Die Zusammenarbeit mit den französischen Nachbarn sei für das Saarland nicht nur Herzensangelegenheit, sondern bedeute auch ein Alleinstellungsmerkmal in vielerlei Hinsicht. Dies sagt Roland Theis (CDU), Staatssekretär für Justiz und Europa im Saarland.
Herr Theis, um die Frankreichstrategie des Saarlandes ist es ruhiger geworden. Versinkt sie je nach Ausgang der Landtagswahl in der Bedeutungslosigkeit?
Das Ziel unserer Frankreichpolitik ist, dass wir die Frankreich- und Frankofonie-Kompetenzen im Land stärken und nach innen wie nach außen sichtbarer machen. Für das Saarland ist die Nähe zu Frankreich zwar in erster Linie ein Herzensanliegen, aber sie hat auch einen ganz nüchternen Mehrwert. Denn sie ist ökonomisch gesprochen vor allem Alleinstellungsmerkmal, mit dem wir uns von anderen Regionen, mit denen wir im Wettbewerb stehen, unterscheiden. Mit dem englischsprachigen Raum arbeiten können alle – wir auch. Ein Alleinstellungsmerkmal ergibt sich daraus, dass unsere Forschungslandschaft, unsere Hochschulen, große Teile unserer Wirtschaft und unsere Region einen besonderen Bezug zur frankofonen Welt haben. Das zeigt sich in konkreten Ansiedlungserfolgen, in gemeinsamen Start-up-Kooperationen, aber auch in engen Wirtschaftsbeziehungen mit unserem wichtigsten Handelspartner Frankreich. Und das wird dort auch politisch so gesehen. Wir laufen in Paris bei vielen Akteuren mittlerweile offene Türen ein. Die Liste unserer Kooperationspartner ist durch viel Netzwerkarbeit daher lang und prominent. Das beginnt mit den französischen Regionen und Départements. Letztere haben das Saarland jüngst zu ihrem Ehrenmitglied erklärt. Das sind neben den guten politischen Kontakten in die Assemblée nationale auch Partner aus Verwaltung, Wirtschaft und Kultur. Mit den Politikwissenschaften Sciences Po Paris unterzeichnen wir im Januar eine Kooperationsvereinbarung. Mit dem Senat arbeiten wir an einem Austauschprogramm für Landesbedienstete. Die Académie Française, die höchste französische Autorität in Sachen Kultur und Sprache, unterstützt unsere Arbeit genauso wie die Deutsch-Französische Außenhandelskammer, das Heinrich Heine Haus oder das Goethe-Institut. Das gilt im Übrigen nicht nur für Frankreich. Mit dem Centre Juridique Franco-Allemand haben wir über die Verbindung der Francophonie gemeinsame Studiengänge in Tunis und Austausche mit Universitäten in Montreal in Kanada auf den Weg gebracht. Keine Landesregierung wird auf diesen Schatz an Chancen verzichten wollen, wenn sie gut beraten ist. Außerdem bin ich optimistisch, dass ich da auch mitreden werde.
Der Vertrag von Aachen jährt sich am 22. Januar 2022 zum dritten Mal. Wie kann der Vertrag stärker in das Bewusstsein der Saarländer und Lothringer gebracht werden?
Berlin und Paris können diesen Vertrag zu einem Erfolg machen, indem wir ihn für die Lösung der konkreten Probleme der Grenzregionen tatsächlich auch leben. Richtig ist, dass die Grenzregionen darin gestärkt werden. Wir haben mit dem Ausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (AGZ) ein Instrument, das es uns ermöglicht, unsere Themen den Entscheidungsebenen, die meistens auf der nationalen Ebene verortet sind, auf deren Tagesordnung zu schreiben. Das haben wir beispielsweise beim Kurzarbeitergeld, bei der grenzüberschreitenden Mobilität von Studierenden oder bei Besteuerungsfragen im vergangenen Oktober getan. Der Ausschuss ändert aber leider nichts an den Zuständigkeiten und wenn sich beispielsweise die Politik in Berlin so taub stellt wie das Bundesfinanzministerium beim Problem der Besteuerung von Kurzarbeitergeld von Grenzgängern, kommen wir trotz des Aachener Vertrags keinen Zentimeter voran. Bei anderen Themen wie der Finanzierung der grenzüberschreitenden Ausbildung hat der Ausschuss sich als Katalysator von Entscheidungen bewiesen. So hat die zuständige französische Ministerin anlässlich unserer letzten Tagung in Saarbrücken die Botschaft überbracht, dass wir dafür endlich eine nachhaltige Lösung durch ein konkretes Gesetzgebungsverfahren bekommen.
Andererseits gibt der Vertrag durch die Schaffung und Finanzierung des deutsch-französischen Bürgerfonds beispielsweise Bürgerprojekten oder Städtepartnerschaften die niedrigschwellige Möglichkeit, Zuschüsse für Projekte zu beantragen, mit denen beispielsweise Begegnungen gefördert werden können.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Grand Est seit 2018 entwickelt?
