Ob es zu einer Neuauflage des Duells zwischen Rechtsaußen Marine Le Pen und dem liberalen Zentristen Macron kommen wird? In diesem Jahr treten in vielerlei Hinsicht herausragende Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl an.
Am 10. und 24. April sind die Franzosen aufgerufen, ihren Präsidenten für die nächsten fünf Jahre zu wählen. Mit großem Interesse dürften die Deutschen den französischen Wahlkampf verfolgen, schließlich ist Frankreich in fast allen Belangen der wichtigste Partner und Verbündete Deutschlands. Vom Wahlausgang hängt auch die Weiterentwicklung Europas ab.
Der Amtsinhaber
Emmanuel Macron, La République en Marche, LREM
„Von Marschierern zu Bürgern" – war es 2017 die Bewegung En Marche, die Emmanuel Macron an die Macht spülte, soll es 2022 das Bündnis Ensemble Citoyens richten. Zusammengeschlossen ist darin die politische Mitte mit der Präsidentenpartei La République en Marche (LREM), der Zentrumspartei MoDem mit Parteichef François Bayrou sowie die im Oktober neu gegründete Partei Horizons um den allseits beliebten Ex-Premierminister Edouard Philippe.
Der aus Amiens in Nordfrankreich stammende Macron studierte Philosophie und Politik, besuchte die elitäre Verwaltungshochschule ENA. Vor seiner politischen Karriere – Macron war Wirtschaftsminister im Kabinett Manuel Valls – arbeitete der heute 44-Jährige in der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Institut Montaigne und als Investmentbanker. Bei vielen seiner Landsleute prägte das seinen Ruf als Präsident der Reichen. Nach Machtzerwürfnissen innerhalb der sozialistischen Partei trat Macron aus der PS aus und kündigte an, als unabhängiger Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen 2017 anzutreten. Der sowohl von den Konservativen als auch von den Linken unterschätzte Macron zog mit Unterstützung der Bewegung En Marche als jüngster Präsident Frankreichs in den Élysée-Palast ein.
Nach zahlreichen Tiefschlägen in seiner ambitionierten Reformpolitik während seiner Amtszeit versucht Macron mit milliardenschweren Hilfsprogrammen seinen Kritikern und Wettbewerbern um das höchste Staatsamt den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ob nun mehr Geld im Gesundheitswesen, Deckelung der Energiepreise, die Mindestrente, Gelder zur Senkung der Jugendarbeitslosigkeit, Gratis-Verhütungsmittel: Ein Füllhorn an Sozialtaten sollte Bewegungen wie die Gilets jaunes im Keim ersticken. Sein aktuelles Wahlprogramm erinnert in vielen Punkten an das von 2017: eine EU mit einem starken Frankreich, die Fortsetzung der Reformpolitik, eine in Europa verankerte Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Stärkung der kulturellen Identität der Franzosen.
Die Chancen für einen erneuten Einzug in den Präsidentenpalast stehen relativ gut, aber ein Selbstläufer wird das nicht für den in Frankreich wenig beliebten Macron. Wahlenthaltungen, Frauenpower in Form von Valérie Pécresse oder Marine Le Pen und Corona sind wohl seine gefährlichsten Gegner.
Die Überraschungskandidatin
Valérie Pécresse, Les Républicains, LR
„Zwei Drittel Merkel und ein Drittel Thatcher" – so hat sich die 54-jährige und dreifache Mutter Valérie Pécresse einmal selbst bezeichnet. Die Präsidentin der Hauptstadtregion Ile-de-France bringt alles mit, was man in Frankreich für eine erfolgreiche politische Karriere braucht: Sie stammt aus dem bürgerlichen Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine, machte bereits mit 16 Jahren Abitur, absolvierte ein Studium an der Wirtschaftshochschule HEC sowie an der Verwaltungshochschule ENA. Als zweimalige Abgeordnete der Französischen Nationalversammlung, Forschungs- und Hochschulministerin in der Regierung François Fillon und Haushaltsministerin als Nachfolgerin von Christine Lagarde bringt sie jede Menge Regierungserfahrung mit. Der republikanischen Partei LR kehrte sie für einige Jahre den Rücken, gründete mit „Soyons libres" eine eigene Partei, um mit der Ankündigung, bei den Präsidentschaftswahlen für das konservative Lager anzutreten, wieder in die LR einzutreten. Anfang Dezember 2021 setzte sich die Tochter des Ökonomieprofessors Dominique Roux auf dem Parteitag der konservativen Républicains gegen namhafte Kandidaten wie den Präsidenten der nordfranzösischen Region Hauts-de-France Bertrand Xavier, den Brexit-Unterhändler Michel Barnier und den Abgeordneten Eric Ciotti durch.
