Neben Trainer Urs Fischer gilt auch Oliver Ruhnert als Vater des Erfolges bei Union Berlin. Der Leiter der Lizenzspielerabteilung handelt immer weitsichtig – aber manchmal auch kurzentschlossen.
Im Fußballgeschäft ist Transparenz so eine Sache. Dass Union Berlin schon seit Längerem keine Vertragslaufzeiten bei Spielertransfers mit der Öffentlichkeit teilt, sei „keine böse Absicht", versicherte Sportchef Oliver Ruhnert. Aber die Arbeitspapiere mit Profis seien heutzutage „nicht mehr mit denen von früher zu vergleichen". Es gebe in der Regel so viele Klauseln, „dass man die Laufzeit nicht mehr seriös nach außen kommunizieren" könne: „Das schützt die Spieler- und die Vereinsseite."
Und so hüllte sich Ruhnert auch weitestgehend in Schweigen, als es bei einer digitalen Medienrunde Ende Dezember darum ging, ob der Vertrag von Leistungsträger Marvin Friedrich tatsächlich am Ende der Saison auslaufen würde. „Es gibt den Vertrag, den wir mit Marvin Friedrich abgeschlossen haben", sagte Ruhnert zuerst zugeknöpft – und dann kryptisch: „In der theoretischen Möglichkeit spielt er auch ab dem 1. Juli bei Union." Zwei Wochen später hatte die Praxis diese Aussage eingeholt: Friedrich wechselte noch in der Winterpause zu Ligakonkurrent Borussia Mönchengladbach.
Der Sportchef gilt als großer Pragmatiker
Sportlich ist der Weggang des kopfball- und zweikampfstarken Innenverteidigers, der seit seinem Wechsel 2018 zu den damals in der Zweiten Liga spielenden Köpenickern eine herausragende Entwicklung gemacht hat, ein herber Verlust. Aber das Lockmittel war sowohl für den Spieler als auch für Union zu verführerisch. „Union wollte ihn ungern abgeben", verriet Gladbachs Sportdirektor Max Eberl, der offenbar tiefer als geplant in die Taschen greifen musste: „Wir haben uns das Geld aus den Rippen geschnitten." Spekuliert wird von einer Ablösesumme von 5,5 Millionen Euro. Ein ziemlicher Batzen, betrachtet man die coronabedingte Finanznot der meisten Clubs und die geringe Rest-Vertragslaufzeit bei Friedrich.
Für Ruhnert ist Friedrichs Abschied zwar „sportlich und menschlich ein großer Verlust", aber der Sportchef ist in seinem Job ein gnadenloser Pragmatiker. Für Friedrich sei nun mal die Zeit gekommen, „einen neuen Weg einzuschlagen", und auch für Union bedeute die Trennung eine Chance: „Wir fühlen uns mit unserer Mannschaft dafür gerüstet." Wohl kein anderer Bundesliga-Macher hat in den vergangenen Jahren so starke Kader-Änderungen managen müssen wie Oliver Ruhnert. Auf den aufstiegsbedingten XXL-Umbruch 2019 folgten ein zweiter 2020 und ein dritter 2021. Ist der Friedrich-Wechsel ein Vorbote für den vierten großen Umbruch in Folge? Schließlich laufen dem Vernehmen nach auch die Verträge der Stammspieler Max Kruse, Robin Knoche, Grischa Prömel, Timo Baumgartl und Niko Gießelmann aus – sofern sie durch Klauseln nicht länger gebunden werden. „Das ist eine berechtigte Frage", sagte Ruhnert, „die stelle ich mir auch häufig." Es sei zwar nicht das Ziel des Clubs, dass es erneut zu einer großen Personal-Rochade komme, „aber es komplett auszuschließen fällt mir schwer". Ruhnert hat in seinen dreieinhalb Jahren bei Union gelernt, dass er als Leiter der Lizenzspielerabteilung vor allem zwei Dinge beherrschen muss: Flexibilität und Kreativität. Gemessen am sportlichen und auch am wirtschaftlichen Erfolg leistet Ruhnert bei den Eisernen eine herausragende Arbeit. Ihm gelingt es mit seinem Team trotz zahlreicher Abgänge, die nicht immer nur selbstgewollt sind, Trainer Urs Fischer jedes Jahr einen Kader zusammenzustellen, mit dem der Schweizer die Leistungen der Vorsaison sogar noch toppen kann. Das ruft in der Branche Bewunderung hervor.
