Die Aufgabenliste der neuen Landesregierung ist lang – ob Bildung oder ÖPNV. Arbeitskammer und Landesschülervertreter sind sich einig, dass G9 in den kommenden Jahren Vorteile bringen werde – und dass demokratische Mitbestimmung wichtiger wird.
Welche Prioritäten sollte die neue Landesregierung setzen? Für den Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer des Saarlandes, Thomas Otto, ist der Kurs klar: „Gute Arbeit, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit müssen Leitlinie für eine beteiligungsorientierte und mitbestimmte Transformationsstrategie sein. Wir brauchen eine Qualifizierungsoffensive für Beschäftigte und Arbeitslose sowie den Aufbau eines Wirtschaftssystems, das zukunftsorientiert auf erneuerbaren Strom und Wasserstoff setzt – zur Sicherung und im besten Fall zum Ausbau industrieller Arbeitsplätze." Seit Langem drängt die Arbeitskammer auf mehr Mitbestimmung bei der Transformation, das Einbinden der Betriebsräte bei Veränderungsprozessen, egal ob strukturell oder technologisch. „Gute Arbeit" nennt sie das gewünschte Ergebnis, und die ist auch notwendig. Denn das Industrieland Saarland verliert Arbeitsplätze – alleine im Fahrzeugbau mehr als 3.000 in den vergangenen Jahren.
Dem gegenüber steht ein Plus an Produktion: 24,2 Milliarden Euro setzten die Industriebetriebe im Land 2021 um, 10,2 Prozent mehr als 2020, aber immer noch 7,6 Prozent unter dem Vorkrisenjahr 2019. Als Vergleich taugt die Zeit der Pandemie wenig, sie erhöht jedoch den Druck auf die Betriebe. Wie das Statistische Landesamt mitteilte, habe die Zahl geleisteter Arbeitsstunden zugenommen, die Zahl der Arbeitsplätze jedoch sank. Ende 2021 arbeiteten rund 72.700 Menschen im verarbeitenden Gewerbe. In Betrieben mit 50 oder mehr Beschäftigten wuchs die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden um 2,1 Prozent auf 100,1 Millionen Arbeitsstunden.
„Gute Arbeit" im Land umsetzen
Arbeit ist vorhanden, wichtig aber bleibt für die Betriebe Qualifikation und die Anzahl verfügbarer Fachkräften. Dementsprechend wichtig werden die Rahmenbedingungen, die ein Land zur Verfügung stellen kann, um diese zu werben und zu halten, angefangen mit der Bildung. „Jedes vierte Kind im Saarland lebt in einer Familie mit Bildungsrisiken. Wir dürfen sie nicht abhängen. Eine chancengerechte Schule muss den Bildungsbedürfnissen aller Kinder gerecht werden", mahnt Thomas Otto. Mit G9 habe die Gemeinschaftsschule ihre Attraktivität für Schülerinnen insgesamt, auch im oberen Leistungsbereich steigern können. Sie wirke so auch im ländlichen Raum der demografischen Entwicklung entgegen – und die ist im Saarland rückläufig. „Eine strukturelle Veränderung durch ein zweites G9 an Gymnasien muss diesen Kontext berücksichtigen", ergänzt Otto.
Für den Vorsitzenden der Landesschülervertreter (LSV), Lennart-Elias Seimetz, könne „G9 eine Möglichkeit sein, um neue Inhalte in Schule zu setzen. Dies gelingt jedoch nur, wenn zuerst geschaut wird, welche Themen Schule zukunftsorientierter gestalten. Hier können Mehrsprachigkeit, IT und mehr Praxis durch zum Beispiel mehr Praktika eine große Rolle spielen." Die Hoffnung: dadurch die Zukunft der künftigen Generationen im Saarland, aber auch außerhalb zu sichern. „Sollte neben vielem auch ein zusätzliches Schuljahr sinnvoll sein, begrüßen wir diese Entscheidung als LSV Saar durchaus", so Seimetz.
