Es ging schon recht historisch zu in diesen Tagen. So historisch, dass ich mich an eine Diskussion erinnern musste, in der meine Gesprächspartnerin kurzerhand die Abschaffung historischer Wissenschaften forderte. Begründung für die radikale Forderung: Die Menschheit lernt eh nichts aus der Geschichte – sondern missbraucht sie.
So heftig wie damals kann mein Protest heute nach diesen Mai-Gedenktagen mitten im Krieg nicht mehr ausfallen. Mehr noch: Müsste ich nicht vielleicht sogar kleinlaut zustimmen, wenn ich an einige Reden zum Jahrestag des letzten Weltkriegsendes denke? Die haben einmal mehr das ohnehin mulmige Gefühl bestärkt, dass „Zeitenwende" erst einmal bedeutet, auf einer Reise zurück in längst überwunden geglaubte Zeiten zu sein. Samt dazugehöriger fataler Rhetorik derer, die die Vernichtung eines Landes, millionenfache Vertreibung und eine bislang nicht bekannte Zahl Toter mit merkwürdigen Narrativen umgeben.
Natürlich lässt sich der Satz, Putin dürfe diesen Krieg nicht gewinnen, dick unterstreichen. Nur: Was heißt das? Und wie viel sind wir bereit, für dieses noch recht unkonkrete Ziel zu leisten?
Ich habe das – historische – Glück, zu der ersten Generation zu gehören, die in einem Europa ohne Krieg aufwachsen und leben durfte. Bis zu eben jenem 24. Februar.
Dieses Europa liefert gleichzeitig zu den Kriegsgedenktagen auch etwas anderes, historisch übrigens bislang auch einmaliges: 800 Bürgerinnen und Bürger haben ein Jahr lang an der EU-Zukunftskonferenz gearbeitet, 300 Vorschläge „von unten" liegen nun auf dem Tisch, um die EU teils weiterzuentwickeln, teils auf neue Füße zu stellen. Vorbereitung für einen „Konvent" zu einer neuen EU-Verfassung. Gestartet übrigens lange vor dem Krieg. Natürlich wird das alles nicht von heute auf morgen und wohl auch nicht 1:1 umgesetzt. Es aber einfach in eine Schublade zu legen wird nicht gehen. Schwer vorstellbar, dass in Deutschland so etwas gewagt würde. Europa kann anders. Auch als Lehre aus der Geschichte. Auf die 1 in den Nachrichten hat es die Meldung darüber nicht geschafft. In Kriegszeiten hätte sie es aber verdient. Es kann eben auch anders gehen mit der Geschichte.
Aber das ist eine noch junge Geschichte und ziemlich fragil.