Ihrem Namen alle Ehre machend, stürmten die Canes 2021 ins Halbfinale um die Deutsche Football-Meisterschaft. Ob das den Wirbelwinden nach dem Abgang von drei Topspielern 2022 wieder gelingen kann?
Nach der besten Saison der Vereinsgeschichte findet bei Football-Bundesligist Saarland Hurricanes ein Umbruch statt. Mit León Helm, Kai Hunter und Francesco Runco haben drei absolute Leistungsträger den Vorjahres-Halbfinalist um die Deutsche Meisterschaft in Richtung Frankfurt Galaxy und damit in die höchste europäische Spielklasse, die European League of Football (ELF), verlassen (wir berichteten). Vor dem Saisonstart am 28. Mai, 17 Uhr, bei Frankfurt Universe sieht sich der Verein allerdings gut gerüstet, um erneut das Saisonziel Play-off-Einzug zu erreichen. Zum ersten Heimspiel gastieren am 11. Juni die Marburg Mercenaries im Saarbrücker Ludwigsparkstadion.
„Es wäre gelogen, wenn wir sagen würden, dass die Abgänge der drei uns nicht wehtun würden", sagt der im Canes-Vorstand für das Sportliche zuständige Dr. Paul Motzki. „Nüchtern und rein sportlich betrachtet fallen uns drei Leistungsträger weg. Emotional besteht eine große Verbundenheit, alle wurden in unserer Jugendabteilung ausgebildet und trugen teilweise über zehn Jahre lang unser Trikot", sagt Motzki und ergänzt: „Hinzu kommt auch eine persönliche Note, weil über die Jahre natürlich auch Freundschaften entstanden sind. Und da freue ich mich natürlich für einen Spieler, wenn er so eine Chance bekommt."
Abgang der Eigengewächse
Allerdings stellt sich für die Canes und auch alle anderen Football-Bundesligisten die Frage, inwieweit sich diese Entwicklung der Abwanderung von Leistungsträgern in die ELF fortsetzen wird. „Es ist ein richtig guter Ansatz, die Sportart mit der ELF attraktiver und größer zu machen. Auf der anderen Seite liegt das Fundament, eine Sportart in Deutschland groß zu machen, in der Jugendarbeit", findet Motzki und stellt fest: „Es geht darum, die Kinder frühestmöglich damit in Kontakt zu bringen, den Jugendsport zu etablieren, Förder-Stützpunkte einzurichten und so weiter. Nur, weil es jetzt ganz oben eine Profiliga gibt, wird es perspektivisch nicht genug Spieler geben." Die ELF als Plattform des professionellen Footballs hat keine eigene Jugendabteilung, auch in den Clubs selbst findet derzeit keine Jugendarbeit auf hohem Niveau statt. Die Vereine, die wie die Canes viel Engagement und auch finanzielle Mittel in die Nachwuchsarbeit investieren, werden letztlich durch Transfers wie die von Helm, Hunter und Runco um ihren Ertrag gebracht. „So sinkt nicht nur die Qualität der Bundesliga, sondern es geht auch das Interesse der Vereine verloren, in die Jugendarbeit zu investieren", folgert Motzki und fordert eine gemeinsame, langfristige Strategie der ELF und der Bundesliga, wie dieses Dilemma gelöst werden kann. Denkbar wäre die Zahlung von Ausbildungsentschädigungen von den aufnehmenden an die abgebenden Vereine, wie sie in anderen Sportarten üblich sind. Paul Motzki hat eine andere Idee: „Eine Bundesliga-Saison dauert fünf Monate, eine ELF-Saison vier Monate. Man könnte sich abstimmen und beides sequenziell in einem Jahr planen", schlägt Motzki vor, „So könnten die herausragenden Spieler beide Angebote wahrnehmen – einmal die normale Runde und einmal so etwas wie die Champions League. Die hohe Qualität bliebe dann beiden Wettbewerben erhalten."
