Der Westen muss mit Russland reden und gleichzeitig Stärke zeigen
Je angespannter die Weltlage, desto kleiner ist die Chance zum schnellen Durchbruch. Niemand hat erwartet, dass der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine mit drei Gesprächsrunden gelöst wird. Dazu ist die Drohkulisse zu gewaltig: Russland hat rund 100.000 Soldaten und Militärgerät in Grenznähe konzentriert. Und im Donbass wird unverändert gekämpft.
Dennoch ist es ein kleiner Fortschritt, dass sich Vertreter der westlichen Staaten und Moskaus in der letzten Woche wieder an einen Tisch setzten. Den Auftakt machten Amerikaner und Russen in Genf. Der Nato-Russland-Rat tagte erstmals wieder seit zweieinhalb Jahren. Den Schlusspunkt setzte das Treffen in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Mitten in den politischen Klimasturz hinein, der nach der Krim-Annexion begonnen hatte, gab es zumindest neue Gesprächsformate zwischen Ost und West. Das ist Realpolitik in schwierigen Zeiten. Es gilt der alte Satz von Ex-Kanzler Helmut Schmidt: „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln als eine Minute schießen."
Erreicht ist damit aber noch nichts. Und man sollte sich auch keinen Illusionen hingeben, dass allein Gespräche die Lösung sind. Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit seiner Maximalforderung, eine Osterweiterung der Nato zu stoppen und Soldaten des Bündnisses aus Osteuropa und dem Baltikum abzuziehen, überzogen.
Der Kremlchef hat es darauf angelegt, die Allianz zu spalten. Er hatte sich erhofft, dass einige aus Angst vor einem großen Krieg in der Ukraine Zugeständnisse machen – um des lieben Friedens willen. Als Mann mit feinem Sensor für die Dynamik der Macht baute er auf die Schwäche des Westens: Amerika sei zu sehr mit China beschäftigt, die neue Bundesregierung noch nicht sortiert und Frankreich im Wahlkampffieber, so sein Kalkül.
Diese Rechnung hat der Westen mit maximaler Geschlossenheit durchkreuzt. Die Amerikaner haben in ihren bilateralen Gesprächen mit den Russen den Ton gesetzt: größtmögliche Transparenz statt Hinterzimmer-Deals. „Kein Gespräche über die Europäer ohne die Europäer, keine Gespräche über die Ukraine ohne die Ukrainer."
Die Wahl von Militärbündnissen und politischen Gemeinschaften obliegt den jeweiligen Regierungen und Gesellschaften. Das ist das westliche Politikverständnis. Moskau hat hier kein Vetorecht. Putins Vorstoß speist sich aus seinem Denken in Einflusssphären, wie sie in der Sowjet-Herrschaft üblich waren.
Wenn es dem Kremlchef wirklich um „Sicherheit" und die Verminderung der militärischen Arsenale geht, sollte er die Angebote der USA und der Nato ernsthaft prüfen. Die Vorschläge, die Anzahl der Raketen in Ost und West zu reduzieren, Truppenstärken auszudünnen, Nuklearwaffen zu begrenzen und sich gegenseitig über Manöver zu informieren, weisen in die richtige Richtung. Entlang dieser Linien sollte verhandelt werden. Aber auch das Atmosphärische ist wichtig: Misstrauen muss abgebaut, Vertrauen aufgebaut werden.
Die große Frage lautet nun: Was will Putin? Er hat für den Fall eines Scheiterns der Gespräche mit dem Westen „angemessene kriegstechnische Maßnahmen" angedroht. Doch was konkret hinter dem Säbelrasseln steht, ist unklar. „Vielleicht ist der Game-Plan auf der russischen Seite noch gar nicht ausgearbeitet. Wir wissen nicht, was der zweite und dritte Schritt Moskaus ist", heißt es in der Bundesregierung.
Es ist nicht auszuschließen, dass Putin neue Raketen mit einer Reichweite bis nach Europa oder in die USA stationiert. Als wahrscheinlich kann gelten, dass der Kremlchef das fortsetzen wird, was er seit der Krim-Annexion betreibt: die Ukraine destabilisieren – durch Ausrüstung der Separatisten im Donbass, Cyberangriffe und Desinformations-Kampagnen.
Der Westen ist gut beraten, Putin von weitergehenden Aggressionen abzuschrecken. Die Androhung einschneidender Sanktionen, bei denen auch die Gas-Pipeline Nord Stream 2 nicht sakrosankt sein darf, gehört dazu. Der ehemalige US-Präsident Theodore Roosevelt hat es auf die berühmte Formel gebracht: „Speak softly and carry a big stick" – „sprich sanft und trage einen großen Knüppel". Der Umgang mit Russland kann nur als diplomatischer Marathonlauf gelingen. Der Westen muss mit Moskau reden und gleichzeitig Stärke zeigen.