Auch mehr als 3.000 Jahre nach Ende seiner Hochkultur sind die Spuren des historischen Mykene auf dem griechischen Peloponnes deutlich zu sehen. Heinrich Schliemann hat hier vor 146 Jahren Sensationelles zu Tage gefördert.
Der Schweiß rinnt in Strömen. Selbst für das sonnenverwöhnte Griechenland ist es ein ungewöhnlich heißer Augusttag. Das Thermometer kratzt an der Marke von 40 Grad Celsius, die Luft scheint regelrecht zu stehen. Nur selten weht ein sanfter Windhauch von der gut 20 Kilometer weiter südlich liegenden Küste über die karge, staubige Berglandschaft der Ausgrabungsstätte von Mykene. Dankbar für ein wenig Schatten betreten wir das Schatzhaus des Atreus, ein unterirdischer Tholos-, oder Kuppelbau, der um 1250 v. Chr. errichtet wurde.
900 Meter lange Mauer um Festung
Es liegt etwa 400 Meter südwestlich der Oberstadt von Mykene, dem eigentlichen Ausgrabungsort und Ziel unseres Ausflugs. Die unterirdische Kuppel galt mehr als 1.300 Jahre lang als die größte Kreiskuppel bis zum Neubau des Pantheons in Rom – und ist bis heute wirklich beindruckend. Ein 36 Meter langer gemauerter Gang führt auf eine Grabkuppel zu. Der Eingang ist mehr als zehn Meter hoch, die dahinterliegende Kuppel hat einen Durchmesser von 14,60 Meter und ist 13,50 Meter hoch. Die eigentliche Grabkammer befindet sich in der Kuppel rechts vom Eingang und ist nicht zugänglich. Sie ist vom Hauptraum aus zumindest einsehbar, sofern man eine Taschenlampe dabei hat. Das Schatzhaus des Atreus ist übrigens eines von neun bislang dort entdeckten Kuppelgräbern.
Etwas erholt nehmen wir den letzten Anstieg in Angriff – zur Akropolis von Mykene. Angesichts der brütenden Hitze ist es schwer vorstellbar, dass hier Menschen zum exakt gleichen Zeitpunkt des Jahres 1876 damit begonnen haben, der Ausgrabungsstätte mit Spaten und Spitzhacken ihre verborgenen Geheimnisse zu entlocken. Heinrich Schliemann und seine Expedition waren nicht die ersten, die hier gruben. Mykene, einstmals eine der bedeutendsten Städten Griechenlands, nach der die mykenische Kultur benannt wurde, hat bereits zuvor Abenteurer und selbsternannte Forscher angelockt – und Grabräuber, wie Schliemann feststellen sollte. Umso überraschender ist die Vielzahl an Fundstücken, die Schliemanns Expedition bergen konnte.
Mykene war in der Bronzezeit Königspalast, Festung und Hauptstadt der Region Argolis auf dem Peloponnes – jener Halbinsel nahe der Hauptstadt Athen, die so reich ist an unvergesslichen historischen Ausgrabungsstätten: Olympia, das Amphitheater von Epidaurus, Mystras oder eben Mykene. Das Machtzentrum mykenischer Könige lag auf einem Bergkegel am Rand der Ebene von Argos. Die Palaststadt Mykene lag am Landweg zwischen südlichem Peloponnes und dem sogenannten Isthmus von Korinth, einer Landenge, die das Gebiet mit Athen und Nordgriechenland verbindet und heute vom eindrucksvollen 6,3 Kilometer langen Kanal von Korinth unterbrochen wird. Erste Funde der Siedlungsgeschichte von Mykene reichen bis in die Steinzeit 3.500 Jahre v. Chr. zurück. Gut 2.000 Jahre später begann die Befestigung durch mehrere Ringmauern, die in drei Bauphasen angelegt wurden, und einem gewaltigen Eingangstor – dem Löwentor.
