Die Debatte um Importstopps von russischem Gas hält an. Dabei importiert Deutschland auch ein Drittel seines Rohöls aus dem Land des Aggressors. Eine Umstellung wird schwierig. Andere Länder nutzen die Gunst der Stunde für billiges Öl.
In diesen schwierigen Tagen gibt vor allem Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Freiheitserklärer. Stark verkürzt seine Formel: Freiheit kostet Geld. Die Inflation in Deutschland steigt, die Gefahr leerer Gaspipelines aus Russland ebenfalls, der Bundeshaushalt muss nun neben Klimawandel und vielem anderen mehr auch ein Sondervermögen der Bundeswehr stemmen. Die Gefahr wirtschaftlicher Verwerfungen ist gleichfalls hoch, denn Deutschland benötigt Gas und Öl aus Russland, stützt damit das staatliche System Waldimir Putins.
Deutschland steckt in einem hausgemachten Dilemma. Ein Stopp von Gaslieferungen zu diesem Zeitpunkt würde massive Schockwellen durch die gesamte bundesdeutsche Wirtschaft senden. Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie, warnte vor den massiven Folgen eines Importstopps von russischem Erdgas für die chemisch-pharmazeutische Industrie, die aber nicht auf sie beschränkt bleiben würden. „Tiefe Einschnitte in das Produktionsniveau der Branche wären nicht nur bei großen energieintensiven Unternehmen zu erwarten, sondern auch im Mittelstand. Über die Wertschöpfungsketten würde sich der Effekt auf die gesamte Industrie in Deutschland fortpflanzen", betonte er. Nahezu alle Branchen, wie etwa Landwirtschaft, Ernährung, Automobil, Kosmetik und Hygiene, Bauwesen, Verpackung, Pharma oder Elektronik, wären dann von einer Unterbrechung ihrer Lieferketten betroffen.
Rosneft kontrolliert drei deutsche Raffinerien
Neben Gas, das in diesem Tagen besonders im Fokus der Öffentlichkeit steht, importiert Deutschland auch Rohöl aus Russland. Laut Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) waren dies noch im Dezember 2021 knapp 2,5 Millionen Tonnen, insgesamt in 2021 etwa 27,7 Millionen Tonnen, ein Drittel aller deutschen Ölimporte. Damit ist Russland mit Abstand der wichtigste einzelstaatliche Rohölexporteur nach Deutschland, gefolgt von den USA.
Nun will Deutschland seinen Anteil an russischem Öl reduzieren, bis auf null idealerweise, aber das funktioniert nicht sofort. Ersatz muss her. Weitere Lieferanten wie die USA, Norwegen, Lybien oder Kasachstan müssten einspringen. Völlig ohne Lieferungen könnte Deutschland dank eigener strategischer Reserven drei Monate lang wirtschaften – diese befinden sich aber schon jetzt auf einem sehr niedrigen Niveau. Vor allem für Ostdeutschland hätte ein Lieferstopp dramatische Folgen. Dort befinden sich zwei der leistungsstärksten Raffinerien des Landes. Die PCK Raffinerie Schwedt in der Uckermark, die laut eigenen Angaben etwa zwölf Millionen Tonnen jährlich verarbeitet, erhält ihr gesamtes Rohöl über die russische Ölpipeline „Druschba" („Freundschaft"). Eine Umstellung auf anderes Öl ist damit nicht so ohne Weiteres möglich. Zudem gehört die Raffinerie zum Teil dem russischen Ölmulti Rosneft. Dieser kontrolliert über Beteiligungen auch weitere bedeutende deutsche Mineralöllieferanten wie die Bayernoil mit einer Kapazität von jährlich zehn Millionen Tonnen und die Karlsruher Miro mit einer Kapazität von fast 15 Millionen Tonnen jährlich, insgesamt ein Viertel der deutschen Ölproduktion. Der französische Ölkonzern Total und damit auch die ostdeutsche Raffinerie Mitteldeutschland Leuna verzichten laut MDR auf russisches Öl – ab Ende 2022. Bis dahin soll sie auf Öl, das über Ostseepipelines herangepumpt wird, umstellen.
Klar ist, Öl wird teurer. Um die Ölpreissteigerungen international in den Griff zu bekommen, könnten Staaten wie die USA weitere Teile ihrer strategischen Ölreserve freigeben – das haben die westlichen Industrieländer inklusive Deutschlands bereits schon einmal zu Beginn des Ukraine-Krieges getan und tun es nun wieder. Gleichzeitig wird erwartet, dass die Organisation erdölfördernder Länder (Opec), zu denen auch Russland als assoziiertes Mitglied gehört, ihre Produktion etwas ausweitet.
Insgesamt arbeitet Deutschland aber weiter darauf hin, von russischem Öl unabhängig zu werden. Die USA, Kanada und andere Staaten sowie Unternehmen wie Total haben bereits verkündet, kein russisches Öl mehr zu kaufen. Dabei wird das „schwarze Gold" aus Sibirien gerade immer billiger. Jahrelang folgte die russische Ölsorte Urals, die aktuell etwa 86 Dollar pro Barrel kostet, dem Preis der Nordseesorte Brent, aktuell 117 Dollar pro Barrel. Mit Beginn des Krieges in der Ukraine entwickelten sich beide Preiskurven auseinander. Länder, die auf russisches Öl angewiesen sind und sich nicht den Sanktionen angeschlossen haben, nutzen dies aus. Zum Beispiel Indien. Der drittgrößte Ölkonsument der Welt, nach den USA und China, muss 80 Prozent dieses Rohstoffes importieren. Weil russisches Öl derzeit vor allem im Westen ein Ladenhüter zu werden scheint, nutzt das Land die Gunst der Stunde und kauft große Mengen mit großen Preisnachlässen ein, Analysten sprechen von 30 bis 35 Dollar pro Barrel. Bis Ende März hat das Land nach Angaben des indischen Wirtschaftsministeriums schon sechs Millionen Barrel gekauft, die Hälfte dessen, was das Land 2021 insgesamt aus Russland bezog.
Probleme aber gibt es durch das internationale Sanktionsregime gegen russische Banken mit der Bezahlung – vermutlich ein wichtiges Thema beim kürzlichen Treffen des russischen Außenministers in Neu-Delhi. Zuvor hatte Sergej Lawrow China besucht, ebenfalls wichtiger Ölkunde Russlands. Auch dort profitieren Einkäufer vom Preisnachlass: Das staatliche Energieunternehmen Sinopec hatte laut asiatischen Medienberichten kurz zuvor bestätigt, auch weiterhin russisches Öl und Gas kaufen zu wollen. Das könnte den russischen Ölpreis stützen. Dennoch sitzt Russland derzeit auf Millionen Barrel unverkauftem Rohöl.
Noch ist die EU ein großer Abnehmer. Deutschland warnt vor überhasteten Sanktionsschritten und fürchtet eine tiefe Rezession, die russlandfreundliche Regierung Orban in Ungarn steht vor Neuwahlen und lehnt ohnehin Sanktionen gegen Putin ab. Die Rufe nach einem Importstopp werden jedoch kaum verhallen, solange der Krieg in der Ukraine weitergeht.