Quasi auf der Couch mussten Spieler und Verantwortliche von Viktoria Berlin mitanschauen, wie sich ein Konkurrent nach dem anderen am vorletzten Spieltag den Klassenerhalt sicherte. Nur noch den SC Verl kann der Neuling vom Nicht-Abstiegsplatz verdrängen.
Der Familienausflug zum Heidepark Soltau war für Rocco Teichmann eine Herausforderung. Eigentlich sollten Achterbahn, Schiffschaukel, Drachengrotte und viele Leckereien den Sportdirektor von Viktoria Berlin an seinem freien Wochenende vom nervenaufreibenden Abstiegskampf ablenken. Doch das Gegenteil war der Fall. Immer wieder schielte Teichmann auf sein Handy, um im Live-Ticker die Ergebnisse der 3. Fußballliga zu checken. Und was er dort sah, vermieste ihm die unbeschwerte Ausflugsstimmung. „Man muss Familie und Beruf immer ein bisschen trennen", sagte er, „aber es war nicht so schön."
Am vergangenen Sonntag machten Viktoria Köln (2:0 gegen 1. FC Kaiserslautern) und der Hallesche FC (2:1 bei den Würzburger Kickers) den Klassenerhalt perfekt. Da sich am Tag zuvor auch der MSV Duisburg (1:0 gegen SC Freiburg II) endgültig aller Abstiegssorgen entledigt hatte, verkleinerte sich der Kreis der Mitkonkurrenten für Viktoria von vier auf einen: Nur den SC Verl kann der Aufsteiger am letzten Spieltag noch verdrängen und den Klassenerhalt feiern. Das Problem ist: Auch die Verler holten am vergangenen Wochenende drei Punkte (2:1 gegen Borussia Dortmund II) und tauschten mit Viktoria den Abstiegsplatz. Und die Berliner mussten alles tatenlos mitanschauen, denn wegen des Rückzugs des vorgesehenen Gegners Türkgücü München wegen Insolvenzanmeldung hatten sie spielfrei.
„Der ganze Spieltag ist schon extrem gegen uns gelaufen", haderte Teichmann: „Sicherlich hätten wir uns eine bessere Ausgangsposition gewünscht, aber die haben wir jetzt nicht. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, und dann sehen wir, wofür es reicht." Nur mit einem Sieg am Samstag (14. Mai, 13.30 Uhr) im Jahnsportpark gegen den SV Meppen wahrt der Drittliga-Neuling seine Chance auf eine zweite Saison im Profifußball. Sollte Verl aber im Parallelspiel zu Hause gegen den MSV Duisburg mindestens einen Punkt holen, würde auch das nicht reichen. „Wir hätten uns gerne mehr Konkurrenten gewünscht, mit denen wir jetzt noch um den Klassenerhalt spielen", gab Teichmann zu: „Aber das ist kein Wunschkonzert."
Zumal ein Sieg gegen den SV Meppen, der zuletzt mit einem 3:2-Erfolg gegen Aufsteiger Eintracht Braunschweig überraschte, alles andere als eine leichte Aufgabe wird. Trainer Farat Toku setzt auf den emotionalen Schub, der durch den Last-Minute-Erfolg gegen den 1. FC Saarbrücken (2:1) vor zwei Wochen freigesetzt wurde.
Auch ohne ein Pflichtspiel am Wochenende zog Trainer Toku im Training die Zügel an, er habe „die Spannung hochhalten" und „den Fokus auf Meppen" legen wollen. Das sei auch notwendig, meinte Teichmann: „Wir müssen alle Kräfte mobilisieren, um uns mit einem Erfolg aus der Saison zu verabschieden. Und wenn Duisburg mitspielt, haben wir etwas zu feiern am nächsten Wochenende."
Das Problem aus Berliner Sicht: Die Duisburger feierten mit dem 1:0 gegen SC Freiburg II am vergangenen Spieltag den Klassenerhalt, entsprechend dürfte die Spannung beim Team von Trainer Torsten Ziegner nicht mehr ganz so hoch sein. „Es war ein unglaublicher Druck auf dem Kessel", gab MSV-Profi Moritz Stoppelkamp zu, „jedem war bewusst, was passieren würde, wenn das hier schiefgehen würde. Deswegen fällt uns ein Riesenstein vom Herzen." Trainer Ziegner lobte die „Moral und Mentalität, um noch diesen einen Sieg zu holen". Das ist gelungen – und nun?
