In seiner fast ein halbes Jahrhundert währenden Amtszeit als FBI-Chef wurde der vor 50 Jahren verstorbene J. Edgar Hoover zum wohl mächtigsten Mann der USA und überlebte acht Präsidenten. Er baute das FBI zur berühmtesten Polizeibehörde der Welt aus.
Es waren wohl die leidvollen Erfahrungen, die die USA mit dem fast ein halbes Jahrhundert amtierenden, dabei immer mächtiger, unantastbar und unabsetzbar gewordenen FBI-Direktor J. Edgar Hoover gemacht hatten, die den US-Kongress 1976 dazu veranlassten, die Dienstzeit des FBI-Chefs künftig auf zehn Jahre zu beschränken. Nicht einmal das Erreichen des Pensionsalters hatte J. Edgar Hoover seinerzeit dazu bewegen können, sein berufliches Ziel, den Aufbau des Federal Bureau of Investigation – kurz FBI – zur berühmtesten Polizeibehörde der Welt und gleichzeitig zum umstrittenen Inlandsgeheimdienst, zu beenden. 1964 war es ihm gelungen, Präsident Lyndon B. Johnson davon zu überzeugen, ihm seinen Job auf Lebenszeit zu garantieren.
Wäre er am 2. Mai 1972 in seiner Heimatstadt Washington im Alter von 77 Jahren nicht ganz friedlich im Schlaf an Herzversagen verstorben, hätte er seine beispiellose Karriere, die er am 10. Mai 1924 zunächst als Direktor des Bureau of Investigation begonnen und als Chef der am 23. März 1935 in Federal Bureau of Investigation umbenannten Behörde fortgesetzt hatte, noch einige Jahre fortführen und dabei wohl noch mehr als acht US-Präsidenten überleben können. Auch wenn der häufig zitierte Ausspruch, „Es ist mir egal, wer unter mir Präsident ist", wohl nicht aus seinem Munde gekommen war.
Er wusste alles über jeden
Kaum einer der Präsidenten hatte Hoover persönlich gemocht, aber allesamt hatten sie ihn gefürchtet. Weil jeder eine irgendwie geartete allzu menschliche Schwäche mit sich herumgetragen hatte, die er vor der Öffentlichkeit gern geheim halten wollte. Das Problem war nur, dass J. Edgar Hoover darüber garantiert Bescheid wusste und den Sachverhalt in seinen berüchtigten, gegen Übergriffe mit Codes bestens gesicherten Geheimdossiers, die er über all die Jahre über diverse Personen des öffentlichen Lebens der Vereinigten Staaten gesammelt hatte, festgehalten hatte. Damit stand Hoover ein gewaltiges Druckmittel zur Verfügung, weshalb sich niemand ernsthaft mit ihm anlegen wollte. „Auf jeden Fall ist es besser, ihn im Zelt zu haben und er pinkelt raus", sagte Lyndon B. Johnson 1971, „als dass er von draußen ins Zelt reinpinkelt."
Dafür musste sich selbst der jeweilige Chef des Weißen Hauses mit Hoover immer wieder arrangieren, auch wenn das FBI letztlich vor allem „ein Machtinstrument des amerikanischen Präsidenten" war, wie es der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete US-Journalist und Autor des Standardwerkes „FBI – Die wahre Geschichte einer legendären Organisation" Tim Weiner von der „New York Times" einmal auf den Punkt gebracht hatte. „Bislang hat sich noch jeder unserer Präsidenten als ein Staatschef im Krieg gefühlt", so Weiner weiter in einem „Spiegel"-Interview. „Und in diesen Kriegen war das FBI ein willkommenes Werkzeug zum Spionieren, Intrigieren und zum Machterhalt. Rechtsstaatlichkeit hat dabei nie eine wichtige Rolle gespielt." In ihren Recherchemethoden waren Hoover und sein FBI-Team daher nie sonderlich wählerisch, häufig agierten sie außerhalb der Legalität. Das hatte Präsident Harry S. Truman allerdings 1945 derart in Rage gebracht, dass er Hoover vorgeworfen hatte, das FBI zu einer amerikanischen Variante der Gestapo gemacht zu haben, ein andermal hatte er das FBI mit dem russischen KGB verglichen.
In der Schule ein Überflieger
Dabei hatte sich das spätere FBI aus einem relativ bescheidenen, 1908 durch den Juristen Charles Joseph Bonaparte, ein Verwandter des früheren französischen Kaisers, begründeten Vorgänger namens Bureau of Investigations (BOI oder BI) entwickelt. Dessen anfangs 34 Spezialagenten erhielten als Bundespolizei die Befugnis, über die jeweiligen Grenzen der US-Bundesstaaten hinaus Verbrecher, Spione oder korrupte Beamte zu jagen. Als der am 1. Januar 1895 in Washington geborene John Edgar Hoover im Jahr 1921 eine Anstellung als Vizedirektor beim BOI gefunden hatte, hatte der in einem erzkonservativen, christlich-religiös geprägten Staatsbediensteten-Haushalt aufgewachsene junge Mann schon nachdrücklich erste Kostproben seiner Tatkraft und Weltanschauung unter Beweis stellen können.
