Als Kandidat für die Champions League gestartet, findet sich Borussia Mönchengladbach in der hinteren Tabellenhälfte wieder. Der Sieg gegen den FC Bayern München brachte keine Ruhe. Im Gegenteil. Die Ursache der Probleme liegt tiefer.
Als Borussia Mönchengladbach Ende Oktober den FC Bayern München mit 5:0 aus dem Pokal schoss, wurden die Geschichtsbücher wieder schnell hervorgekramt. Um ein solches Ergebnis zu finden, musste lange gesucht werden: 1974 gewannen die Bayern den Europapokal der Landesmeister und gingen danach in einer sportlich wertlosen Partie mit ordentlich Restgas und fünf Gegentoren unter.
Mitte Dezember vor der Winterpause gab es dann den nächsten Blick in die Geschichte und die Statistik: Drei Klatschen in der Bundesliga mit satten 14 Gegentoren und ein unglückliches Unentschieden garnierten das Ende der Hinrunde für die Borussia. Deshalb wurden Erinnerungen wach an den Herbst 1998. Da setzte es auf ein 2:8 zu Hause gegen Leverkusen ein 1:7 auswärts in Wolfsburg. Es war eine der schlimmsten Wochen in der Gladbacher Clubgeschichte. Nur sechs Wochen nach dem Jahrhundertspiel gegen die Bayern fielen also alle Systeme der Gladbacher aus. Zuerst beim Derby gegen Köln, dann spektakulär gegen Freiburg, in Leipzig, gegen Frankfurt und eher weniger gegen Hoffenheim, wo es wenigstens einen Punkt gab. Das waren keine Ausrutscher mehr, sondern grundlegende Probleme.
Seit dem Freiburg-Debakel Zweifel an Neu-Trainer Hütter
Als Kapitän Lars Stindl nach der Niederlage gegen ebenfalls strauchelnde Leipziger am Mikro stand, ergab sich ein bemerkenswertes Interview. Dem Kapitän war anzumerken, dass er einen sehr schmalen Grat beschritt: Zwischen offener, schonungsloser Kritik an sich und seinen Teamkollegen und jener Diplomatie, die man als Anführer einer Mannschaft und damit auch Verantwortlicher für die Mitspieler an den Tag legen muss. „Jeder hat etwas für sich gemacht und nicht zusammen als Team", sagte er wohlbedacht. Er konnte sich ja schlecht hinstellen und erzählen, dass diese Borussia derzeit keine Mannschaft ist, schon gar kein eingeschworener Haufen, in dem Einzelinteressen über dem Mannschaftserfolg stehen. Noch deutlicher wird das Dilemma bei einem Blick auf das zweite Jahrhundertspiel in diesem Jahr – der Niederlage gegen den SC Freiburg. Kurz vor dem Offenbarungseid gegen Leipzig saß Max Eberl fassungslos im Borussia Park, als seine Mannschaft mit 0:6 unterging. „Entschuldigung, was für eine Scheiße passiert hier gerade – und warum wehren wir uns nicht?", habe er während der ersten halben Stunde gedacht. Eberl hatte einen „aufgescheuchten Hühnerhaufen" erkannt, der einmal seine Mannschaft war. „Das ist einmalig im negativen Sinne!" Am gleichen Abend legte er im ZDF-Sportstudio nach. Besorgniserregend ist ein gutes Adjektiv dafür. Es hat keiner so verteidigt, wie man in der Bundesliga verteidigen muss. Da müssen sich die Spieler schon hinterfragen", sagte Eberl. Er wolle keinen sehen, der nun auf den anderen zeigt. „Sondern jeder muss sich an die eigene Nase packen. Die Mannschaft muss auf dem Platz die Themen umsetzen, die vom Trainerteam vorgegeben werden. Wir werden Fehler ansprechen und ein Stück weit an die Ehre der Spieler appellieren. Wir müssen jetzt Eier zeigen!"
Bis die Reaktion kam, dauerte es bis ins neue Jahr. Gegen eine coronagebeutelte Bayernmannschaft wurde wieder mit 2:1 gewonnen. „Die Bayern hatten immer noch eine Startelf, auf die 17 andere Bundesligisten neidisch wären", so Christoph Kramer nach dem Spiel. Ob diese drei Punkte der herbeigesehnte Brustlöser seien, wurde schon damals bezweifelt. Denn dieses Spiel hätte nach dem Spielverlauf auch anders ausgehen können. Nutzen die Bayern ihre Chancen zu Spielbeginn, hätte es ein sehr unangenehmer Abend werden können. Und nur eine Woche später gab es eine 1:2-Heimniederlage gegen Bayer Leverkusen. Die Borussia ist wieder auf dem Boden der Tatsachen angelangt. Die Symptome der Gladbacher Tristesse sind ohnehin klar, die Suche nach den Gründen für dieses turbulente Jahr eher schwierig. Nach einem holprigen Saisonstart wähnte sich die Borussia danach auf dem richtigen Weg, die vermeintliche Konstanz war aber keine. Was bisher bleibt ist eine riesengroße Diskrepanz in den Ergebnissen und den gezeigten Leistungen der Mannschaft – aber auch der einzelnen Spieler. Jonas Hofmann ist derzeit wohl in der Form seines Lebens und darf sich berechtigte Hoffnungen auf die Weltmeisterschaft in diesem Jahr machen. Manu Kone ist der Aufsteiger der Saison und zeigt in der Zentrale teils überragende Leistungen. Yann Sommer spielt eigentlich wie immer gut, Alassane Plea ist nach einem schwierigen Start auf dem Weg zur Besserung.