Ihre Wahlversprechen gelten als ambitioniert, hören sich aber auch nicht neu an. So will sie den ausufernden Bürokratismus bekämpfen, Beamtenstellen streichen, den Reformkurs Frankreichs voranbringen mit mehr Budget-Disziplin und einen harten Kurs bei Einwanderungs- und Sicherheitsfragen. Also ein bisschen Macron, ein bisschen Le Pen. In der Mitte und im rechten Lager will sie die nötigen Stimmen sammeln und schießt sich schon mal auf den amtierenden Präsidenten ein, der viel verspreche und nichts halte und zudem die wichtigen Posten nur mit Männern besetze, so Pécresse. Beim Werben um die weiblichen Stimmen sieht das politische Lager um Macron auch die größte Gefahr, die von ihr ausgeht. Sie wäre die erste Frau im höchsten politischen Amt.
Die Hoffnungsträgerin
Anne Hidalgo, Parti Socialiste, PS
„Die klassische Einwanderin mit südspanischem Temperament" – die 62-jährige Anne Hidalgo, alias Ana María Hidalgo Aleu, verließ 1961 mit ihrer Familie das andalusische Cádiz und wuchs im Arbeiterviertel von Lyon auf. 1973 erhielt sie die französische Staatsbürgerschaft. Die zweifache Mutter studierte nach ihrer Ausbildung zur Sozialarbeiterin an der Universität Paris-Nanterre Sozialrecht. Vor gut 20 Jahren wurde sie erstmalig als Vertreterin der Sozialisten in den Stadtrat von Paris gewählt; zuvor war sie als Beraterin in verschiedenen Ministerien tätig. Der ehemalige Bürgermeister von Paris, Bertrand Delanoë, machte sie zu seiner Stellvertreterin. Sowohl 2014 als auch 2020 gewann sie die Wahlen um das Bürgermeisteramt in Paris. Im September 2021 gab sie ihre Kandidatur für das Präsidentschaftsamt ab.
Mit grünen Umweltthemen wie Tempo 30, Ausbau des Radwegenetzes oder Baumpflanzaktionen konnte sie in Paris viele Wähler überzeugen. Punkten möchte sie im Wahlkampf zudem mit ihrem Steckenpferd „soziale Gerechtigkeit". Kritiker werfen ihr vor, außer in Paris in Frankreich überhaupt nicht bekannt zu sein. Nach dem Motto schlimmer geht nimmer will sie den Stimmenanteil der Sozialisten auf mindestens zehn Prozent bringen, was in Anbetracht des schlechten Abschneidens der PS mit sechs Prozent der Stimmen 2017 allerdings nicht allzu schwer sein dürfte.
Der Pragmatiker
Yannick Jadot, Europe Ecologie Les Verts, EELV
„Der Umweltaktivist als Galionsfigur der Grünen" – mit Rückenwind und Achtungserfolgen bei den Europawahlen 2021 und den Kommunalwahlen 2020 sehen sich die Grünen in Frankreich klar im Aufwind. Der 54-jährige Yannick Jadot aus dem nordfranzösischen Département Aisne studierte Wirtschaftswissenschaften in Paris, lebte lange in Burkina Faso und Bangladesch, war Greenpeace-Aktivist und ist seit 2009 Abgeordneter des Europaparlaments. Im September 2021 kündigte er seine Spitzenkandidatur bei den Präsidentschaftswahlen an, nachdem er sich bei Vorwahlen in der eigenen Partei erfolgreich durchsetzen konnte.