Bevor es dazu kommt, steht für die Canes erst einmal die Bundesliga-Saison 2022 nach altbekanntem Muster an. Nur eben mit neuem Personal. Nachdem der Plan der sportlichen Leitung im Vorjahr voll aufgegangen war – alle ausländischen Neuzugänge hatten eingeschlagen, dazu blieben die Canes lange von Verletzungspech verschont, geht es in diesem Jahr darum, die Erwartungen etwas zu dämpfen. „Wir hatten letztes Jahr auch Glück, alles hat funktioniert, und am Ende stand die beste Saison der Vereinsgeschichte. Und das vor dem Hintergrund eines neu gewählten Vorstandes und eines neu besetzen Trainerstabs", fasst Motzki zusammen und betont: „Nach unserer ‚Cinderella-Story‘ muss jetzt wieder etwas mehr Realismus einkehren." Das heißt: Das Erreichen der Play-offs bleibt der Anspruch der Wirbelwinde, aber ein Ziel darüber hinaus zu formulieren, wäre vermessen.
Schwäbisch Hall bleibt Topfavorit
Dazu beitragen, dass das Saisonziel erreicht wird, soll unter anderem ein neuer Quarterback. Mit dem Taktgeber von 2021, Josh Goldin, war man nach seiner überzeugenden Leistung erneut im Gespräch, doch letztlich erhielt Jack Lindsey den Zuschlag. „Er hat Christos Lambropoulos und Offensivtrainer Steve Greatwood überzeugt, und ich bin sicher, dass wir mit ihm eine gute Wahl getroffen haben", sagt Motzki. Mit Lindsey soll das starke Passspiel der Vorsaison fortgesetzt werden können. Dazu soll auch der neue US-Import auf der Passfänger-Position, Devon Bibbens, beitragen. Mit ihm fühlten sich die Canes „noch besser aufgestellt als letztes Jahr", verrät Motzki und erklärt: „Vor allem, weil sich unsere Eigengewächse, die ja auch schon letztes Jahr stark waren, weiterentwickelt haben." Gemeint sind vor allem Jan Pietsch, Marvin Fuchs und Marcel Baumbach. Auf der Runningback-Position sind die Abgänge von León Helm und Kai Hunter zu kompensieren. Und zwar über Quantität: „Wir haben eine sehr gute Gruppe von fünf Runningbacks mit unterschiedlichen sportlichen Fähigkeiten, die alle aufs Feld kommen werden", kündigt Motzki an und spricht dabei von Benjamin Thompson, Shaquan Gillard, Bijan Jelvani, Allen Jonczyk und dem aus der Jugend aufgerückten Jakub Klein. In die Offensivlinie, in der künftig Francesco Runco fehlen wird, hat der Verein am meisten investiert. Vor allem in den Trainerstab um Steve Greatwood, der jahrelang in gleicher Funktion beim US-amerikanischen College-Team Oregon Ducks und auch in der NFL bei den St. Louis Rams wirkte. „Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass es die beste Offensivlinie sein wird, die wir bei den Canes jemals hatten", sagt Paul Motzki mit Verweis auf Neuzugang Ole Krebs, je einen College- und einen Highschool-Neuzugang aus den USA sowie die Rückkehrer Jan Leiner und Benedikt Lion.
Inwiefern die Ligakonkurrenten ebenfalls von Abgängen in die ELF betroffen sind und wie sich diese auf die Qualität der Kontrahenten auswirken wird, ist noch unklar. Klar ist: Vorjahres-Finalist Schwäbisch Hall Unicorns bleibt Topfavorit in der Süd-Gruppe der Bundesliga. „Auch München, Ravensburg und die Allgäu Comets werden neben uns den Anspruch haben, die Play-offs zu erreichen", weiß Paul Motzki, der sich vor allem auf die Heimspiele im Ludwigsparkstadion freut: „Wir haben das beste und schönste Football-Stadion in Deutschland mit der besten Atmosphäre. Ich denke, es wird ganz schön, dort wieder ohne Corona-Einschränkungen Football genießen zu können."