Ob Korallen pflanzen oder Meeresschildkröten aufpäppeln: Viele Organisationen richten sich gezielt an Reisende, die unterwegs etwas Gutes tun wollen. Wie zum Beispiel in Florida.
Hugh La Fontisee ist erst 16 Jahre alt, hat in seinem Leben aber schon viele Korallen sterben sehen. „Als ich mit dem Tauchen angefangen habe, war das Ökosystem noch viel intakter", sagt der Jugendliche, der in seiner Heimat Florida regelmäßig das Meer erkundet. „Es macht mich traurig, wie viel allein in so kurzer Zeit kaputtgegangen ist", sagt er. „Dagegen muss man doch etwas tun."
Deshalb nimmt er nun an einer besonderen Klassenfahrt teil: Mit seiner Schule ist der 16-Jährige nach Key Largo gefahren, eine Kleinstadt im südlichsten Zipfel Floridas. Dort können Freiwillige einen Tag lang Korallen retten. Wer Lust hat, besteigt ein Boot, schlüpft in einen Taucheranzug und siedelt selbst neue Pflanzen auf dem Meeresgrund an. Die „Coral Restoration Foundation", eine gemeinnützige Organisation, will auf diese Weise das drittgrößte Korallenriff der Welt retten. Oder es zumindest versuchen.
„Es liegt nicht nur am Klimawandel", erklärt Stiftungsmitarbeiter Connor Maheady, während er der Klasse eine Einführung in die Thematik gibt. „Auch die Anker von Booten, unvorsichtige Fischer, verschmutztes Wasser und Chemikalien in bestimmten Sonnencremes setzen den Riffen zu." Anders als etwa im US-Bundesstaat Hawaii, wo Sonnenmilch mit der Chemikalie Oxybenzol seit 2021 verboten ist, kann man diese in Florida noch immer in vielen Supermärkten kaufen.
Mit der Klobürste Gitter säubern
Das Ergebnis fasst Connor Maheady mit einer Foto-Show zusammen: Innerhalb von nicht einmal 40 Jahren hat sich eine blühende, vor Fischen wimmelnde Unterwasserlandschaft in einen grauen Einheitsbrei verwandelt – „Korallen-Friedhof" nennt das der Stiftungsmitarbeiter. Einem Bericht der US-Meeresschutzbehörde NOOA zufolge sind nur noch zwei Prozent des Florida-Riffs intakt. Die Folgen sind beträchtlich: Der Fischfang geht zurück, bei Unwettern ist die Küste weniger geschützt, und auch der Tourismus leidet. „Niemand geht tauchen, um tote Korallen zu sehen", sagt Maheady. „Deshalb ist es so wichtig, dass wir handeln."
Seit 2007 hat die Coral Restoration Foundation über 170.000 neue Korallen angepflanzt. Sie sollen resistenter gegen Krankheiten sein und mit steigenden Meerestemperaturen besser klarkommen. Urlauber übernehmen zwar nur einen Bruchteil der Neu-Pflanzungen, spielen aber eine wichtige Rolle: Wer das Gefühl hat, an etwas Gutem mitwirken zu können, hilft der Organisation oft auch finanziell. Fast 970.000 Dollar (858.314 Euro) an Individual-Spenden hat die Stiftung im Jahr 2020 eingenommen, wie aus ihrem Jahresbericht hervorgeht. Ohne das Engagement von Touristen wäre die Korallen-Rettung also kaum möglich.
Bevor die Schulklasse in Key Largo selbst das Boot besteigt, folgen einige Trockenübungen: Anhand eines Modells lernen die Jugendlichen, wie man die Pflanzen richtig auf dem Meeresgrund befestigt. Lehrerin Kelly Jackson macht derweil Fotos für die Website ihrer Schule – die Welt zu retten ist immer auch ein bisschen ein Event. „Wir machen solche Exkursionen regelmäßig, um das Bewusstsein für die Umwelt zu schärfen", sagt Jackson. Mit der Öko-AG ihrer Schule hat sie sogar die jüngste UN-Klimakonferenz in Glasgow besucht – per Flugzeug.
Nach der Mittagspause plötzlich die große Ernüchterung: Korallen können die Jugendlichen an diesem Tag nicht pflanzen. „Zu windig, zu starke Wellen", erklärt Stiftungsmitarbeiter Maheady. Auf den Tauchgang muss aber trotzdem niemand verzichten: Die Schülerinnen und Schüler dürfen im Meer versenkte Gitter säubern, an denen die Jung-Korallen herangezüchtet werden. „Das beste Werkzeug dafür ist eine Klobürste", sagt der Stiftungsmitarbeiter. Allgemeines Kichern. Und dann geht’s auch schon los. Die Tauchschule um die Ecke hat das Boot bereits klargemacht.
Ganz billig ist die Riff-Rettung nicht. Die Stiftung verlangt von allen Teilnehmenden eine obligatorische Spende von 50 Dollar. Hinzu kommen etwa 100 Dollar, die die Tauchfirma für den Ausflug in Rechnung stellt. Plus Fahrtkosten nach Key Largo, je nachdem, woher die Gäste stammen. Hin und wieder sind auch Reisende aus Europa dabei. Im Fall der aktuellen Klassenfahrt stellen die Kosten indessen keine Hürde dar: Es handelt sich um eine Privatschule, bei der die Eltern ohnehin rund 20.000 Dollar Schulgeld pro Jahr bezahlen.
