Eine elektronische Nase, die Corona am Geruch erkennt – und das innerhalb einer Minute. Dr. Sybelle Goedicke-Fritz und Natasa Jovic über eine neue Technologie, die vor allem bei Kindern zum Einsatz kommen könnte.
Frau Dr. Goedicke-Fritz, wie entstand die Idee zu Ihrem Projekt?
Die Erfahrung, dass kranke Menschen anders riechen, hat wohl jeder schon gemacht. Wenn Sie beispielsweise eine Blasenentzündung haben, verändert diese den Geruch des Urins. Bei Diphterie entsteht ein süßlicher Mundgeruch. Jede Infektion verursacht eine charakteristische Entzündungsreaktion, die dazu führt, dass Geruchsstoffe gebildet werden. Dieses Wissen nutzte schon im antiken Griechenland Hippokrates, um Krankheiten zu erkennen. Auch in der chinesischen Medizin spielt der Geruchssinn eine wichtige Rolle. Die US-Streitkräfte setzen elektronische Nasen ein, um Sprengstoff aufzuspüren.
Warum haben Sie die elektronische Nase bislang vor allem bei Kindern eingesetzt?
Das Team von Prof. Zemlin hat seine Forschungsschwerpunkte in der Kinderheilkunde, beschäftigt sich hier beispielsweise mit Möglichkeiten einer nicht-invasiven Diagnostik, um den Stress für die Neugeborenen zu reduzieren. Um bei Frühgeborenen etwa eine Sepsis erkennen zu können, ohne ihnen Blut abnehmen zu müssen, entstand die Idee, eine elektronische Nase zu entwickeln, die Krankheiten allein durch deren Geruch erkennen kann.
Schwerpunkt in der Kinderheilkunde
Dann war die elektronische Nase anfangs gar nicht zum Aufspüren von Corona-Infektionen gedacht?
Nein, wir forschen an der elektronischen Nase schon rund zehn Jahre. Aber da man Kinder bislang nur eingeschränkt impfen kann und ich von meinem zweieinhalbjährigen Sohn weiß, wie unangenehm Schnelltests für Kinder sind, entstand die Idee, die elektronische Nase für das Aufspüren von Corona-Infektionen zu nutzen. Das ist mir ein besonderes Anliegen, da mein Vater beinahe an einer Corona-Infektion gestorben wäre.
Wo wird die elektronische Nase künftig noch eingesetzt?
Unser Projekt „Wir riechen Covid 19 – Erkennung von Corona-Viren durch Geruchsdetektion“ hat bei der Ausschreibung „Ideen gegen Pandemien“ der Else Kröner-Fresenius-Stiftung die Jury sowie die Fachgutachter überzeugt und wird als eines von vier Forschungsprojekten mit 220.000 Euro über eine Laufzeit von 24 Monaten gefördert. Gemeinsam mit Natasa Jovic, die zu dem Thema promoviert, entwickeln wir eine zweite elektronische Nase, die Krankenhauskeime aufspüren soll.
Wie funktioniert die elektronische Nase?
Bei jeder Infektion entsteht eine charakteristische Entzündungsreaktion, die dazu führt, dass Geruchsstoffe gebildet werden. Dabei handelt es sich um flüchtige organische Substanzen, die ausgeatmet werden oder mit dem Schweiß austreten. Die elektronische Nase, die einem Walkie-Talkie ähnelt, ist mit sensiblen Geruchssensoren ausgestattet. Da sich Infektionen mit verschiedenen Erregern und Viren ganz individuell unterscheiden, hinterlassen sie im übertragenen Sinn einen persönlichen Fingerabdruck. Die individuellen Geruchs-Abdrücke, sogenannte Smellprints, aus Ausatemluft, Speichel, Auswurf und Schweiß von Patienten mit positiven PCR-Tests vergleichen wir mit denen von Menschen ohne Befund. Mit den so gewonnenen Erkenntnissen trainieren wir die elektronische Nase. Die Cyranose 320, so der wissenschaftliche Name der elektronischen Nase, hat 32 Polymersensoren. Wenn diese mit flüchtigen organischen Verbindungen in Kontakt kommen, werden sie in unterschiedlicher Stärke aktiviert. So entstehen individuelle Geruchsmuster für unterschiedliche Substanzen. Diese „Smellprints“ werden in einer Grafik dargestellt und geben Aufschluss über mögliche Infektionen.
Infektionen hinter-lassen „Smellprints“
Wo liegen die Vorteile des von Ihnen entwickelten Verfahrens im Vergleich zu herkömmlichen Testmethoden?
Der größte Vorteil ist, dass es nicht invasiv ist, also ohne Berührung stattfindet, und das ist gerade bei Kindern sehr wichtig. Corona lässt sich damit schneller, einfacher, kostengünstiger und zuverlässiger als mit den üblichen Schnelltests erkennen. Das ist meiner Ansicht nach ein entscheidender Vorteil, wenn es darum geht, Infektionsketten früh zu stoppen. Auch im Eingangsbereich zu Großveranstaltungen, etwa Konzerten oder Fußballspielen, könnte die elektronische Nase eingesetzt werden.
Wurde die elektronische Nase in der Praxis bereits erprobt?
Natasa Jovic: Auch wenn das Gerät als Medizinprodukt noch nicht etabliert ist, wurde es bereits bei Lungenkrebs getestet. Wir haben die elektronische Nase auch erfolgreich eingesetzt, um bei trächtigen Schafen eine Amnionitis, also eine Entzündung der inneren Eihaut, zu erkennen.
Haben Sie Anhaltspunkte dafür, dass das Gerät auch bei Corona funktioniert?
Ja. Es gibt eine Studie in Hannover, bei der Hunde Corona-positive Personen anhand von Schweißproben identifiziert haben. Das versuchen wir jetzt mit der elektronischen Nase zu erreichen. Da es sich hier quasi um Künstliche Intelligenz handelt, braucht es viele Daten, um diese zu trainieren.
Wann könnte die elektronische Nase Ihrer Einschätzung nach in der Praxis eingesetzt werden?
Ich rechne damit, dass das ungefähr in zwei Jahren der Fall sein wird. Wir haben für unsere Studie schon den Antrag bei der Ethikkommission gestellt. Insgesamt wollen wir die Atemluft von 250 Kindern und 250 Erwachsenen untersuchen, um so eine stabile Datenlage zu erhalten.
Wenn die Softwareverbesserungen abgeschlossen sind, werden wir die Zulassung der elektronischen Nase als Medizinprodukt beantragen.