Die Burg liegt auf einem Areal von etwa 30.000 Quadratmetern und wird von einer 900 Meter langen Mauer umschlossen. Seine Hochkultur erlebte die Region im 14. und 13. Jahrhundert v. Chr., die Stadt selbst blieb noch bis ins 5. Jahrhundert bewohnt. An herausragender Stelle lag der mykenische Palast – das Megaron. Dieser Rechteckbau bestand aus offener Vorhalle, die auf Säulen ruhte, und der Haupthalle mit dem Herd. Hier sollen die mächtigen Könige Atreus und Agamemnon geherrscht haben. Allerdings sind vom mykenischen Königspalast auf dem höchsten Punkt der Akropolis nur noch einige wenige Reste erhalten. Er wurde mutmaßlich durch einen schweren Brand zerstört. Die Wände im Megaron waren mit Fresken verziert, die man gefunden hat. Die meisten davon sind – wie übrigens fast alle originale Fundstücke antiker griechischer Ausgrabungen – im Nationalmuseum von Athen zu bestaunen.
Wie gesagt, Schliemann war nicht der erste, der hier grub. Das berühmte Löwentor aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. war bereits Jahre zuvor freigelegt worden. Das Tor besteht aus insgesamt vier Monolithblöcken, jeder mehrere Tonnen schwer, die eine Öffnung mit einer Höhe von 3,10 Metern und einer Breite von drei Metern bilden. Alleine der Türsturz-Monolith bringt ein Gewicht von gut zwölf Tonnen auf die Waage. Über ihm befindet sich das namensgebende Entlastungsdreieck mit dem Löwenrelief. Die Löwen stehen links und rechts einer zentralen, minoischen Säule, die auf zwei ausgehöhlten Opferaltären steht. Im Laufe der Zeit sind die Köpfe der Löwen zerstört worden, dennoch ist es die älteste Monumentalplastik, die je in Europa entdeckt wurde.
Völlig unbekannt waren jedoch bis dahin die von Schliemann entdeckten sechs Schachtgräber des heute so benannten Gräberrunds A. Am 9. September 1876 stieß die Expedition auf einen Versammlungsplatz aus zwei konzentrischen Ringen aus aufrechtstehenden flachen, polierten Steinplatten mit einem Außendurchmesser von rund 30 Metern. Bei Testgrabungen an dieser Stelle kamen zunächst einfache Grabstelen und Grabbeilagen zutage. Ende November wurden die Schachtgräber freigelegt. Neun Männer, acht Frauen und zwei Kinder waren darin bestattet worden.
Goldmaske gehörte nicht Agamemnon
Die reichhaltigen Grabbeigaben – unter anderem ein silbernes Trinkgefäß, ein sogenanntes Rhyton in Form eines Stierkopfes mit goldenen Hörnern – ließen Schliemann annehmen, es müsse sich um die Gräber der Herrscherfamilie handeln. Entsprechend schrieb er am 16. November 1876 ein Telegramm an den griechischen König mit dem Wortlaut „Grab von Agamemnon und seiner Gefährten gefunden". Eine schillernde Goldmaske bestärkte Schliemann in dieser Auffassung. Schon zu Lebzeiten Schliemanns war allerdings klar, dass die sogenannte Goldmaske des Agamemnon nicht aus der Zeit des Trojanischen Krieges stammen kann. Sie war vermutlich vielmehr die Bestattungsbeigabe an einen mykenischen Fürsten, der wohl rund 300 Jahre vor dem berühmten Herrscher der Griechen – falls es diesen außer bei Homer je gegeben haben sollte – in Mykene lebte und starb.
In den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde ein weiterer Grabzirkel freigelegt. In ihm fanden sich zum Teil noch ältere Gräber als im Grabzirkel A. Sie stammen aus dem späten 17. oder frühen 16. Jahrhundert v. Chr. Seit 1999 gehört Mykene übrigens zum Unesco-Weltkulturerbe.
Vor zwei Jahren übrigens herrschte eine ähnlich brütende Hitze wie bei unserem Besuch. Doch dieses Mal wäre die historische Stätte um ein Haar ein Raub der Flammen geworden. Verheerende Waldbrände, die in den Sommermonaten in ganz Griechenland wüteten, fraßen sich Ende August 2020 bis zum Schatzhaus des Atreus vor. Die antiken Denkmäler blieben zum Glück unbeschädigt. Der Verlust dieser unschätzbaren Zeitzeugnisse wäre eine Katastrophe gewesen.