Knapp 800 Kilometer weiter nördlich, im US-Bundesstaat Georgia, liegt Jekyll Island. Die Insel gehört zu den „Golden Isles", an deren Stränden jedes Jahr Hunderte von Meeresschildkröten anlanden, um ihre Eier abzulegen. Immer wieder sind auch verletzte Exemplare darunter, um die sich das „Georgia Sea Turtle Center" kümmert. Auch hier zielt man auf eine gut betuchte Klientel –
die Schildkröten-Klinik liegt direkt neben einem Nobelhotel.
Drinnen findet man Patienten wie Margoi: eine unechte Karettschildkröte, die 2021 mit verwundeten Flossen am Strand angespült wurde. Der 200-Pfund-Koloss schwimmt in einer Art Planschbecken, über dem ein Spiegel angebracht ist: Als Margoi mit gefrorenen Krabben gefüttert wird, können die Gäste sie genau beobachten.
Die tierischen Patienten, die im Sea Turtle Center landen, stammen oft aus verschiedenen Küstenabschnitten der USA. Manche haben Tumore, andere Schädelfrakturen oder verletzte Panzer, oft von Schiffsschrauben verursacht. In der Schildkröten-Klinik werden sie wieder aufgepäppelt und – sofern möglich – hinterher in die Natur entlassen. Auch hier ist man auf die Mithilfe der Urlauber angewiesen: Manche arbeiten monatelang als Freiwillige mit. Sie sammeln verletzte Tiere ein, füttern sie oder bieten in der Nistzeit von Mai bis August Strand-Führungen für andere Touristen an.
Unterstützung vor allem finanziell
Der Großteil der Unterstützung aber ist finanzieller Art. So wie bei Neil Coull. Der Chef einer texanischen Kopfkissen-Fabrik ist mit seiner Frau nach Jekyll Island gefahren, um Hochzeitstag zu feiern. Ein Abstecher ins Sea Turtle Center gehört mit zum Programm. „Ich liebe die Arbeit, die diese engagierten Leute hier tun", sagt der 59-Jährige, der sich als Tierliebhaber bezeichnet. „Ich wünschte, ich hätte selbst die Zeit, verletzte Schildkröten zu retten", sagt der Fabrikant. So aber bleibe nur der Griff ins Portemonnaie: „Natürlich spende ich hierfür. Das ist eine von vielen Organisationen, die ich unterstütze." Wie viel er gibt, verrät er nicht. Das müsse er sich noch überlegen.
Weltweit existieren unzählige Initiativen, die Tourismus mit Umweltschutz verknüpfen. Aber geht das überhaupt? Laut Umweltbundesamt ist der Tourismus weltweit für fünf Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Ist es also sinnvoll, nach Florida zu fliegen, um Korallen zu retten, zu deren Zerstörung man durch den Flug selbst beiträgt? „Dieser Widerspruch ist mir durchaus bewusst", sagt Cathi Leibinger, eine Lehrerin, die die Schulklasse zum Tauchgang nach Key Largo begleitet. Sie selbst hat schon Korallenriffe auf den Malediven besucht. „Ich versuche das auszugleichen, indem ich einen möglichst minimalistischen Lebensstil pflege", sagt sie, während sie einen To-go-Kaffee trinkt.
Ein Großteil der angepflanzten Korallen überlebt
Die Florida Keys Environmental Coalition ist noch skeptischer. Der Umweltverband kämpft seit Langem für sauberere Gewässer und weniger Müll an den Küsten. „Das Problem sind die laschen Gesetze in Florida", sagt Verbandspräsident Ed Russo. „Solange hier nicht einmal giftige Sonnencremes verboten werden, hilft das alles nichts." Die Bemühungen der Korallen-Stiftung hält er für ehrenwert, aber sie seien letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Am Ende hilft es vor allem denen, die hier Urlaub machen", sagt Russo. Es sei wie mit CO2-Kompensationen für Langstrecken-Flüge: „Die Leute fahren mit dem Gefühl nach Hause, etwas Gutes getan zu haben. Das ist natürlich leichter, als seinen Lebensstil wirklich zu ändern."
Ganz ohne positive Folgen bleibt aber zumindest das Korallen-Projekt vor der Küste Floridas nicht: Verschiedene Studien haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass ein Großteil der neu angepflanzten Korallen überleben. Die Werte schwankten je nach Standort und Korallenart allerdings stark – von null bis knapp 90 Prozent. Die Coral Restoration Foundation hat mithilfe von Drohnenaufnahmen festgestellt, dass die jungen Korallen innerhalb eines Jahres im Schnitt um 143 Prozent gewachsen sind. Diese Arbeit, betont die Stiftung, sei nur durch externe Unterstützung möglich – ob sie nun selbst auf den Meeresgrund tauchen oder lediglich die Kreditkarte zücken.