Kleine Nase, Sommersprossen, volle Lippen – wie beeinflussen uns die Beauty-Filter der sozialen Netzwerke? Woher kommt das Verlangen nach Selbstinszenierung? Diese Fragen und viele mehr hat Medienpsychologin Regine Frener von der Universität Hohenheim beantwortet.
Frau Frener, viele Leute nutzen sogenannte Filter, um sich optisch zu verändern. Wie genau hat das mit den Filtern eigentlich begonnen?
Retuschiert und bearbeitet wurde schon immer – aber vor einigen Jahren war das nur mit deutlichem Aufwand und gewissen Fotobearbeitungskenntnissen möglich. Snapchat hat mit sehr verspielten, offensichtlichen Filtern einen Meilenstein gelegt, denn nun konnten Nutzerinnen und Nutzer innerhalb von Sekunden ihre Erscheinung verändern. Durch Instagram und die Möglichkeit, selbst Filter zu erstellen, wurden diese dann sehr populär, und unauffälligere Beautyfilter erhielten Einzug in die Social-Media-Welt.
Stark retuschierte Fotos, Freunde, denen wir in unserem ganzen Leben noch nie begegnet sind – flüchten wir uns durch Social-Media-Plattformen und Filter in eine virtuelle Scheinwelt?
Nicht unbedingt, denn die Nutzerinnen und Nutzer, die sich auf Social Media gern im besten Lichte präsentieren, machen das auch offline. Es ist mittlerweile allerdings schwieriger, die retuschierten Bilder zu erkennen, und wenn man sich das nicht bewusst macht, scheinen die Bilder natürlich deutlich glamouröser als die Realität.
In jüngeren Studien zeigt sich, dass Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich recht gut darin sind, die bearbeiteten Bilder zu erkennen – vor allem dann, wenn sie selbst häufig damit in Kontakt kommen und die Filter ebenfalls benutzen. Es zeigt sich aber auch, dass gerade die mäßig bearbeiteten Bilder auch mehr Likes bekommen und besser bewertet werden. Bei offensichtlichen Korrekturen sinkt das Engagement, und die Bilder werden weniger gut bewertet; hier gibt es eine Schwelle, über der die Bearbeitung als unnatürlich und unattraktiv wahrgenommen wird.
Welche Plattformen finden Sie in dieser Hinsicht am bedenklichsten?
Auch hier würde ich nicht per se eine Plattform verteufeln, denn die Bearbeitungstools gibt es mittlerweile in vielen Anwendungen, und man kann ein bearbeitetes Bild auch anderswo – beispielsweise auf Tinder – einstellen. Aber sicherlich bietet Instagram derzeit die meisten Möglichkeiten, die eigenen Bilder ganz schnell beliebig aufzuhübschen. Bei Tik-Tok ist es gängig, Filter auch auf Live-Videos zu legen; und das ist einigen Nutzerinnen und Nutzern vielleicht noch nicht bewusst.
Es begann mit Hasenohren, hat sich inzwischen aber zur Optimierung des eigenen Ichs ausgedehnt. Auch Filter, die Schönheits-OPs suggerieren, sind inzwischen beliebt. Man ist ständig unrealistischen Schönheitsidealen ausgesetzt – wozu kann das führen?
Gerade diejenigen, die sehr stark dazu neigen, sich mit anderen zu vergleichen, werden durch unrealistische Schönheitsideale unter Druck gesetzt. Besonders junge Mädchen, die im Prozess der Identitätsfindung stecken, sind hiervon beeinflusst; generell kann der ungesunde Vergleich aber alle treffen. Studien zeigen, dass diese Gruppe eine stärkere Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen empfindet. Auch die Wahrnehmung anderer Personen kann durch intensive Auseinandersetzung mit bearbeiteten Bildern verzerrt werden – das muss aber nicht zwangsläufig so sein.