Jadot gilt als gemäßigter Vertreter der Grünen in Frankreich und als Pragmatiker. Die Grünen sind bei unseren Nachbarn längst nicht so stark etabliert und verankert wie in Deutschland. Durch die jüngsten Wahlerfolge agieren sie im linken Lager trotzdem aus einer Position der Stärke heraus. Ein Verzicht wie 2017 zugunsten des sozialistischen Kandidaten komme für Yannick Jadot dieses Mal nicht infrage, wie er bereits verlauten ließ. Die klassischen Themen wie Klima- und Umweltschutz stehen im Wahlkampf ganz oben auf seiner Agenda. Ohne Verbündete im linken Lager dürfte es für die Grünen nach wie vor schwer werden, aber es folgen ja noch die Parlamentswahlen im Juni 2022.
Die scheinbar Geläuterte
Marine Le Pen, Rassemblement National, RN
„Der Wolf im Schafspelz" – 2022 wird es der vermutlich letzte Anlauf sein, um in den Élysée-Palast einzuziehen. Die 53-jährige Marine Le Pen versucht, die rechtsradikale Partei Rassemblement National im bürgerlichen Lager salonfähig zu machen. Gefährlich bleibt sie, weil sie gemäßigter auftritt als ihr neuer Konkurrent Zemmour aus dem rechtsradikalen Umfeld und weil sie nicht mehr offen über einen möglichen „Frexit" spricht.
Die dreifache Mutter und Juristin hat 2011 den Parteivorsitz des damaligen Front National – heute Rassememblement National – von ihrem Vater übernommen, mit dem sie sich mittlerweile überworfen hat. Sie war Abgeordnete des Europaparlaments und sitzt seit 2017 als Abgeordnete in der Französischen Nationalversammlung.
Le Pen lehnt eine multikulturelle Gesellschaft ab, will strikte Ausländergesetze, schlägt zur Bekämpfung der Kriminalität ein Referendum zur Wiedereinführung der Todesstrafe vor und legt in der Wirtschafts- und Finanzpolitik einen protektionistischen Ton an den Tag. Zudem will sie wieder mehr Kompetenzen aus Brüssel an Paris zurückverlagern, verbunden mit der Wiedereinführung des Franc. Die in Paris groß gewordene Marine Le Pen verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Parteiarbeit und bekleidete viele politische Mandate auf kommunaler, nationaler und europäischer Ebene. Ob sie es erneut in die Stichwahl schafft, hängt auch davon ab, wie sie sich gegen die neue Konkurrenz im rechtsradikalen Lager durchsetzt.
Der Unbeugsame:
Jean-Luc Mélenchon, La France Insoumise, FI
„Radikal links gegen die kleinen Macrons dieser Welt" – der 70-jährige in Tanger geborene Jean-Luc Mélenchon unternimmt im April 2022 seinen dritten Anlauf, um es ins wichtigste französische politische Amt zu schaffen. Immerhin kam er 2017 mit seiner linken Bewegung La France Insoumise im ersten Wahlgang auf fast 20 Prozent der Stimmen.
Der im französischen Jura groß gewordene Mélenchon ist ein klassischer 68er, studierte moderne Literatur und Philosophie, engagierte sich früh in der sozialistischen Partei unter Mitterrand, verließ diese aber 2008 aufgrund des seiner Meinung nach zu rechten Kurses. Mit der neu gegründeten Sammlungsbewegung Parti de Gauche zog er 2009 ins Europaparlament ein. Bei den Parlamentswahlen 2017 warb Mélenchon für die Schaffung einer linken Opposition „La France Insoumise" unter seiner Führung. Heute ist er Abgeordneter der Französischen Nationalversammlung.