In der Schule wurde er als Überflieger gehandelt, den ursprünglichen Berufswunsch, presbyterianischer Priester werden zu wollen, gab er zugunsten eines Jura-Studiums auf. Nach dessen Abschluss trat er 1917 sogleich in die Dienste des US-Justizministeriums. Wo er sich schnell den Ruf eines strikten Antikommunisten erwerben und sich als Assistent von Justizminister Alexander Mitchell Palmer in den brutalen Razzien, die unter der Bezeichnung „Palmer Raids" bekannt werden sollten, gegen echte oder vermeintliche Linke hervortun sollte. Im Verlauf der größten Massenverhaftung der USA wurden auf Basis einer von Hoover erstellten und 150.000 Namen umfassenden Fahndungsliste mit Billigung der breiten Öffentlichkeit bis zu 10.000 Personen festgenommen. Als im Zuge eines großen Skandals um behördliche Vertuschungsversuche von Korruptionsvergehen, dem sogenannten Daugherty-Burns-Skandal, nicht nur der US-Justizminister Harry M. Daugherty, sondern auch der BOI-Direktor William J. Burns ihre Posten räumen mussten, wurde Hoover am 10. Mai 1924 mit der BOI-Leitung betraut.
Die Mafia ließ er immer in Ruhe
Hoover begann sogleich mit einer Professionalisierung der Behörde, wobei er die Angst vor der roten Gefahr ganz bewusst einerseits zu einem personellen Ausbau des BOI samt Agenten-Ausbildungsakademie, andererseits zur Einführung modernster kriminologischer Methoden nutzte. „Hoover ist der Begründer des modernen amerikanischen Überwachungsstaates", sagte Tim Weiner. „Jeder Fingerabdruck, jede DNA-Probe, jeder Satz biometrischer Daten, jedes Dossier über jeden Bürger in den USA verdanken ihre Existenz J. Edgar Hoover." Erst dadurch wurde eine systematische, Bundesstaaten übergreifende Verbrechenbekämpfung möglich, zumal den Agenten ab 1934 das Tragen von Waffen erlaubt wurde.
Die in FBI umbenannte Behörde baute ihre Kompetenzen über reine Polizeiaufgaben bei Verstößen gegen Bundesgesetze hinaus immer stärker Richtung geheimdienstlicher Aktivitäten aus. Dabei wurde das Zerrbild einer linken Unterwanderung der USA von Hoover stets als Argument für die Etablierung eines allumfassenden Überwachungsstaates eingesetzt. „Hoover war kein Monster", sagte Tim Weiner. „Er war ein amerikanischer Macchiavelli. Er war clever, er war ausgefuchst. Auf die Manipulation der öffentlichen Meinung verstand er sich meisterhaft."
Daher lieferte er der Presse in den 1930er-Jahren schlagzeilenträchtige Jagden auf landesweit bekannte Gangstergrößen wie John Dillinger, Alvin Karpis, Ma Baker, Baby Face Nelson, Bonnie & Clyde, Pretty Boy Floyd, Bruno Richard Hauptmann oder Machine Gun Kelly. Auch Hollywood konnte er zur Produktion von Filmen animieren, in denen FBI-Agenten als Helden stilisiert wurden. Im US-Fernsehen sollte sich die Serie „Das FBI", deren Drehbücher Hoover stets persönlich vorab unter die Lupe genommen hatte, in den 1950er- und 1960er-Jahren zu einem gigantischen Publikumserfolg entwickeln.
King war für ihn ein Staatsfeind
Mit der Mafia legte er sich hingegen auffälligerweise nie an. Womöglich hatten deren Bosse kompromittierendes Material über Hoover gesammelt. Bis heute werden immer wieder Spekulationen über eine kolportierte, aber nie wirklich bestätigte Homosexualität Hoovers ins Spiel gebracht. Diese Gerüchte fußten darauf, dass Hoover nie ernsthafte Beziehungen zu Frauen unterhalten, bis zu seinem 43. Lebensjahr bei seiner Mutter gewohnt und eine lebenslange Freundschaft zu seinem Stellvertreter Clyde Tolson unterhalten hatte, dem er auch den Großteil seines Vermögens vermachte. Die Verfolgung des organisierten Verbrechens schien Hoover, trotz der seit 1949 veröffentlichten legendären Liste der zehn „Most Wanted"-Gangster, ohnehin im Laufe seiner Karriere vernachlässigt zu haben. Was aber erst nach seinem Tod bei Sichtung der geheimen Unterlagen zutage trat und an seinem mit der höchsten zivilen Auszeichnung der USA, dem „Medal of Merit", 1946 gekrönten und von Präsident Richard Nixon als „nationales Symbol des Mutes, des Patriotismus und granitartiger Ehrlichkeit und Integrität" fest betonierten Rufs kratzte.
Hoover setzte sein FBI vor allem gegen politische Linksdenkende ein. Noch vor der berüchtigten McCarthy-Ära, deren Umtriebe von Hoover natürlich vorbehaltlos unterstützt wurden, hatte er 1950 Präsident Harry S. Truman eine Namensliste von 12.000 „potenziell gefährlichen Personen" vorgelegt, die in Gewahrsam genommen werden sollten. Als die Bürgerrechtsbewegung an Fahrt aufgenommen hatte, wurde sie von dem bekennenden Rassisten und öffentlichen Homosexuellenhasser Hoover als neuer großer Gegner eingestuft. „Hoover sah in der Bürgerrechtsbewegung die größte Gefahr für die Stabilität der US-Regierung seit dem Sezessionskrieg", sagt Tim Weiner. „Dieser Leute waren aus Hoovers Sicht Staatsfeinde; vor allem Martin Luther King war ein Staatsfeind."