Entgegen diesen positiven Erscheinungen gibt es aber auch die Fraktion, bei der es in die andere Richtung läuft. Florian Neuhaus scheint die gesamte Saison schon in einem Loch, konnte sich gegen die Bayern aber in die Torschützenliste eintragen. Marcus Thuram ist nach einer Verletzung meilenweit von seiner Bestform entfernt, Ramy Bensebaini schwankt zwischen Kreisklasse und Weltklasse, weilt derzeit sowieso beim Afrika-Cup. Matthias Ginter wurde eine gewisse Abgelenktheit wegen der lange ungeklärten Vertragssituation nachgesagt. Gegen Leverkusen saß er auf der Bank. Mit Marvin Friedrich wurde sein Nachfolger bereits verpflichtet, Ginter soll nun bis Ende Januar gegen Ablöse regelrecht vom Hof gejagt werden. Auch Dennis Zakaria grübelte lange, wird den Verein auch ablösefrei im Sommer verlassen, so sich denn in den kommenden Tagen nicht doch noch ein Abnehmer findet. Die miserablen Leistungen in den vergangenen Wochen damit zu erklären, lässt Sportdirektor Eberl aber nicht zu: „Im Moment sind mir Einzelschicksale relativ egal. Bis zum 30.6. kann ich von jedem Spieler erwarten, dass er seine Leistung erbringt für den Club, der ihn bezahlt!" Als wäre die Situation nicht schon schlimm genug, sorgte Marcus Thuram mit einem Lustlosauftritt in München für Missstimmung trotz des Sieges.
Sportchef Eberl findet Trainer-Debatte absurd
Vor allem die fehlende Widerstandsfähigkeit wurde der Mannschaft von Adi Hütter vor der kurzen Winterpause zum Verhängnis. In Köln setzte es die beiden entscheidenden Gegentore binnen 89 Sekunden, gegen Freiburg folgte auf das 0:1 keine drei Minuten später das 0:2, nach 37 Minuten stand es dann 0:6. In Leipzig waren es pures Glück und die spektakuläre Ineffizienz des Gegners, die ein weiteres absolutes Debakel verhinderten. Gegen den FC Bayern konnten die Gladbacher nach dem Rückstand jedoch zurückkommen. Gegen Leverkusen kämpfte das Team, zudem hielt Torwart Yann Sommer zwei Elfmeter.
Trotzdem sitzt Adi Hütter fest im Sattel. Vor der Winterpause, jetzt nach dem guten Auftakt in die Rückrunde erst recht. „Es ist doch jetzt nicht ernsthaft das Thema, dass ein Trainer nach zwei Niederlagen infrage gestellt wird?", zürnte Eberl schon nach dem Freiburg-Spiel und ließ weitere Debatten erst gar nicht zu. „Ich finde es so absurd, was hier für Fragen gestellt werden. Dass ich über so etwas in der jetzigen Zeit sprechen muss: Da fehlen mir einfach die Worte." Denn Hütter hat eine Mannschaft übernommen, die prinzipiell im gesamten Jahr 2021 in einem Abwärtstrend festhing. Aus einer komfortablen Situation verspielte die Mannschaft vergangene Saison alle Saisonziele, erklärt wurde es mit dem angekündigten Abgang von Marco Rose.
Doch der ist nun schon länger weg, in eine sichere Fahrbahn konnte auch Adi Hütter die Mannschaft noch nicht lenken. Gegen den FC Bayern gab es in der Liga in zwei Spielen nun vier Punkte, im Pokal gab es einen geschichtsträchtigen Sieg. Problematisch waren jedoch die meisten der anderen Spiele in dieser Saison. Wer weiß, für was der Sieg gegen Bayern zum Jahresauftakt gut war? Am Ende vielleicht sogar ein schlechtes Omen? Nach dem Jahrhundertspiel im Pokal ging es stetig bergab, der Auftritt gegen Leverkusen lässt befürchten, dass die Borussia ganz große Probleme bekommen könnte. Denn die Probleme liegen tiefer. Manager Max Eberl, der gern dazu neigt, Krisen kleinzureden, ist mehr denn je als Krisenmanager gefordert.