Deutschland liefert nun doch direkt schwere Waffen an die Ukraine. Dem Beschluss ging ein zähes Ringen zwischen Union und Ampelregierung voraus. Es wird vermutlich nicht die letzte Eskalationsstufe sein.
Glamouröse Feiern in Kriegszeiten sind eine schmale Gratwanderung. Zwei Jahre lang ist alles der Pandemie zum Opfer gefallen, jetzt sollte vieles nachgeholt werden. Auch der Bundespresseball. Die Veranstalter widmeten zwar das einstige Stelldichein politischer Spitzenprominenz kurzerhand um in eine Ukraine-Solidaritätsveranstaltung. Aber in Zeiten, in denen die gerade beschlossene und zuvor lange umstrittene Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine möglich gemacht wurde, war der politischen Spitze nach allem, nur nicht nach Tanz auf edlem Parkett im Nobelhotel Adlon und den dazugehörigen Glamourbildern zumute.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte als Erster seine Teilnahme ab. Fotos und Videos eines tanzenden Bundespräsidenten mitten in Kriegszeiten hätten kein gutes Bild abgegeben, so das Bundespräsidialamt. Das haben auch Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Finanzminister Christian Lindner und viele andere so gesehen.
Und womöglich war ihnen als Nebeneffekt ihrer Absage auch gar nicht unlieb, dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk dabei nicht begegnen zu müssen. Der war als Ehrengast geladen und auch gekommen, wegen der Solidaritätsadresse.
Melnyk hatte dem Bundespräsidenten schwere Vorwürfe für seine prorussische Politik in seiner Zeit als deutscher Außenminister gemacht. Obendrein hatte die Regierung in Kiew das deutsche Oberhaupt mehr oder weniger als Staatsbesucher ausgeladen, wobei die Vorgänge um diese angebliche Ausladung weiter etwas nebulös sind.
Bundeskanzler Olaf Scholz konnte seine Japan-Reise als Absagegrund nennen. Mit diesem Antrittsbesuch konnte er auch der Abstimmung über schwere Waffen für die Ukraine im Bundestag einen Tag vorher fernbleiben. Gerade der Bundeskanzler hatte sich ja immer wieder genau gegen diese Lieferung ausgesprochen, er warnte sogar vor der Möglichkeit eines Dritten Weltkrieges, wenn Deutschland direkt schweres Kriegsgerät an die Ukraine liefern würde. Damit würde Deutschland weiter in den Krieg hineingezogen, so Scholz.
Vielen ist nicht nach Feiern zumute
Jetzt aber soll neben Gepard- und Marderpanzer auch die Panzerhaubitze 2000 an die Ukraine geliefert werden. Keine reine Verteidigungswaffe, vielmehr kann die Panzerhaubitze dank ihrer Schussreichweite auch als Angriffswaffe genutzt werden. Aus Sicht des Bundeskanzlers wohl ebenfalls bedenklich: Ukrainische Soldaten werden nun doch in Deutschland an der Panzerhaubitze ausgebildet, genau das sollte unbedingt vermieden werden. Dabei spielt es keine Rolle mehr, dass diese Ausbildung auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in der Pfalz stattfindet, Staatsrechtlich genau genommen also auf exterritorialem Gebiet. Dort haben, wie zum Beispiel auch in Grafenwöhr in der bayerischen Oberpfalz, allein die US-Streitkräfte und damit das Pentagon in Washington direkt das Sagen. Kommt aus dem amerikanischen Verteidigungsministerium die Anweisung, wir bilden dort jetzt ukrainische Soldaten aus, muss dies die Bundesregierung zur Kenntnis nehmen. Eine Protestnote aus dem Bundeskanzleramt verbietet sich in der derzeitigen Situation, da der deutschen Seite ja vor allem auch von der US-Administration immer wieder ein Zögern bei der militärischen Unterstützung der Ukraine vorgeworfen wird.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist nun genau da angekommen, wo er politisch auf keinen Fall landen wollte und wovor er in den letzten Wochen immer gewarnt hatte. Deutschland ist mit dem Bundestagsbeschluss zur Lieferung der schweren Waffen und obendrein durch die Ausbildung der ukrainischen Soldaten auf deutschen Boden aus russischer Sicht nun am Krieg direkt beteiligt.
