Sie ist eine von zwei transgeschlechtlichen Bundestagsabgeordneten. Die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer über Persönlichkeitsrechte, die Rolle von sexistischer Sprache und wie die Politik tradierte Geschlechterrollen verfestigt.
Frau Ganserer, im Januar 2019 sind Sie erstmals im Bayerischen Landtag als Transfrau aufgetreten. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Wenn es eine Beschreibung für das Phänomen braucht, dass ich bei der Geburt anhand von körperlichen Merkmalen versehentlich dem falschen Geschlecht zugeordnet wurde, dann bin ich transgeschlechtlich, aber ich definiere mich nicht über dieses Merkmal, und ich möchte auch nicht ständig darauf reduziert werden. Ich lebe seit 2019 als die Frau, die ich eigentlich schon immer war.
Können Sie erläutern, warum Sie den Begriff „transgeschlechtlich“ bevorzugen?
Sexismus fußt auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit der Geschlechter. Diese Ideologie der Ungleichwertigkeit führt auch zu Cis-Seximus gegenüber transgeschlechtlichen Menschen. Dies macht sich eben auch in der Sprache bemerkbar, indem über die Eigenschaft der Transgeschlechtlichkeit von „Transfrauen“, „Transmännern“ oder „Transmenschen“ gesprochen wird. Wir unterscheiden ja auch nicht zwischen Frauen und Blondfrauen, zwischen Politikern und Glatzkopfpolitikern. Dadurch wird auf sehr subtile und meist unterbewusste Art zum Ausdruck gebracht, dass man unbedingt diese Ungleichwertigkeit deutlich machen möchte. Sexismus und eben Cis-Sexismus auch werden permanent reproduziert und dadurch gesamtgesellschaftlich gefestigt. Deswegen ist es so schwer, gegen solche gesellschaftlichen Phänomene vorzugehen: gegen Ungleichwertigkeit, gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Weil sich ein Teil dieser Gesellschaft gar nicht bewusst ist, in welchem Maße sie dieses System mitreproduziert und unterstützt. Die Basis dafür ist immer diese Weltanschauung einer Ungleichwertigkeit und einer Reduzierung derjenigen, die man als weniger wert betrachtet.
Gesellschaft reproduziert das System
Sie meinen, die Sprache formt das Bewusstsein für Sexismus und Diskriminierung?
Ja. Das ist genauso, wie für Cis-Frauen* bestimmte abwertende Begriffe verwendet werden. Im Alltag werden verniedlichende, teilweise böse, beleidigende und abwertende Begrifflichkeiten verwendet. Viele Männer, die diesen Sexismus ausführen, sind sich oftmals der Tragweite ihrer Sprache gar nicht bewusst. Sexismus ist eine Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, weil man in der patriarchalen Ideologie davon ausgeht, dass Frauen per se weniger wert sind, dass sie per se bestimmte Rollen zu erfüllen haben, nämlich minderwertige Rollen. Diese Ideologie wird benutzt als Rechtfertigung, um Frauen Rechte abzusprechen, um sie zu sexualisieren und auf Körperlichkeiten zu reduzieren. Das ist auch bei transgeschlechtlichen Menschen so. Die Wissenschaft sagt seit vielen Jahrzehnten, dass sich Geschlechtlichkeit nicht alleine anhand von Körperlichkeiten, Hormonen oder Chromosomen bestimmen lässt. Sondern, dass Geschlechtszugehörigkeit im Wesentlichen ein Teil unserer Persönlichkeit ist, mit der wir zur Welt kommen. In unserer Gesellschaft ist viel Unwissenheit da, was auch ein Nährboden für menschenverachtende Ideologien ist. Das macht sich bemerkbar, etwa indem die Geschlechtszugehörigkeit transgeschlechtlichen Menschen in Abrede gestellt wird, dass man sie auf vermeintlich biologische Merkmale reduziert. Geschlechtszugehörigkeit ist der intimste Bereich der Persönlichkeitsrechte. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist ein grundgesetzlich geschütztes Menschenrecht. Wenn jemand absicht-lich die Geschlechtszugehörigkeit einer transgeschlechtlichen Person in Abrede stellt und sie bewusst auf körperliche Merkmale anspricht und ihren Deadname** nennt, um diese Ungleichwertigkeit auch noch zu begründen, dann wird dieser Person das Menschenrecht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit abgesprochen. Dann sprechen wir nicht von Meinungen, sondern von systematischem Absprechen grundgesetzlich geschützter Menschenrechte.