Häufig wird in diesem Kontext über die gesteigerte Akzeptanz für Schönheitsoperationen gesprochen. Allerdings ist das kein direkter Einfluss, der uns alle gleichermaßen betrifft – vielmehr wird er durch andere Faktoren, wie einem starken Bedürfnis nach sozialem Vergleich oder einem geringeren Selbstwert, vermittelt. Das heißt, wenn ich beim Anblick der bearbeiteten Bilder beispielsweise keine negativen Gefühle mir selbst gegenüber empfinde, werden auch Schönheitsoperationen nicht interessanter für mich. Außerdem hängt die erhöhte Akzeptanz zu einem gewissen Grad auch damit zusammen, dass viele Influencer und Influencerinnen sich offen dazu bekennen und die Eingriffe damit gesellschaftlich normalisiert werden. Wer eine Neigung dazu hat, sich Eingriffen zu unterziehen, und durch Social Media getriggert wird, wird es mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch umsetzen. Aber alle anderen sind davon nicht unbedingt betroffen.
Woher kommt eigentlich das Verlangen nach Selbstinszenierung?
Es ist eines der ursprünglichen Bedürfnisse von Menschen, sich selbst in gutes Licht zu rücken, um anderen zu gefallen – dahinter steckt der Wunsch nach Anerkennung, Bewunderung und Verbundenheit. Das ist per se nichts Negatives. Allerdings gibt uns Social Media die Möglichkeit, das auch praktisch rund um die Uhr zu betreiben; und damit wächst auch der Druck, dem nachzugehen. Wo genau Selbstinszenierung der eigenen Psyche mehr schadet als nutzt, lässt sich gar nicht so leicht bestimmen – fällt auch das liebevoll arrangierte Urlaubsbild darunter, oder ein Schnappschuss, auf dem wir uns besonders vorteilhaft wahrnehmen? Ein gewisses Maß an Selbstinszenierung ist online wie auch offline ganz normal. Egal, ob wir eine Geschichte etwas ausschmücken oder unser Outfit sorgfältig auswählen; wir wollen, dass andere uns mögen. Gerade wenn wir das Gefühl haben, dass eine Diskrepanz besteht zwischen dem Eindruck, den andere von uns haben und dem, wie wir gern sein wollen, steuern wir unsere Außenwirkung bewusster und inszenieren uns möglicherweise als besonders schön, kompetent, aber auch vielleicht hilfsbedürftig oder verletzlich. Solange wir gleichzeitig authentisch auftreten können, insbesondere in unserem engeren Kreis, ist das unproblematisch. Wir wissen aber mittlerweile, dass gerade Personen mit narzisstischen Zügen eher zur Selbstdarstellung neigen – vor allem, wenn sie ein hohes Verlangen nach Zugehörigkeit empfinden.
Ist „Schönheit" wirklich definiert? Oder unterliegen Gesichtsform, Lippen und Körper nur Trends, die immer mal wieder wechseln?
Es gibt gewisse biologische Schönheitsmerkmale, die seit jeher als ästhetisch wahrgenommen werden; allen voran Symmetrie. Auch das sogenannte Kindchenschema ist ein stabiles Schönheitsideal: Große Augen und ein unschuldiger Blick erwecken Assoziationen an Babys und spreche jene Gehirnregionen an, die positive Gefühle und Beschützerinstinkte aktivieren. Auch das schlanke Schönheitsideal hält sich über Jahrzehnte hinweg, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen: Waren es vor einigen Jahren noch sehr schmale Körper, sind es nun eher sportlich-definierte Silhouetten oder die Kardashian-inspirierte Sanduhrfigur, die aber letzten Endes auch nicht die Üppigkeit vergangener Zeitalter propagiert. Das prägt unser Verständnis von Schönheit. Darüber hinaus gibt es aber natürlich auch kurzlebigere Trends, wie eben Augenbrauen und Frisuren.
Was fasziniert Menschen daran, sich vermeintliche Idealbilder bei Insta & Co. anzuschauen?