Der russische Außenminister Lawrow polterte bereits wenige Stunden dementsprechend gegen die militärische Unterstützung der Ukraine aus Deutschland mit „Angriffswaffen". Die Ausbildung der ukrainischen Soldaten in Deutschland ist für Lawrow nur eine weitere Bestätigung, Deutschland ist längst in den Krieg aktiv eingetreten. Was wiederum eine bemerkenswerte Äußerung ist aus einem Land, das einen vernichtenden Angriffskrieg führt.
Für die deutsche Politik ist es eine verfahrene Situation, nicht nur für den Kanzler. Spätestens der Beschluss zur Lieferung schwerer Waffen bringt auch den grünen Koalitionspartner in schwierige Diskussionen. Der kleine Parteitag in Düsseldorf wäre beinahe zur Abrechnung mit den grünen Ministern in der Bundesregierung geraten. Denn gerade in der Grünen Jugend sieht man die Lieferung von schweren Waffen, das 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm der Bundeswehr und die Aufstockung des jährlichen Rüstungsetats auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts mehr als kritisch. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock ließ sich lediglich per Videobotschaft dazuschalten. Erneut musste Co-Chef Omid Nouripour die Kohlen aus dem Feuer holen. Er versprach mit entsprechendem Pathos seinen Parteifreunden, „Wir werden immer Friedenspartei bleiben". Nouripour gerät in den letzten Wochen immer wieder zum pazifistischen Feuerwehrmann seiner Partei, obwohl er genau diesem Flügel innerhalb der Grünen eigentlich nicht zugerechnet wird.
Nato: Grüne lehnen Zwei-Prozent-Ziel ab
Die Lieferung von schweren Waffen in ein Kriegsgebiet, ein Sondervermögen zur Wiederaufrüstung und eine erhebliche Steigerung der jährlichen Rüstungsausgaben haben auch bei den Grünen die Grenzen völlig verschoben, wenn nicht sogar aufgehoben. Pazifist Anton Hofreiter hat die Seiten parteiintern gewechselt und nun muss offenbar Co-Chef Nouripour diese Leerstelle ausfüllen. Bei der Abstimmung auf dem Grünen Parteikonvent ist dann ein mehr als fragwürdiger Kompromiss rausgekommen: Die Grünen als Partei unterstützen zwar die Bundeswehr mit mehr Geld für eine militärische Runderneuerung und auch die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Andererseits lehnte der Parteitag das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für Rüstungsausgaben im jährlichen Bundeshaushalt ab. Schwammiger geht es nicht, denn bis zum heutigen Tag ist nicht klar, wie die gigantischen Summen für die Neuausrüstung der Bundeswehr, schwere Waffen für die Ukraine und der erweiterte jährliche Rüstungsetat im Bundeshaushalt tatsächlich aufgeschlüsselt und am Ende abgerechnet werden.
Ein Punkt, der mittlerweile auch Sozialverbände und Gewerkschaften auf den Plan ruft, allen voran DGB-Chef Reiner Hoffmann. Der zeigte überraschend klare Kante gegen die geplanten Milliarden-Mehrausgaben für die Bundeswehr. Hoffmann warnt eindringlich vor einer Vernachlässigung des Sozialstaats zugunsten der Rüstung. „Deshalb sagen wir klar und deutlich Nein zu einer massiven Aufrüstung." Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes geht damit auf Konfrontationskurs zu seinem SPD-Parteifreund und Kanzler Olaf Scholz.
Die Debatte darüber, dass die militärische Friedenssicherung mit Hunderten Milliarden Euro Mehrausgaben zulasten des sozialen Friedens gehen könnte, hatte ausgerechnet Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) losgetreten. Dieser sprach in Anbetracht erheblicher Mehrausgaben vor allem für die Verteidigung von „Wohlstandsverlusten", auf die sich in Zukunft die Deutschen einstellen müssten. Nicht nur der DGB-Vorsitzende Hoffmann befürchtet, dass diese Wohlstandsverluste vor allem die kleinen Einkommen hart treffen werden. Darum fordert er alle Tarifpartner auf, in den Verhandlungen sich mit Forderungen nicht zurückzuhalten. In Anbetracht einer Inflationsrate von 7,4 Prozent allein im April nannte er auch schon mal eine Marke: mindestens acht Prozent mehr Lohn. Es stehen also in unruhige Zeiten diesem Sommer bevor.