Dazu gehört, so Seimetz, auch die demokratische Mitbestimmung der größten Gruppe in einer Schule, eben der Schüler. Sie müsse verankert werden, die Schülervertretungen mit Geld ausgestattet sein, um ihrer Aufgabe nachzukommen. Gleichzeitig müsse die schulische Infrastruktur ausgebaut werden: das heißt eben nicht nur Digitalisierung, sondern auch die oft dringende Sanierung von Gebäuden. Aber die Wunschliste der Schülervertreter ist damit nicht erschöpft. Seimetz über die Zukunftsvision der Schülerinnen und Schüler: „Bei Unterricht und Lehrplänen haben wir unter anderem eine Stärkung von außerschulischen Aktivitäten, mehr Angebote zur Berufsorientierung und eine differenziertere Aufklärung in Sexualkunde. Das Fach Informatik/Medienkompetenz wurde erfolgreich implementiert und es wird mehr politische Bildung mit dem Fokus auf die Urteilsbildung und des allgemeinen Politikunterrichts praktiziert. Gesundes Essen an Schulen wird mehr gefördert, das Personal im Bereich Schulsozialarbeit, Respekt-Coaches und Lehrkräfte wurde aufgestockt, und es findet ein Ausbau des ÖPNVs mit kostenlosem Zugang für Schüler statt."
Demokratischere Schulstrukturen
Umweltgerechten ÖPNV, das fordert auch die Arbeitskammer. „Wir brauchen ein Mobilitätskonzept, das den Umweltverbund stärkt, auch im ländlichen Raum", so Otto. Dort liegen die Verbindungen bislang noch hinter ihren Möglichkeiten. Jüngste Angebote wie Nachtbusse oder auch die privaten Bürgerbusse in vielen Gemeinden können hier Abhilfe schaffen. Inwieweit sie dies leisten können, muss sich allerdings noch zeigen. Das dürfe aber nicht zulasten der Einkommensschwachen gehen, so die Arbeitskammer: „Eine erfolgreiche Transformation braucht neben dem ökologischen auch einen sozialen Deal. Einkommensschwache Menschen sind besonders stark von klimapolitischen Entscheidungen betroffen. Sie müssen Möglichkeiten zur Verhaltensänderung haben, statt einfach nur mit höheren Preisen konfrontiert zu werden."
Neben Bildung und Umwelt gehört die kommunale Infrastruktur zu den Faktoren, die Fachkräfte zum Kommen und, vor allem, zum Bleiben bewegen. Zwar ist die Lebenszufriedenheit laut „Saarlandtrend" sehr hoch. Doch die Kommunen im Land leiden weiter unter ihrer prekären Finanzlage – eine schlechte Ausgangslage für den Strukturwandel, so Thomas Otto. „Mehr Aufgaben werden den Kommunen übertragen, die Kosten dafür oft nicht entsprechend von Land und Bund kompensiert. Die so provozierte knappe Finanzsituation verhindert Investitionen. Die Kommunen haben trotz der Entschuldung durch den Saarlandpakt 2020 sogar weniger als in den Jahren davor investiert, eine überalterte öffentliche Infrastruktur ist die Folge."
Das Kernproblem: die kommunalen Altschulden. Diese will die Bundesregierung per Grundgesetzänderung von all jenen Kommunen übernehmen, die sich nicht mehr aus eigener Kraft von ihnen befreien können, so Bundeskanzler Scholz noch vor etwa einem Monat. Erste Vorstöße auf Länderebene, beispielsweise in Rheinland-Pfalz, könnten jedoch an der Schuldenbremse scheitern. Auch im Saarland hoffen die Kommunen nicht nur auf den Saarlandpakt der Landesregierung, sondern auch auf den Bund. Höhere Steuern schließen die Saar-Kommunen aus, vor allem die Gewerbesteuer sei ohnehin bereits hoch genug. Hier kann die Landesregierung kaum noch helfen – es sei denn, sie ändert den kommunalen Finanzausgleich zugunsten der Kommunen. Das könnte helfen – bei der Modernisierung der kommunalen Infrastruktur, dem Bezahlen der kommunalen Pflichten wie letzten Endes bei der Fachkräftewerbung. Und damit würde auch das Land gewinnen.