Das neue Sanktionspaket der EU soll die Union binnen sechs Monaten von Russlands Öl unabhängig machen. Mittendrin in den Medien: eine Raffinerie in Brandenburg. Ob das Embargo deutlichen Einfluss auf den Kreml hat, ist noch unklar.
Mit dem mittlerweile sechsten Sanktionspaket gegen Russland verstärkt die Europäische Union erneut den Druck auf den Kreml. Das vielgeforderte Öl- und Gasembargo könnte aber noch auf sich warten lassen. Diesmal ist es nicht die Bundesregierung, die bremst, sondern Ungarn und die Slowakei. Beide sind abhängig von russischem Gas.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sieht nach ihrem letzten persönlichen Treffen mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in Budapest Fortschritte bei den ins Stocken geratenen EU-Verhandlungen. „Das Gespräch mit Premierminister Viktor Orbán heute Abend war hilfreich", schrieb die deutsche Politikerin bei Twitter. „Wir haben Fortschritte gemacht, aber es ist noch mehr Arbeit nötig." Dabei gehe es auch um die regionale Zusammenarbeit für eine bessere Infrastruktur für Öllieferungen.
Zuvor hatte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó angekündigt, eine Entscheidung zu dem wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine geplanten Importstopp zu blockieren. Verhandlungen zum nächsten Sanktionspaket der EU stocken seit Tagen, da Ungarn und andere Länder weitgehende Ausnahmeregeln von einem geplanten Öl-Embargo fordern. Für Deutschland bleibt die Situation weiter nicht so leicht zu lösen. Wie in den vergangenen Tagen häufig zu beobachten, muss Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als Krisenmanager einspringen, um die Gemüter zu beruhigen – diesmal in Schwedt. Die Raffinerie PCK in Brandenburg bezieht nicht nur russisches Öl aus der „Druschba"-Pipeline, die in Schwedt endet, und produziert daraus Benzin für den gesamten Raum Berlin und Brandenburg; sie gehört auch dem russischen Staatskonzern Rosneft. Hier werden pro Jahr zwölf Millionen Barrel Rohöl aus Russland verarbeitet, ein Drittel dessen, was Deutschland an Öl aus Russland bezieht.
Russisches Öl für Berliner Autos
Er wolle niemanden „verkackeiern", so Habeck bei seinem Gespräch mit der Belegschaft der Raffinerie. Es könne sein, dass es an irgendeiner Stelle hakt. Aber wenn sein Plan aufgehe, habe das Werk Zukunft und Perspektive. Habeck sprach von drei Elementen, die zusammenkommen müssten: die Vorbereitungen für neue Öllieferungen aus anderen Ländern über Schiffe via Rostock; Finanzhilfen des Bundes für mögliche Mehrkosten nach der Umstellung, denn das Öl aus anderen Quellen ist teurer; und eine mögliche Treuhandstruktur anstelle des bisherigen Betreibers Rosneft. Nach Habecks Vorstellungen soll Tankeröl in Rostock und Danzig angelandet und über Pipelines in die riesige Anlage an der deutsch-polnischen Grenze gebracht werden. Langfristig könnte sich PCK dann zu Wasserstoffen hin weiterentwickeln – denn wegen der Klimawende sei ja ohnehin eine Abkehr von fossilen Brennstoffen nötig, sagte Habeck.
Die brandenburgische Landesregierung befürchtet allerdings, dass die Lieferungen für Schwedt aus neuen Quellen nur bis zu 70 Prozent der bisherigen Leistung ausmachen würden. Beim Termin mit Habeck in Schwedt forderte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD): „Die Versorgung muss funktionieren. Wir reden hier über kritische Infrastruktur."
Ob das Embargo funktioniert? Die Belegschaft der Raffinerie zeigte sich zumindest skeptisch, was einige Zwischenfragen belegten. Denn damit das Embargo kein „Leck" bekommt, darf Russland sein Öl nicht woanders billiger verkaufen. Eigentlich. Indien hatte bereits signalisiert, die hohen Abschläge, mit denen Russland derzeit seinen Ladenhüter versieht, nutzen zu wollen. Auch bei Gas aus Russland schlagen die indischen Einkäufer derzeit verstärkt zu – kein Wunder, litt Indien doch erst vor Kurzem unter einer heftigen Hitzewelle und infolgedessen unter Stromknappheit. Bleibt es über das Jahr hinweg so heiß, bleibt der indische Strommarkt, der bereits zu 30 Prozent erneuerbare Energien, ansonsten jedoch Atomstrom, Kohle, Erdgas und Öl nutzt, unter Druck. Da kommen billige Angebote gerade recht.
Auf der Suche nach neuen Käufern
Die Sorge der Raffinerie-Mitarbeiter in Schwedt, dass ein Ölembargo aus russischer Sicht leicht zu umgehen sei – und man es daher gleich lassen könnte, so die Argumentation – ist also nicht ganz von der Hand zu weisen. Andere Abnehmer findet das Land sicherlich, jedoch nur mit hohen Abschlägen. China, das nach wie vor die unverbrüchliche Partnerschaft mit Russland betont, hat bislang keine Anstalten gemacht, mehr Öl zu kaufen – auch wegen des harten Lockdowns, den die Regierung in Peking unter anderem in Shanghai durchsetzt. Potenziell könnte das Öl dennoch per Frachter, auf dem schon jetzt der zumeist unverkäufliche Rohstoff lagert, leicht nach Asien umgeleitet werden. Das verteuert jedoch den Preis, der per Pipeline eben deutlich einfacher zu kalkulieren ist als per Schiff und Lkw, daher die hohen russischen Abschläge.
Gelingt es Russland, Länder wie Indien und China, die nicht an Sanktionen teilnehmen, rasch von der günstigen Gelegenheit zu überzeugen, weiter billigeres Öl zu kaufen, ist sein Lieferproblem jedoch noch immer nicht vollends gelöst. Denn um die Frachter abzufertigen, benötigt es Hafenkapazitäten, und auch diese sind begrenzt, ebenso wie die Nachfrage. Um nun das Embargo zu umgehen, so Medienberichte, könnte Russland sein Öl auch mit dem anderer Länder auf hoher See mithilfe von Schiffen und genügend Skrupellosigkeit vermischen, um seine Herkunft zu verschleiern.
Auf der anderen Seite jedoch steht Deutschland vor dem gleichen höheren Transportpreisproblem, denn auch neue Lieferungen nach Schwedt könnten ebenfalls nur per Schiff und Lastwagen erfolgen, wenn die „Druschba"-Pipeline trockenfällt. Andere Länder müssten mehr fördern, sind aber, wie Norwegen, selbst bereits an der Kapazitätsgrenze. Die Opec könnte zwar theoretisch mehr fördern. Doch im Rahmen der Opec-Plus-Partnerschaft ist auch Russland Teil des Kartells und könnte eine höhere Förderquote blockieren.
Zumindest die PCK-Raffinerie aber hat noch eine weitere Option: die Umstellung auf Wasserstoff. Damit warb das Bundeswirtschaftsministerium um Zustimmung bei den 1.200 Mitarbeitern in Schwedt. Neue Technologien und Fachkräfteausbildung sollen den Standort fit für die Zukunft machen. Kurzfristig aber gelingt dies nicht. Wohin Deutschlands Abhängigkeit von Russland noch führen wird, ist ungewiss.