„Was für ein verrücktes Turnier", wunderte sich Holger Rune, als sein Gegner im Finale der BMW Open 2022 nicht wiederkam. Die jungen Ambitionierten, wie er und Carlos Alcaraz, überrollen die älteren Etablierten, wenn auch nicht stets oder auf allen Sandplätzen auf dem Weg nach Paris.
Etre ou ne pas être …" – Dabeisein ist alles beim schicken Grand Slam in Paris. Voilà, Vorhang auf für den Favoriten der French Open seit 18 Jahren: Rafael Nadal wird in Paris dabei sein. Der Sandplatzkönig von Roland Garros, dem eleganten Frühsommer-Grand-Slam unter den höchstrangigen Tennisturnieren, gibt sich ein weiteres Mal die Ehre. Ein 14. Titel auf ruhmreichem Sand an der Seine dürfte dem 35-Jährigen gefallen. Mehr als vier Stunden dauerte vergangenes Jahr Nadals Halbfinale gegen Novak Djokovic. Der Spanier gab alles. Am Ende siegte der Serbe. Punktuell. Denn „Rafa" ist „Nole" um einen Grand-Slam-Titel voraus, seit er im Januar in Melbourne den Pokal hochstemmte. Als einziger Spieler mit insgesamt 21 Grand-Slam-Titeln in seinem Lebenslauf, zieht der legendäre Sandplatzkönig in die Pariser Arena ein. Motiviert durch drei Turnier-Titel, die er bereits bis Anfang Mai holte. Vorsichtig, nach einer sechswöchigen Auszeit wegen einer schmerzhaften Rippenverletzung. Angriffslustig, weil fest entschlossen, seinen Wettkampf-Hunger am Leben zu erhalten. „Wenn ich jetzt in meinem Alter immer noch auf höchstem Level spielen kann, dann ist das, weil ich gelernt habe, dass man Siege und Niederlagen in der Vergangenheit lassen muss", sagte er am Rande des 1.000er-Turniers in Madrid, wo er sich hochklassig – bis zu seinem Viertelfinal-Aus gegen Carlos Alcaraz – für sein Lieblings-Grand-Slam aufwärmte.
Roger Federer wird heuer von Beginn an in Roland Garros nicht dabei sein. Im vergangenen Jahr stieg der French-Open-Champ von 2009 überraschend nach gewonnenem Achtelfinale aus. Derzeit ist die Sache mit dem angeschlagenen Knie im Spätherbst der Karriere des 40-Jährigen klar: Vor dem Spätsommer ist eine letzte Rückkehr des „Maestros" auf die Tour nicht zu erwarten.
Rafael Nadal mit 21 Grand-Slam-Titeln
Novak Djokovic darf in Frankreich dabei sein. Nach seiner Bekanntschaft mit australischen Einreiseunterbrechungsunterkünften am Jahresanfang, mietet sich der Serbe in Paris mit seiner Entourage wieder standesgemäßer ein. Die komfortablen Luxus-Suiten an der Seine, in denen es sich gut ruhen lässt, um noch besser zu spielen, sind legendär.
Und dann gibt es noch den jungen Dänen Holger Rune, der das Siegerauto vom gemütlichen ATP-Turnier in München mitnahm. Fahren durfte der 19-Jährige damit noch nicht: Seine Führerscheinprüfung stand erst für die Folgewoche an. Dessen war sich der Champion, der mit einer Wildcard von Patrik Kühnen ins bayerische Traditionsevent geholt worden war, sicher. Weniger klar war ihm, wann sein Geburtstag sein würde. Verständlich, wenn man als noch 18-Jähriger im Achtelfinale der BMW Open die Nummer drei der Welt, Alexander Zverev, besiegt, geht schnell die Orientierung verloren. Zu Runes Glück erst nach dem Match. Sicher ist, dass seine Geburtstagstorte vom Freitag nicht schuld war an den Magenproblemen, die der aktuell zweitbeste Deutsche, Oscar Otte, während seines Halbfinal-Matches gegen Rune bekam. Das passierte auf jeden Fall am Samstag. Und diese Maladie sorgte mit dafür, dass der Däne ohne Satzverlust aus seinem ersten gewonnenen ATP-Turnier ging.