Beim Neuzuschnitt der Region Grand Est hatte ich befürchtet, dass die neue Region durch die Dominanz des Elsass und von Straßburg sich vom Saarland weg in Richtung Baden-Württemberg orientieren würde und dass unsere Projekte in den Hintergrund geraten würden. Das Gegenteil ist eingetreten, nicht zuletzt, weil wir mit dem Präsidenten der Region Jean Rottner und der Präfektin Chevalier eine Partnerschaft aufbauen konnten, die von Freundschaft und Vertrauen geprägt ist. Bereits vor der Pandemie hat beispielsweise das gemeinsame Büro des Saarlandes in Paris und in Brüssel die besondere Verbundenheit der Region Grand Est mit dem Saarland gezeigt. Unsere ständige Präsenz in Paris, die wir dank der Zusammenarbeit mit Grand Est mit ganz kleinem Budget aber mit umso mehr Engagement dort aufgebaut haben, hilft dabei sehr, weil wir für viele Themen – außerhalb der diplomatischen Beziehungen selbstverständlich – der erste logische deutsche Projektpartner geworden sind. Während der Pandemie hat diese Verbundenheit ihren echten Stresstest erlebt und bestanden. Denn auch während der Spannungen zwischen Paris und Berlin gab es in den regionalen Beziehungen immer eine gemeinsame Linie und einen gemeinsamen Geist, weil wir uns aufeinander verlassen konnten.
Darauf aufbauend kann man gemeinsame Zukunftsprojekte angehen, zumal das Team um Jean Rottner in der Region und um Patrik Weiten in der Moselle für die kommenden Jahre gewählt sind und wir damit verlässliche Partner in der Region für die Weiterentwicklung unserer Kooperation haben. Bestes Beispiel ist der ÖPNV: Im Sommer wurde der deutsch-französische Triebwagen Régiolis vorgestellt. Dieses neue Zugsystem wird ab Dezember 2024 Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und das Saarland mit Grand Est verbinden.
Oder das Projekt Clinnova: Bei diesem millionenschweren Verbundprojekt mit Luxemburg, Grand Est und Baden-Württemberg geht es um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz beim Einsatz von Medizindaten zur optimierten Behandlung von schweren Krankheiten.
In den letzten Jahren war der rechtsextreme Rassemblement National bei verschiedenen Wahlen in Lothringen und im Elsass immer sehr stark. Welche Auswirkungen hat das auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit?
Mein Eindruck ist, dass der Zenit dieser Entwicklung überschritten ist. Die Wahlen in der Region, im Département und auch in den wesentlichen Städten und Gemeinden haben zu Ergebnissen geführt, die zeigen, dass die große Mehrheit der Menschen in Lothringen und im Elsass für eine engagierte Politik der Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg eintritt. Daher haben wir in allen wesentlichen Funktionen in Frankreich gute und vertrauensvolle Partner. Dafür bin ich sehr dankbar.
Die Grenzschließungen im Frühjahr 2020 haben Narben hinterlassen. Was ist davon geblieben?
Ich bin mir sicher, dass die Menschen auf beiden Seiten der Grenze die schmerzhaften Bilder der Grenzschließung und der Trennung nicht vergessen haben. Das war ja nicht nur die staatliche Grenze, die plötzlich dicht war. Es waren auch die Beispiele in Unternehmen oder Behörden, die ihren in Frankreich wohnenden Mitarbeitern den Zutritt verweigerten, die wir nicht vergessen sollten. Es waren Zeichen dafür, dass mancher in der Not das Heil nicht in der Zusammenarbeit, sondern in der Abschottung suchte. Der weitere Verlauf der Pandemie hat aber gezeigt, dass das falsch war. Die Aufnahme von Patienten aus Frankreich und der Beitrag der in Frankreich lebenden Kräfte in unseren saarländischen Kliniken haben bewiesen, dass wir nicht getrennt, sondern zusammen besser durch diese schwere Zeit kommen konnten.
Was zudem bleibt, ist eine völlig neue Qualität der Zusammenarbeit der Politik in der Region, die auf gewachsenem Vertrauen unter den Akteuren, aber auch auf gemeinsamen Interessen gegenüber Berlin und Paris aufgebaut wurde. Wir sind zusammen durch eine schwere Zeit gegangen. Und daraus sind echte Partnerschaften und Freundschaften entstanden. Auch das wird bleiben.
Welche Impulse gehen von der EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit aus?
Durch die Pandemie, aber auch durch die ambitionierten Klimaziele sind weite Teile der Agenda der französischen Ratspräsidentschaft quasi von außen diktiert. Für unsere konkrete Arbeit erhoffe ich mir insbesondere ein offensives Eintreten für grenzüberschreitende Industrieprojekte, wie etwa der Schaffung einer transnationalen Wasserstoffinfrastruktur oder Allianzen zur Rückgewinnung der Halbleiterproduktion in Europa. Solche Themen haben uns auch beim saarländischen Vorsitz der Europaministerkonferenz beschäftigt, und Präsident Macron hat sehr deutlich gemacht, dass strategische Souveränität – so das Schlagwort für solche Projekte – zu seinen Prioritäten zählen wird. Die Covid-Pandemie zwingt uns darüber hinaus, grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung viel konkreter, alltagstauglicher und problemorientierter zu denken. Auch hier erhoffe ich mir Impulse und Unterstützung von der französischen Regierung. Unser Ziel hierfür bleibt ein grenzüberschreitender Gesundheitskorridor in unserer Grenzregion zwischen dem Saarland und der Moselle, in dem es nicht mehr auf die Frage ankommt, in welchem Land der Patient und in welchem Land das Krankenhaus steht, sondern nur noch auf die Frage, wo der jeweilige Patient die bestmögliche Versorgung so schnell es geht bekommen kann. Für die Realisierung dieses Ziels könnte die EU einen wichtigen Impuls geben.