Die Entdeckung eines riesigen Schatzes machte Heinrich Schliemann 1873 schlagartig zum Superstar der internationalen Archäologie. Nach dem Zweiten Weltkrieg entspann sich um diesen dann eine veritable Kriminalgeschichte.
Heinrich Schliemann hat sich keineswegs nur mit seiner geliebten „Ilias" unterm Arm auf die Suche nach dem Standort für das Homerische Troja gemacht. Vielmehr hatte er sich alle verfügbaren historisch-topografischen Handbücher über die schon seit der Antike als Troas bekannte Landschaft rund um die Meerenge der Dardanellen besorgt. Und er war natürlich auch mit den beiden gängigsten Theorien seiner Zeit über die Lokalisierung der inmitten der Troas gelegenen Stadt Ilios vertraut, um die der heldenhafte Kampf in dem literarischen Opus getobt hatte. Die maßgeblichen deutschen Altphilologen und Archäologen mit Ernst Curtius an der Spitze, dem späteren Olympia-Ausgrabungsleiter, präferierten einen Hügel namens Burnabaschi. Andere Wissenschaftler hatten in den Fußstapfen eines Essays des schottischen Hobbyforschers und Zeitungsverlegers Charles Maclaren aus dem Jahr 1861 dem Hügel Hisarlik den Vorzug gegeben.
Der Schatz umfasst gut 8.000 Stücke
Schliemann nahm daher beide persönlich in Augenschein. Doch Burnabaschi schied für ihn allein schon deshalb aus, weil die umgebenden steilen Flanken das in der „Ilias" beschriebene Rennen um die Burg zwischen Hektor und Achilleus aus seiner Sicht unmöglich gemacht hätten. Rund um das nur wenige Kilometer entfernte Hisarlik, wohin sich Schliemann auf Anraten des Hobby-Archäologen und britischen Diplomaten Frank Calvert anschließend begeben hatte, war das möglich. „Ich glaube bestimmt, dort die Burg von Troja zu finden", schrieb Schliemann denn auch gleich hoffnungsfroh in einem schwesterlichen Brief.
Voller Ungeduld ließ er im April 1870 erste Grabungen ohne behördliche Genehmigungen seitens des Osmanischen Reiches vornehmen. Am 12. August 1870 hatte er endlich die offizielle Grabungsgenehmigung aus Konstantinopel erhalten. Die darin enthaltene Einschränkung des forschenden Buddelns ausschließlich auf das in Besitz von Calvert befindliche Hisarlik-Areal wurde auf Intervention der amerikanischen Botschaft für ihren Staatsbürger Schliemann aufgehoben. Am 11. Oktober 1871 wurde die erste Grabungskampagne in Angriff genommen. Die Ergebnisse waren für Schliemann zunächst ziemlich enttäuschend. Dennoch ließ er sich nicht entmutigen: „Die Schwierigkeiten vermehren nur mein Verlangen, das jetzt endlich vor mir liegende Ziel zu erreichen und zu beweisen, dass die ‚Ilias‘ auf Tatsachen beruht."
Auch die zweite Grabungskampagne war aus Schliemanns Sicht trotz der Entdeckung eines kulturhistorisch bedeutsamen Frieses namens Helios-Metope völlig unbefriedigend. Doch kurz vor Ende der dritten Grabungskampagne gelang Schliemann am 31. Mai 1873 dann doch noch der Durchbruch mit einem Sensationsfund, den er nach eigenen Angaben in „acht bis neun Metern Tiefe" geschützt durch eine riesige Kupferummantelung entdeckt hatte. Er deklarierte ihn wenig später als „Schatz des Priamos" und schrieb: „Vermutlich hat jemand aus der Familie des Priamos den Schatz in aller Eile in die Kiste gepackt, diese fortgetragen, ist aber auf der Mauer von Feindeshand oder vom Feuer erreicht worden und hat die Kiste im Stich lassen müssen, die sogleich mit der roten Asche und den Steinen des Hauses überschüttet wurde".