Mit ein wenig Verzögerung reckte Holger Rune am Sonntag die Arme in der Pose des Siegers in den gerade etwas sonniger werdenden bayerischen Himmel. Die Nummer 31 der ATP-Liste, Botic van de Zandschulp, hatte wegen einer Unpässlichkeit aufgegeben. „Das ist natürlich nicht die Art und Weise, wie man sein erstes Turnier gewinnen möchte. Ich bin dennoch superhappy", sagte Rune.
„Ich musste ein wenig nach vorne gehen, um ihn ein wenig zu stressen", hatte Holger Rune über seine klare Peilung im Duell gegen „Sascha" Zverev verraten. Ganz klar: Der „Junge" versteht schon einiges von den Routen, die zum Erfolg führen. Die Nummer eins anzustreben, ist für Rune eine klare Sache. Irgendwo müsse man anfangen. Beispielsweise mit Weltranglisten-Platz 45, erobert beim Sprungbrett-Turnier in München.
Junge Stars „toll für das Tennis"
Womit wir bei den ganz Jungen sind, die auch in Paris für Furore sorgen sollen. Carlos Alcaraz ist so einer, der Turniersiege in Reihen wie Nadal abhakt. „Es gibt kein Limit für mich", sagte der 18-Jährige nach seinem Sieg in Barcelona. „Mir wurde von klein auf beigebracht, dass Endspiele nicht gespielt, sondern gewonnen werden", so der hochgehandelte French-Open-Mitfavorit nach seinem dritten Sieg in diesem Jahr. Wie einst Nadal gehört er schon als Teenager zu den weltbesten zehn Tennisspielern. Mit Sicherheit ein Sandplatz-Prinz und Roland-Garros-Titelanwärter, dem beim 1.000er-Event in Madrid die Fans sogar beim Training scharenweise huldigten. Kein Wunder: Gerade während seines Heimatturniers 19 Jahre alt geworden, fertigte der neue spanische Superstar in den letzten Runden nacheinander die Tour-Giganten Nadal, Djokovic und im Finale Titelverteidiger Zverev ab. „Im Moment bist du der beste Spieler auf der Welt", sagte der Deutsche nach dem für ihn verlorenen Endspiel. „Es ist toll für das Tennis, dass wir so einen neuen Superstar haben, der in seiner Karriere viele Grand-Slam-Titel gewinnen wird." Zverev war während des Matches sichtlich müde, nachdem er bis zum frühen Sonntagmorgen, bis ein Uhr, im Halbfinale gegen Stefanos Tsitsipas gefochten und schließlich gewonnen hatte. Sein junger, spanischer Gegner hatte sich von seinem eignen, dreieinhalbstündigen Fight gegen Djokovic vor dem Finale gegen Zverev besser erholt. Besonders mental schöpfte der 19-Jährige Kraft aus seinen Siegen. Er habe „Confidence", „Zuversicht", gewonnen, sagte Alcaraz als frisch gekürter Champion von Madrid. Auch in Richtung French Open.
Mit 14 Jahren gewann Felix Auger-Aliassime als jüngster Spieler aller Zeiten ein ATP-Challenger. Der 22-jährige Kanadier abonnierte schnell einen Platz in den Top Ten, war Viertelfinalist in Melbourne. Die Teens und Anfangs-Zwanziger, zu denen auch Jannik Sinner, der Letzt-Jahres-Viertelfinalist aus Südtirol gehört, lassen den Mittzwanzigern um Stefanos Tsitsipas oder Alexander Zverev bei Top-Turnieren nicht den Vortritt.
Erfolg verursacht den Älteren mehr Stress, wie Zverev, der in München sagte: „Ich habe dieses Jahr angefangen mit so vielen Chancen, die Nummer eins zu werden. Das war immer im Kopf. Ich habe so viel Druck gehabt, dass ich teils keinen Spaß hatte." Der 25-Jährige schilderte, wie schwer es ihm falle, sich einen Trainingsplan zu überlegen: „Ich brauche einen Coach. Ich brauche Führung. Ich brauche jemanden, der darauf schaut, was auf dem Tennisplatz passiert." Ex-Trainer David Ferrer habe ihm Bruguera, der zweimal Champ bei den French Open war, empfohlen: „Ich denke, dass Sergi einer der besten Jungs dafür ist." Die erhoffte Wende raus aus der Nervosität, die den Olympiasieger nach München begleitete, brachte sein laut Zverev „bodenloses" Auftaktspiel dort nicht. Dafür Kampfgeist.
