Ein Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomkraft löst keine der aktuell drängenden Herausforderungen, ob Klimaschutz oder Versorgungssicherheit. Gleichzeitig sind die Fragen zu den Folgen der bisherigen Nutzung nach wie vor ungelöst.
Der Aufschrei war groß. Atomkraftwerke sollen jetzt als nachhaltig klassifiziert werden. Das sieht die „Taxonomie" der EU unter bestimmten Bedingungen vor. Diese Taxonomie ist ein Orientierungsrahmen für Investoren, der Aufschluss gibt über die Nachhaltigkeit von Investitionen, um das Ziel einer klimaneutralen EU zu erreichen.
Nach einem halben Jahrhundert Widerstand, dem mühsamen Hickhack bis zum beschlossenen Atomausstieg soll Atomkraft jetzt ein Rettungsanker in Sachen Klimaschutz sein?
Franzosen mit ihrer speziellen Atomphilosophie sehen das durchaus so und verweisen darauf, dass AKWs in Sachen CO2 eine vorzeigbare Bilanz gegenüber allen fossilen Energieträgern haben. Würde die Frage nur auf das klimaschädliche CO2 fokussiert, ließe sich das nicht einmal von der Hand weisen. Studien, wie etwa die Metastudie von Prof. Sigrid Stagl aus Wien von 2020, zeigen: Allein schon in Sachen Wassernutzung laufen AKWs kaum nachhaltig. Der Abbau von notwendigen Rohstoffen wie natürlich Uran gilt unter unterschiedlichste Gesichtspunkten als fragwürdig, und erneuerbar ist die Energiegewinnung auch nicht.
In einem Punkt ist die Atomkraft aber unstrittig nachhaltig: Die Endlagerfrage ist weiter ungelöst. Das schon etwas in Vergessenheit geratene Milliardendebakel um Gorleben steht symbolisch für ein Denken, das alles ist – nur nicht nachhaltig. Das neu angesetzte Verfahren für eine Standortsuche geht derzeit von einer Entscheidung erst Anfang des nächsten Jahrzehnts aus.
Keine wirklich neuen Argumente für die Atomkraft
Und in gewisser Weise nachhaltig ist in diesem Bereich auch die Abhängigkeit von Lieferanten. Die kurz aufgeflackerte Diskussion über Laufzeitverlängerung, um sich unabhängiger von russischem Gas zu machen, als deutlich wurde, dass auch dort eine hohe Abhängigkeit von Russland bei der Lieferung von Brennstäben besteht.
Alleine der Hinweis darauf in der aktuellen Situation macht deutlich, das AKWs beim Thema Versorgungssicherheit nicht gerade Bestnoten bekämen. Die Frage hatte sich aber eigentlich auch gar nicht mehr gestellt, seitdem sich die Betreiber auf die Abschaltung der letzten Meiler und die übrige Energiewirtschaft auf dieses Szenario über Jahre vorbereitet hatte.
Das alles sind keine wirklich neuen Argumente, an ihrer Stichhaltigkeit hat sich aber auch nichts wirklich geändert. Der Krieg in der Ukraine hat manches Argument sogar eher noch einmal unterstrichen, neben der geschilderten Abhängigkeiten auch die Risikofrage.
Der Sarkophag von Tschernobyl geriet durch die Kriegshandlungen plötzlich wieder in die Schlagzeilen und stand damit auch wieder sinnbildlich für die Risiken dieser Großtechnologie.
Kurzum: Befürworter, die nur mit Atomkraft die Klimaziele für erreichbar halten, liefern keine ausreichend befriedigenden Antworten auf diese Fragen, die Argumente gegen eine Renaissance der Atomkraft bleiben hinreichend stark.
Wobei eine Klarstellung und ein „Aber" zur Debatte dazu gehören. Was argumentiert wurde, bezieht sich vor allem auf die bisherige Nutzung der Atomkraft in den bekannten Atomzentralen.
Forschung und Entwicklung sind aber längst auch auf anderen Wegen unterwegs. Nicht nur Frankreich hat beispielsweise „small modular reactors" (Miniatomkraftwerke) als Zukunftslösung im Blick. Weltweit wird an unterschiedlichen Konzepten für eine sogenannte vierte Generation geforscht und getüftelt. Die verdient ihre eigene Bewertung.