Die Bergung des Schatzes erfolgte laut Schliemann natürlich unter erheblicher Lebensgefahr. Während er seine Arbeiter in eine Essenspause geschickt habe, „schnitt ich den Schatz mit einem großen Messer heraus, was nicht ohne die allergrößte Kraftanstrengung und die furchtbarste Lebensgefahr möglich war, denn die große Festungsmauer, welche ich zu untergraben hatte, drohte jeden Augenblick auf mich einzustürzen". Kann diese kleine Schummelei noch als fahrlässig eingestuft werden, so war die Erfindung der Ehegattin Sophia als Mitentdeckerin und somit Zeugin der Glaubwürdigkeit Schliemanns wenig förderlich. Kein Wunder, dass nach Aufdeckung des Schwindels sogar Gerüchte die Runde gemacht hatten, dass Schliemann die Preziosen irgendwo käuflich erworben oder sogar eigens hatte herstellen lassen, um sie heimlich vor Ort zu deponieren.
Mehrere Länder streiten heute darum
Da Schliemann nicht bereit war, den aus rund 8.000 Stücken bestehenden Schatz – Kessel, Kelche, Becher oder Vasen voller Schmuckstücke aus Gold, Elektron, Silber, Kupfer oder Bronze, darunter zwei Diademe, ein schmales Stirnband, Ohrgehänge und Armreife – vertragsgemäß mit dem Osmanischen Reich zu teilen, ließ er den Fund heimlich auf verschlungenen Wegen – und garantiert nicht wie von ihm behauptet im Schal seiner Ehefrau verborgen – in sein Athener Haus fortschaffen. Er bot den Schatz unter anderem dem Louvre und der Eremitage vergeblich zum Kauf an und musste dem Sultan nach einem einjährigen Gerichtsprozess zum endgültig alleinigen Besitz des Fundes eine Ausgleichszahlung leisten. Statt der geforderten 10.000 Goldfranken soll er aus Kulanz sogar 50.000 Goldfranken übergeben haben.
Nachdem Schliemann seinen Fund zwischen 1877 und 1880 im Londoner South-Kensington-Museum hatte ausstellen lassen, vermachte er 1881 seinen Schatz, der auf weit vor der Epoche des Homerischen Krieges datiert wurde, kurz vor seinem Tod widerwillig „dem deutschen Volk zum ewigen Besitz". Die Sammlung wanderte zunächst ins Berliner Kunstgewerbemuseum, dem heutigen Martin-Gropius-Bau, und wurde 1885 an das Völkerkundemuseum weitergereicht. Während des Zweiten Weltkrieges war der Schatz in drei Kisten in einem Flakbunker am Zoo gesichert worden. Da die Anweisung Adolf Hitlers, die Kostbarkeiten möglichst schnell nach Westen transportieren zu lassen, nicht befolgt wurde, gelangte der Schatz in die Hände der russischen Armee und galt seit Kriegsende als verschollen.
Bei einem Besuch Boris Jelzins 1993 in Athen plauderte der damalige russische Präsident dann allerdings aus, dass sich der Troja-Schatz wohlbehalten in Moskau befinde. Da damit das lange wohlgehütete Geheimnis gelüftet worden war, wurde der Schatz 1996 erstmals wieder der Öffentlichkeit präsentiert: im Moskauer Puschkin-Museum. Seitdem fordert die Bundesrepublik von Russland die Rückgabe dieser Beutekunst – bislang vergeblich, weil die russische Duma 1996/1997 per Gesetz die erbeutete Kunst generell zum Nationaleigentum erklärt hatte. Neben Deutschland haben längst auch die Türkei und Griechenland Ansprüche auf den „Schatz des Priamos" geltend gemacht. Im Neuen Museum in Berlin, genauer gesagt im Schliemann-Saal des Museums für Vor- und Frühgeschichte, können daher bislang fast nur Nachbildungen von Schliemanns Sensationsentdeckung aus der frühen Bronzezeit bewundert werden.