Wir mögen Dinge, die schön sind und die anderen gefallen. Aber alleine das Anschauen sagt noch nichts darüber aus, wie ich solche Bilder bewerte und welchen Effekt das auf mich hat. Die Trends auf sozialen Medien beeinflussen uns nicht alle gleichermaßen – auch hier kommt es wieder darauf an, welche persönlichen Erfahrungen ich gemacht habe; wie sich mein soziales Umfeld gestaltet, also beispielsweise welche Vorbilder ich habe und wer mich in meinem Selbstwert bestätigt; und aus welchen Gründen ich soziale Medien überhaupt nutze. Nur weil etwas verfügbar ist, heißt das nicht gleich, dass ich mich dem anpasse oder eine „Sucht" entwickle. Generell lässt sich aus psychologischer Sicht nicht von einer Sucht sprechen, dafür sind die Kriterien nicht erfüllt. Außerdem finden wir in groß angelegten Studien, beispielsweise in Meta-Analysen, die viele einzelne Studienergebnisse zusammenfassen, keinen Zusammenhang zwischen Social-Media-Nutzung und einem (geringeren) Wohlbefinden. Anders gesagt, Social Media macht uns per se nicht unglücklich.
Kleine Nase, Sommersprossen, volle Lippen – durch Filter sehen sich die Nutzer immer ähnlicher. Wird Individualität in unserer Gesellschaft immer unwichtiger?
Nein, das kann man so nicht sagen. Wenn wir uns 20 Jahre alte Fotos anschauen, sehen auch viele gleich aus – mit dünnen Augenbrauen und tief sitzenden Jeans. Trends kommen und gehen, und sie prägen, wie eine Generation wahrgenommen und erinnert wird. Und Social Media ist weitaus mehr als gefilterte Gesichter mit vollen Lippen; es gibt uns auch den Raum für Aktivismus und Nachrichten, Kunst und Nischenangebote und vieles mehr. Das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir über Social Media sprechen. Und hinter der Selbstinszenierung kann ja auch der Wunsch, sich von der Masse abzuheben, stecken.
Man spricht in dem Zusammenhang schon von einer „Snapchat-Dysmorphia". Ist das eine richtige Krankheit?
Im engeren, klinischen Sinne nicht. Aber das Phänomen ist durchaus ernst zu nehmen. Wer sich häufig durch die Kameralinse wahrnimmt, sieht ein verzerrtes Bild von sich selbst – und das auch bereits ohne Filter, weil die Perspektive und Brennweite das eigene Gesicht anders abbilden als real. Und genau dem wirken die Beautyfilter entgegen, indem sie beispielsweise die unnatürlich große Nase in ein filigranes Stupsnäschen verwandeln. Wird das für Nutzerinnen und Nutzer zum Normalbild, kann man sicherlich davon sprechen, dass das dem eigenen Selbstwert nicht zuträglich ist; insbesondere dann, wenn man eben doch einen Blick in einen normalen Spiegel wirft oder sich selbst auf den unbearbeiteten Bildern anderer betrachtet.
Muss hier Ihrer Ansicht nach etwas getan werden?
Verbote und Einschränkungen finde ich prinzipiell schwierig, sowohl vonseiten der Eltern als auch der Politik. Auf Makroebene ist eine klare Kennzeichnungspflicht für gefilterte Inhalte der bessere Weg, so wie es mit Werbung mittlerweile gemacht werden muss. Allerdings ist es schwierig zu bestimmen, wo genau das anfängt; denn wenn Helligkeit und Kontrast eines Bildes angepasst werden, ist das noch lange kein Beautyfilter. Im persönlichen Umgang haben Eltern die Verantwortung, ihren Kindern den bewussten und gesunden Umgang mit Medien mitzugeben. In vielen Studien zeigt sich, dass elterliche Begleitung, also das gemeinsame Nutzen und Erleben von Medien, den größten Pufferfaktor gegen negative Effekte darstellt. Das ist natürlich gerade bei Social Media deutlich schwieriger, denn die Rezeption findet ja nicht gemeinsam auf dem Sofa statt wie beim Fernsehen. Umso wichtiger ist es, dass Eltern mit ihren Kindern darüber sprechen, was sie sich anschauen und wie sie die Inhalte beurteilen. Wenn dieser sichere Umgang von Grund auf gelernt und gelebt wird, und Kinder ihren Selbstwert aus anderen Quellen als Social Media schöpfen können, wird es ihnen gelingen, die positiven Seiten – Inspiration, Verbundenheit, Unterhaltung, Information und vieles mehr – nutzen zu können. Und gerade Themen wie Body Positivity werden ja auch weitläufig diskutiert. Außerdem hat in den letzten Jahren die Authentizität in sozialen Medien stark zugenommen.