Seine Positionen gelten gemeinhin als radikal links wie der Austritt aus der Nato, die Neuverhandlung der EU-Verträge, der Ausstieg aus der Kernenergie, die Neuordnung des politischen Systems mit der Schaffung der 6. Republik, die 32-Stunden-Woche, die Rente mit 60 oder die Deckelung der Gehälter von Spitzenverdienern auf 400.000 Euro im Jahr. Er macht keinen Hehl aus der Ablehnung der Wirtschaftssysteme dieser Welt, die aus seiner Sicht viele kleine Macrons ermöglicht haben.
Schafft er es nicht in die Stichwahl, dürfte es spannend werden, ob er eine Wahlempfehlung ausspricht. 2017 hat er es nicht getan, als sich Macron und Le Pen gegenüberstanden.
Der ewig Gestrige
Eric Zemmour, Reconquête
„Der französische Trump im rechtsradikalen Lager" – lange hat der 63-jährige Eric Zemmour mit seiner Kandidatur gewartet. Ende November hat der aus Montreuil bei Paris stammende Publizist und Autor mehrerer Bücher seinen Hut offiziell in den Ring geworfen und sich im ersten Wahlgang wohl zur gefährlichsten Konkurrentin von Marine Le Pen gemacht. Beide könnten sich nämlich im rechtsradikalen Lager mit seiner Partei Reconquête (Wiedereroberung) und dem Rassemblement National um die Wählerstimmen streiten und sich somit gegenseitig schwächen.
Der dreifache Familienvater und studierte Politikwissenschaftler liegt rhetorisch ganz auf der Linie des alten Jean-Marie Le Pens, indem er beispielsweise gegen Ausländer hetzt, vom Austausch der europäischen gegen eine schwarze und arabische Bevölkerung spricht und behauptet, das Vichy-Regime hätte die französischen Juden geschützt. Gern erzählt er in seinen Büchern vom Niedergang Frankreichs. Trotz mehrfacher Verurteilungen wegen Rassismus hält Eric Zemmour an seinen Positionen fest.
Noch vor wenigen Jahren kokettierte er mit den französischen Konservativen, arbeitete als politischer Kolumnist für die Zeitung „Le Figaro" und den Rundfunk und wirkte bei Talkshows im Fernsehsender France 2 mit. Durch seine islam- und frauenfeindlichen Parolen im Fernsehsender CNews distanzierte sich die etablierte Politik endgültig von Zemmour. Seine sarkastischen Äußerungen nach den terroristischen Angriffen, lieber die entsprechenden Stadtviertel von Brüssel als Rakka in Syrien zu bombardieren, brachten das Fass zum Überlaufen. Politische Erfahrung hat der Populist und Polemiker Zemmour keine. Man darf gespannt sein, wie sich das rechtsradikale Lager gegenseitig zerlegt.
Die Späteinsteigerin
Christiane Taubira, Partie radical de gauche, PRG
Die französische Linke hat mit der PRG-Kandidatin Christiane Taubira ein Déjà-vu: Schon 2002 stieg die ehemalige Ministerin in vier französischen Kabinetten in den Wahlkampf ein und kostete den damaligen PS-Kandidaten Lionel Jospin zahlreiche Stimmen. Die knapp 70-jährige Ex-Justizministerin aus dem Übersee-Département Guayana gilt als progressiv, ihr Programm ähnelt jedoch stark dem der PS-Kandidatin Anne Hidalgo. Entsprechend verstimmt reagierte das Hidalgo-Lager, das in ersten Umfragen bereits Prozentpunkte an Taubira abtreten muss. Die französische Linke ist ohnehin seit Jahren hoffnungslos zersplittert, während die rechten Kandidaten erkennbar mehr Prozentpunkte in den Umfragen aufbringen als die linken. Daher sucht ein linker Bürgerverband derzeit Wege, die Zahl der Kandidaten zu reduzieren. Taubira erklärte bereits, ein entsprechendes Votum zu akzeptieren.