In der Corona-Pandemie hat die Automobilindustrie mit erheblichen Lieferengpässen zu kämpfen, der Krieg in der Ukraine hat diese noch verstärkt. Doch die Knappheit hat weit mehr Gründe – die teilweise auch hausgemacht sind.
Es sind goldene Zeiten für die Halbleiter-Industrie: Das Angebot ist knapp, die Nachfrage hoch. Und das schon seit fast zwei Jahren. Produzenten wie Infineon investieren einerseits zwar Milliarden in neue Fabrikationsstätten, noch immer aber sind die Märkte regelrecht leergefegt. Entsprechend vorsichtig sind die Hersteller derzeit mit Prognosen für das aktuelle Produktjahr. Ausnahme Tesla. Während woanders die Fließbänder stillstanden, baute Tesla so viele Autos wie noch nie. Im zweiten Quartal 2021 erzielte das Unternehmen erstmals einen Nettogewinn von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Der Elektroautobauer setzte alternative Chips ein und schrieb die Software um.
Renault und Toyota melden hingegen weniger hergestellte Fahrzeuge, ebenso Mercedes. Trotzdem fahren auch die Stuttgarter Rekordergebnisse ein – weil sie die verfügbaren Halbleiter in hochpreisige Modelle, zu denen auch Elek-troautos gehören, einbauen und priorisiert ausliefern. Ähnlich will sich unter anderem Opel aufstellen. Mittlerweile wurde allerdings bekannt, dass sogar Elektro-Primus Tesla Funktionen seines Autopiloten oder elektronische Bauteile klammheimlich weglässt, um die bestellten Fahrzeuge trotzdem rechtzeitig ausliefern zu können. US-Marktforscher von Gartner und der Hersteller TSMC aus Taiwan prognostizierten eine Chip-Knappheit bis Mitte 2022, Infineon selbst geht von einer Knappheit bis 2023 aus. Neue Werke befänden sich aber in Planung, unter anderem will Bosch bis zu 250 Millionen Euro in eine Chipfertigung investieren. Bis diese Werke jedoch produzieren, gehen noch mehrere Jahre ins Land – daran ändert auch das jüngst unterzeichnete EU-Chip-Gesetz nichts.
Doch nicht nur Halbleiter sind rar, sondern auch andere Rohstoffe, die in Autos verbaut werden. Zum Beispiel Plastik. Viele Elektromobilhersteller setzen im Marketing ihrer Fahrzeuge auf Nachhaltigkeit – Sitze aus recycelten Plastikflaschen sollen den CO2-Fußabdruck in der Produktion senken. Doch nach Angaben des Plastikhandelsverbandes EuPC beklagen 90 Prozent aller Hersteller Probleme bei der Lieferung von Polymeren. Die Ursachen sind vielfältig und verstärken einander. Fabrikunglücke, wegen Corona verschobene Wartungen, Wetterextreme und die wegen der Pandemie gedrosselte Ölproduktion und nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine führten dazu, dass mittlerweile auch zu wenig Plastik auf dem Weltmarkt vorhanden ist – gut für die Meere, schlecht für die Autohersteller. Immerhin besteht ein Fahrzeug heute zu gut zehn Prozent aus verschiedenen Arten von Plastik.
Mobilität unabhängig vom Fahrzeug denken
Wer weniger Autos produziert, weil wichtige Teile fehlen, braucht auch nicht alle seine Mitarbeiter. Entsprechend hoch ist der Stand der Kurzarbeit in der Automobilindustrie: Nur zehn Prozent der Zulieferer waren 2020 laut Statistik nicht in Kurzarbeit. Immer wieder mussten auch die OEMs ihre Produktion einstellen, weil Teile fehlten. Insgesamt waren zu Hochzeiten der Pandemie 2020 im April knapp sechs Millionen Menschen in der deutschen Wirtschaft in Kurzarbeit. Zum Vergleich: In den Jahren zuvor waren es nur zwischen 100.000 und 200.000 Menschen pro Jahr. Im Oktober 2020 sank die Zahl auf knapp zwei Millionen, um im Februar 2021 wieder auf 3,7 Millionen Kurzarbeiter zu steigen. Zuletzt waren im Januar noch 900.000 Menschen von Kurzarbeit betroffen.
Hinzu kommt auch eine gewisse Unsicherheit bei den Kunden selbst, welchen Antrieb ihr nächstes Auto denn nun haben soll: Verbrenner, Hybrid, Elektro oder Wasserstoff? Welcher Antrieb sich in welchem Verkehrsmittel durchsetzt, wird sich erst in den kommenden Jahrzehnten zeigen. Klar ist: Der Verbrenner hat ausgedient, und das ist, zumindest in Deutschland, politisch gewollt. Daher werden derzeit Elektro- und Hybridfahrzeuge noch von der Bundesregierung gefördert, jedenfalls bis Ende 2022, danach schmelzen die Bundesprämien bis 2025 ab. Dennoch setzen einige schon heute auf den Wasserstoffantrieb – Toyota bei Pkw, andere wie MAN und Daimler Truck bei Lkw.
Noch ist die Branche in der Experimentierphase. Welche Antriebe eignen sich für welche Strecken in Sachen Effizienz, in Sachen Kosten-Nutzen und in Sachen Gewinnmarge? Wasserstoff ist kompliziert herzustellen und kaum ohne Energieverlust zu transportieren, um dann auch noch Fahrzeuge anzutreiben. Aber er könnte nützlich sein, um den Schwerlastverkehr zu dekarbonisieren – entweder per Wasserstoffverbrenner oder mithilfe von Brennstoffzellen, die neben Wasserstoff auch Gasvarianten verbrennen können –
so die Hoffnung der Hersteller. Die E-Batterieforschung macht zwar große Fortschritte, auch dahingehend, Rohstoffe wie Seltene Erden zu ersetzen. Doch Produktions- und Recyclingfragen, die den CO2-Fußabdruck eines E-Autos bis jetzt noch vertiefen, müssen in Zukunft im Sinne des Klimaschutzes geklärt werden. Laut einer US-Studie emittieren E-Autos jedoch auch beim aktuellen Strommix noch um zwei Drittel weniger CO2 als ein Verbrenner.
Und es gibt noch einen nicht zu unterschätzenden Punkt: die Digitalisierung. Ob Navigation, Notfall-Kontakt, Spurhalteassistent, autonomes Fahren: Immer mehr Autohersteller setzen verstärkt darauf, auch über die Assistenzsysteme hinaus digitale Angebote für die Kunden zu schaffen. Die Erwartungen sind positiv, doch zeigt sich damit auch das Risiko, dass sich der Markt auch für Nicht-Autohersteller öffnet. Je stärker die IT-Integration im Fahrzeug wird, desto einfacher ist es für IT-Unternehmen, die Zusammenarbeit mit traditionellen Herstellern zu vertiefen oder gar ein eigenes Fahrzeug zu bauen. Zudem verliert das eigene Auto als Statussymbol vor allem in der jungen Generation an Relevanz und wird zu einer Dienstleistung. Dieser Umbruch stellt die Branche vor die Herausforderung, nicht nur neuen Konkurrenzdruck aushalten zu müssen, sondern auch neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die den wandelbaren Bedürfnissen der kommenden Kundengeneration gerecht werden. Das Auto als Kernprodukt verabschiedet sich – Mobilität ist das neue Schlagwort, und diese soll, fordern jedenfalls Verkehrswissenschaftler, unabhängig vom Fahrzeug gedacht werden.