable an der Südspitze Nova Scotias. Natürlich steht auch an diesem Kap ein Leuchtturm, sogar der höchste der ganzen Provinz. Allerdings musste es erst ein großes Schiffsunglück geben, bevor er endlich gebaut wurde. Schon lange hatte man in den 1850er-Jahren über den Bau eines Leuchtfeuers am Cape Sable gestritten. Weil die Politiker in Nova Scotia damals verlangten, dass sich auch die Nachbarprovinz New Brunswick an den Baukosten beteiligen sollte – die dazu aber nicht bereit war – geschah lange Zeit nichts. In einer stürmischen Februarnacht im Jahr 1860 kam es dann zur Katastrophe. Das Passagierschiff „SS Hungarian", das auf dem Weg von Liverpool nach Portland war, lief vor Cape Sable auf Grund und kenterte. Obwohl das Unglück in Sichtweite des Landes stattfand, überlebte kein einziger der 205 Menschen an Bord. Jetzt gab es keine Ausreden mehr, der Bauauftrag für den Turmbau wurde umgehend erteilt. Schon ein Jahr später strahlte das Leuchtfeuer von Cape Sable weit in den Atlantik hinaus und wies den Schiffen den Weg an den Untiefen vorbei. Wer heute zum Leuchtturm von Cape Sable will, muss den letzten Teil der Strecke mit dem Boot zurücklegen. Von Clark’s Harbour geht es in zehn Minuten zur Cape Sable Island, zu Nova Scotias südlichstem Leuchtturm, hinaus.
Die Lighthouse Route endet schließlich in Yarmouth und dem vor den Toren der Stadt gelegenen Cape Forchu Lighthouse. Als die Provinzverwaltung den alten Holzleuchtturm Anfang der 1960er-Jahre abreißen und durch einen Neubau ersetzen wollte, verlangten die Einwohner von Yarmouth, dass der neue dem alten Leuchtturm ähneln müsse. Und der lokale Parlamentsabgeordnete versicherte: „Die wunderbare Hafenansicht wird sich nicht verändern." Außer dem rot-weißen Anstrich haben der neue und der alte Leuchtturm zwar nur wenig gemein, aber inzwischen sind alle zufrieden. „Der Neue" sieht nämlich auch ziemlich schick aus und bietet einen besonderen Bonus: Es ist der einzige aktive Leuchtturm in Nova Scotia, bei dem die Besucher zum Laternengehäuse gehen und einen Panoramablick über den Atlantik genießen können. Und unten im Leuchtturmrestaurant „The Keepers Kitchen" gibt es dann zum stilvollen Abschluss der Reise auf der Lighthouse Route eine Riesenportion Hummer.