Viktoria kann nur auf die Professionalität bei den Duisburgern hoffen, die während der gesamten Saison unter ihren Möglichkeiten geblieben waren. „Wir gehen mal davon aus, dass der MSV das Spiel so angeht, dass er es erfolgreich bestreitet", sagte Teichmann, der in diesem Zusammenhang auch ein hoffnungsvolles Beispiel aus der Bundesliga nannte: „Man hat es beim VfL Bochum gesehen: Die haben auch den Klassenerhalt gefeiert und sicher das ein oder andere Bierchen getrunken, aber am nächsten Spieltag haben sie trotzdem performt."
Die Talfahrt hatte nichts mit der Mentalität des Teams zu tun
Dass Viktoria bis zum letzten Spieltag zittern muss und sogar auf Schützenhilfe angewiesen ist, dafür wollten die Verantwortlichen nicht andere oder die Umstände verantwortlich machen. „Unsere Lage haben wir uns selbst zuzuschreiben", gab Teichmann unumwunden zu. Und das hat zwei Gründe. Da wäre zum einen der brutale Absturz nach dem herausragenden ersten Teil der Hinrunde, als man unter anderem Topteams wie Eintracht Braunschweig und den
1. FC Kaiserslautern jeweils mit 4:0 vom Platz gefegt und sich auf den Aufstiegsplätzen festgesetzt hatte. Die Verantwortlichen betonen zwar, dass die anschließende Talfahrt nichts mit Mentalität zu tun hatte. Doch womöglich sah sich der ein oder andere Spieler schon weiter, als er tatsächlich war.
Nach der am Ende unausweichlichen Trennung von Trainer Benedetto Muzzicato brauchte Nachfolger Toku ein paar Spiele, bis sich Erfolge seiner Arbeit auch in den Ergebnissen widerspiegelten. Doch dann verspielten die Himmelblauen mit zwei Pleiten in den Keller-Duellen gegen Duisburg und Würzburg leichtfertig eine deutlich bessere Ausgangsposition. Toku will aber nur positiv denken, auch wenn die Situation sich nach dem letzten Spieltag noch mal zugespitzt hat: „Wir glauben an uns, das macht uns im Moment so stark."
Aber glaubt der Verein auch noch an den Trainer? „Ich bleibe dabei, dass er bis hierher einen sehr guten Job gemacht hat", betonte Sportdirektor Teichmann. Die Zukunft des früheren Wattenscheiders ist dennoch offen, selbst bei einem Klassenerhalt ist eine Fortsetzung der Zusammenarbeit nicht zwingend vorgegeben. „Das Gespräch werden wir nach der Saison führen", so Teichmann. Der Coach und der Verein würden dann darlegen, „was man sich in der Regionalliga oder 3. Liga vorstellt. Dann werden wir nach der Saison sehen, ob sich die Wege trennen oder ob sie fortgesetzt werden."
Weil im Saisonfinale noch alles möglich ist, plant der Club zweigleisig für die kommende Saison. Für beide Szenarien – Klassenerhalt und Abstieg – liegen die groben Etat-Planungen fertig in der Schublade. Für eine Lizenz in der 3. Liga rechnen die Verantwortlichen mit einigen Auflagen wie die Installation einer Rasenheizung im Jahnsportpark.
Allerdings gibt es hier noch Fragezeichen, denn nachhaltig wäre diese Umbaumaßnahme nicht. Schließlich soll das traditionsreiche Stadion nach neuesten Planungen des Senats demnächst abgerissen werden und einem Neubau weichen. Viktoria hofft, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) deshalb wegen der Rasenheizung eine Ausnahmeregelung ermöglicht.
Doch der DFB weiß auch: Steigt Dynamo Berlin in diesem Jahr in die 3. Liga auf und hält Viktoria die Klasse, spielen in der kommenden Spielzeit zwei Teams im Jahnsportpark.
Die Rasenqualität würde dann enorm leiden, vor allem im Winter. Diese Probleme gäbe es in der Regionalliga nicht, die Viktoria würde wieder im heimischen Stadion Lichterfelde ihre Partien bestreiten. Doch die Rückkehr sehnt eigentlich niemand herbei. Viktoria will mit aller Macht seine minimale Chance nutzen. Dass das Fernduell gegen Verl die einzige noch relevante Entscheidung im Saisonfinale der 3. Liga ist, könnten vielleicht noch das allerletzte Motivationsprozent herauskitzeln. Danach wird eine Analyse anstehen – so oder so. Denn warum es nach dem guten Start bergab ging, bedarf einer Aufarbeitung.