Noch einmal zurück zur ersten Frage: Wie haben die Parlamentarier und Parlamentarierinnen auf Sie regiert, als Sie erstmals als transgeschlechtliche Frau und Politikerin aufgetreten sind?
Ich habe natürlich meine Fraktion vorab informiert. Es war für mich sowas von rührend, weil die ganze Fraktion Schlange stand, um mich zu umarmen. Ich habe von vielen Kolleginnen aus den demokratischen Fraktionen über die verschiedensten Informationskanäle auch Unterstützung und Solidarität zugesichert bekommen. Gleichwohl war dies auch ein langer Kampf, der sich über ein Jahr hingezogen hat, bis der Bayerische Landtag mich auch endlich ausschließlich und korrekt als Frau Tessa Ganserer geführt hat.
Auf dem politischen Parkett begegnen Ihnen aber auch Diffamierungen. Wie gehen Sie damit um?
Ich möchte dazu am liebsten überhaupt keine Position beziehen, weil ich es nicht zulassen werde, dass meine grundgesetzlich geschützten Menschenrechte Gegenstand einer Debatte werden. Es ist keine Debatte, sondern es ist einfach menschenverachtender Hass. Er begegnet mir und anderen transgeschlechtlichen Menschen nicht nur vonseiten der AfD.
Waren die Themen Sexismus und Diskriminierung für Sie damals auch mit eine Motivation, in die Politik zu gehen?
Ich kann es nicht so deutlich sagen. Meine Motivation, mich politisch zu engagieren, rührte in erster Linie von umweltpolitischen Themen. Was nicht bedeutet, dass mir die anderen Themen unbedeutend gewesen wären. Ich habe 2001 den Bundestagsbeschluss zur eingetragenen Lebenspartnerschaft dermaßen gefeiert und mich mit meinen schwulen Freunden gefreut. Das war für mich ein Symbol für einen längst überfälligen gesellschaftlichen Aufbruch.
Was kann die Politik gegen Sexismus tun?
Wir wissen nicht erst seit gestern, dass es Sexismus gibt. Natürlich ist hier die Politik gefragt, um rechtliche Benachteiligungen abzustellen. Wir müssen Mechanismen abschaffen, die Ungleichwertigkeit fördern. Gerade im Hinblick auf die Benachteiligung von Frauen. Steuerliche Anreize führen dazu, dass junge Paare oft gegen ihren eigenen Willen in die tradierten klassischen Geschlechterrollen verfallen, sobald Kinder da sind, obwohl junge Paare, bevor sie Kinder bekommen, gerne Erwerbs- und Erziehungsarbeit möglichst gleichwertig teilen möchten. Ehegattensplitting, die nicht ausreichende Bereitstellung von Kitaplätzen, Kinderbetreuung et cetera führen dazu, dass Menschen, die solche Geschlechterrollen überwiegend ablehnen, trotzdem in diese Modelle hineingezwungen werden – und sie wieder reproduzieren. Die Politik ist gefordert, rechtliche Benachteiligungen wie zum Beispiel dieses entwürdigende Transsexuellengesetz abzuschaffen. Die Politik ist auch gefordert, sexualisierte Gewalt, Hatespeech und queerfeindliche Gewalt konsequent zu ahnden und für eine ausreichende Finanzierung von Frauenhäusern zu sorgen. Aber die Politik kann nicht gesellschaftliche Probleme wie Sexismus, sexualisierte Gewalt, Trans-Feindlichkeit oder Antisemitismus per Beschluss im Parlament aus der Welt schaffen. Das sind gesamtgesellschaftliche Probleme, die auch nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden können. Die Politik muss deutlich Position beziehen, sie muss auch Haltung zeigen und sie vorleben. Und wir müssen einen Werkzeugkasten bereitstellen, damit diese gesellschaftliche Akzeptanzarbeit geleistet werden kann. Wir brauchen ein Demokratieförderungsgesetz, um gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vorzugehen. Wir werden aber diese Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nicht überwinden, wenn sich nicht auch alle gesellschaftlich relevanten Kräfte deutlich dagegen positionieren. Hier darf es keinen neutralen Bereich geben, wo ich sagen kann: Ach, ich mach das nicht, mich betrifft es ja nicht. Sondern da ist jeder Mensch gefordert, Haltung zu zeigen.
* Frauen, die sich mit dem
Geschlecht identifizieren,
mit dem sie geboren wurden
** Deadname: abgelegter,
alter Vorname, der meist bei
der Geburt vergeben wurde