Andreas Mies geht es richtig gut
Die gute Nachricht aus deutscher Sicht: Andreas Mies geht es wieder richtig gut. Gemütlich rutschte der 32-jährige Kölner mit seinem Dream-Team-Partner Kevin Krawietz in den vergangenen Monaten zurück in den Abräumer-Modus hinein: Mit dem Doppeltitel von Barcelona ging es los, mit dem Sieg in München eine Woche danach weiter. Nachdem sie gegen das brasilianisch-spanische Doppel Rafael Matos/David Vega Hernández reüssiert hatten, feierten „KraMies" auf dem Court mit einer Laola und kündigten „Party" für den Abend an. Krass fand der 30-Jährige seinen Sieg und das finale Match in München: „Ich spiele seit 13 Jahren BMW Open und jetzt hier Finale vor ausverkauftem Publikum". Das deutsche Duo könnte bei den French Open noch einen besonderen Rückkehrer-Rekord draufsetzen: Nach dem doppelten Doppel-Sieg 2019 und 2020 einen dritten Roland-Garros-Titel.
Andere (Ü-)Dreißiger kämpfen nach allen Seiten: Fabio Fognini musste sich in Madrid von Alcaraz rauswerfen lassen. Dominic Thiem hingegen haderte im Match gegen den 35-jährigen Andy Murray mit den Nachwehen seiner Handgelenksverletzung. Die French Open dürften zwischen spätem Frühling und jungen Ranglistenspringern spannend werden wie nie zuvor.
Doch der Altmeister auf Sand, Nadal, könnte Alcaraz, Rune und all die anderen jungen und tennismittelalterlichen Angreifer mit seiner Leidenschaft für Paris ein weiteres Mal bezwingen. Mit 35 Jahren. Verrückt? Wenn es um den 22. Grand-Slam-Titel für den König von Roland Garros im Jahr 2022 geht, wäre ein solches Ende auch ein wenig normal.
Barbora Krejcikova tritt zur Titelverteidigung in einem durch alle Generationen starken Spielerinnenfeld an. Ihre Hauptkonkurrentin ist Iga Sviatek, die 20-jährige Roland-Garros-Championesse von 2020 und Weltranglistenerste. Die Polin gewann gerade erst den Porsche in Stuttgart, pausierte dann jedoch wegen einer Schulterverletzung.
Angelique Kerber hält sich mit 34 Jahren erfolgreich unter den Top 20, ganz in der Nähe der chancenreichen 19-jährigen Kanadierin Leylah Fernandez und der French-Open-Siegerin von 2018, Simona Halep: Ein Titel aus Paris fehlt der deutschen Nummer eins noch.
Andrea Petkovic steht ein weiteres Mal auf der offiziellen Turnierliste. Die ehemalige Top-Ten-Spielerin darf direkt – ohne Qualifikationsmatches – unterm Eiffelturm antreten. Tatjana Maria, die nach der Geburt ihres zweiten Kindes jüngst in Bogota ihren zweiten WTA-Titel gewonnen hat, steht aufgrund ihres geschützten Ranges direkt im Hauptfeld. Weitere deutsche Spielerinnen, Tamara Korpatsch und Jule Niemeier, steuern gerade auf die Top 100 der Welt zu.
Anders Laura Siegemund: Sie ist eben noch unter den besten 200 Spielerinnen der Welt. Die Stuttgarterin zeigte sich nach ihrer knappen Viertelfinal-Niederlage in Stuttgart motiviert: „Das war ein erster Schritt auf einem langen Weg zurück. Ich will zunächst wieder in die Top 100 kommen." Sie und andere deutsche Spielerinnen suchen die perfekte Route zurück in die Weltspitze, in einen neuen Frühling fürs deutsche Damentennis.
Und so ist auch bei den Damen das Dabeisein die erste Hürde, wenn sich die Frage nach den Favoritinnen bei diesen French Open stellt: „Être ou ne pas être …"