„Oliver ist ein Fußball-Fachmann und extrem gut vernetzt", lobte zum Beispiel Horst Heldt. Er arbeitete lange mit Ruhnert bei Schalke 04 zusammen, bei den Königsblauen verantwortete der heutige Union-Manager die Nachwuchsarbeit in der berühmten Knappenschmiede. „Zu seinen besten Fähigkeiten zählt, klar zu analysieren und schnell Entscheidungen zu treffen", verriet Heldt: „Er wankt nie in der Entscheidungsfindung oder ist sich gar unsicher. Sondern er hat meist sofort eine klare Meinung."
Der Höhenflug ist ihm nicht ganz geheuer
Das bedeutet jedoch nicht, dass Ruhnert bei Union eine One-Man-Show abzieht – ganz im Gegenteil. Der 50-Jährige gilt als Teamplayer, der sich die Meinungen seiner Vertrauten sehr genau anhört. Dazu zählen auch die Präsidiumsmitglieder um Union-Boss Dirk Zingler. „Wir haben kein Abnick-Präsidium", betonte Ruhnert. Man arbeite eng zusammen und diskutiere mitunter kontrovers. „Wir haben immer Ideen, wie ein Kader sich fortentwickelt, die gehen aber nicht immer so auf, wie man es sich am Reißbrett erhofft", so der Sportchef: „Aber wenn wir diese Ideen nicht mehr haben, bekommen wir irgendwann Probleme."
Der andauernde Höhenflug der Eisernen seit der Aufstiegssaison 2018/19 ist dem Sauerländer nicht ganz geheuer. „Seit drei Jahren leben wir gefühlt in einem ständigen Rausch. Wir sind immer erfolgreich, alles läuft gut", sagte er. „Irgendwie" warte er auf den Einbruch, der ganz sicher kommen werde. „Deswegen wollen wir immer auf dem Boden bleiben." Und weiter hart arbeiten, damit der Misserfolg vielleicht doch noch ein bisschen auf sich warten lässt.
Der Friedrich-Wechsel zum Beispiel trifft Ruhnert nicht unvorbereitet, er hatte für diesen Fall bereits vorgesorgt und in Dominique Heintz einen Innenverteidiger verpflichtet. Der 28-Jährige passt perfekt ins Beuteschema: Er hat seine Bundesliga-Klasse bereits nachgewiesen, ist beim SC Freiburg zuletzt aber aus dem Blickfeld geraten – was ihn für Union finanziell erst erschwinglich gemacht hat. „Es war eine Gelegenheit, die sich nur jetzt im Winter ergeben hat", verriet Ruhnert, „weil wir ihn im Sommer wahrscheinlich nicht bekommen hätten, weil dann andere Vereine an ihm dran gewesen wären."
Langfristiges Scouting, kurzentschlossenes Handeln – so mag es Ruhnert. Dass in einem halben Jahr wieder zahlreiche Verträge auslaufen, bereitet ihm wegen der parallel laufenden Suche nach Ersatzkandidaten keine großen Sorgen. „Nicht jeder auslaufende Vertrag stellt mich vor eine Drucksituation", betonte er. Um den Kader zu entwickeln, müssten auch Plätze für neue Spieler freigemacht werden. Außerdem bedeuten Abgänge wie die von Friedrich oder zuvor von Robert Andrich (für 6,5 Millionen Euro zu Bayer Leverkusen) und von Sebastian Andersson (6,5/1. FC Köln) auch erhebliche Mehreinnahmen. „Am Ende müssen wir immer Angebot und Nachfrage bewerten", sagte Ruhnert, „und das tun wir als kleinerer Club."
Der Manager betonte auch, dass er mit dem aktuellen Kader „sehr zufrieden" sei. Ob und wie viele Veränderungen er demnächst vornehmen werde, hängt auch damit zusammen, ob Union nächstes Jahr wieder international spielt. In dem Fall wäre der Verein auch deutlich widerstandsfähiger, sollte ein Club kommen und viel Geld für Stürmerstar Taiwo Awoniyi bieten. Der Nigerianer wird bei transfermarkt.de mit einem Marktwert von 15 Millionen Euro gelistet. Ruhnert, der bei der Verpflichtung für 6,5 Millionen Euro ein großes Risiko eingegangen war, dürfte erst bei einem unmoralischen Angebot schwach werden. Die genaue Ablöse würde er der Öffentlichkeit definitiv nicht mitteilen. Transparenz im Fußballgeschäft ist eben so eine Sache.