Mit Spannung waren die Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und zuletzt Nordrhein-Westfalen erwartet worden. Der politische Erkenntnisgewinn für Opposition und Regierungsparteien ist eher unübersichtlich.
Das hat sich die SPD wahrlich anders ausgerechnet. Statt einem knappen Ausgang mit Machtoption eine deutliche Schlappe – ausgerechnet im einstigen Stammland der Sozialdemokratie. 26,7 Prozent bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen heißt satte neun Punkte Rückstand auf den Wahlsieger CDU. Das ist bitter. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ging trotzdem forsch nach vorn, verkündete die Abwahl von Schwarz-Gelb – und damit eigentlich einen Sieg der SPD. Immerhin ist im Düsseldorfer Landtag auch eine Ampel-Regierung wie in Berlin möglich. Zumindest rein rechnerisch. Trotzdem ruft das vor allem eins hervor: irritiertes Kopfschütteln. Dem SPD-Generalsekretär hilft es da wenig, dass sich auch die Demoskopen in ihren Umfragen völlig verkalkuliert haben. Die hatten bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU vorausgesagt.
Die klare Niederlage muss die Sozialdemokraten umso mehr schmerzen, als die Bundespartei in den letzten beiden Wochen vor der Wahl zwischen Rhein und Ruhr mit ihrem Bundeskanzler auf den Wahlplakaten geworben hatte. Das Wahlergebnis legt somit den Schluss nahe, dass Olaf Scholz und mit ihm die Politik der gesamten SPD im Bund derzeit beim Wähler eher nur mäßig ankommt. In den Gremiensitzungen von SPD-Parteivorstand und Präsidium ging es dementsprechend am Montag nach der Wahl hoch her. Tenor der Partei-Oberen: Die Kommunikation des Kanzlers muss dringend besser, politische Inhalte klarer rübergebracht werden.
Deutliche Schlappe Im Stammland
Altbekannte Ergebnisse einer sozialdemokratischen Parteiführung, die in den letzten 20 Jahren notorisch am Abgrund des Wählerwillens vor sich hinwurstelt, ohne dass sich großartig etwas verändert hätte. Auch nach dem vernichtenden Wahlabend in Düsseldorf hatte keiner der SPD-Granden in Berlin eine Antwort auf die Frage, wie die Menschen im kommenden Winter ihre Heizkosten oder Sprit bezahlen sollen, ganz abgesehen von den explodierenden Lebensmittelpreisen. Themen, die allen auf den Nägeln brennen.
Auch die CDU hat auf diese soziale Bedrohung von Millionen von Menschen keine wirkliche Antwort, aber es läuft trotzdem gut für die Sozialdemokraten. Nach der herben Niederlage von Tobias Hans im Saarland Ende März jetzt binnen zwei Wochen mit Daniel Günther in Schleswig-Holstein und Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen klare Wahlsiege. CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz verkündete denn auch stolz, „die CDU ist wieder da". Auch er hatte sich persönlich stark in den NRW-Wahlkampf eigebracht. Für Merz ist dieser Sieg elementar wichtig, damit gilt seine Position als CDU-Chef vorerst als gesichert.
Auch bei den Bundes-Grünen ist die Laune bestens. Sie haben ihr Ergebnis verdreifacht. Das relativiert sich zwar, schließlich hatten sie für ihre Verhältnisse vor fünf Jahren einen heftigen Absturz hinnehmen müssen. Aber die beiden Zugpferde der Partei, Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck, haben mit ihren persönlichen Auftritten im Wahlkampf offensichtlich den nötigen Eindruck hinterlassen. Baerbock und Habeck gelten derzeit als die grünen Superstars, auch wenn sie keine Partieämter mehr innehaben.
Gleichzeitig kommt das liberale Pendant zusehends unter die Räder. FDP-Chef Christian Lindner findet am Wahlabend die deutlichsten Worte: „Es handelt sich um eine desaströse Wahlniederlage." Damit scheint klar, dass die Politik der FDP als Regierungspartei im Bund offenbar für reichlich Verstimmung bei der liberalen Wählerschaft in den Ländern sorgt. In drei aufeinanderfolgenden Landtagswahlen abgestraft, das geht auch an dem mehr als selbstbewussten FDP-Chef nicht spurlos vorbei. Bundesfinanzminister Christian Lindner wird zukünftig wohl noch mehr die liberale Auffassung von Finanzpolitik vertreten und weniger Rücksicht auf die Ampel-Partner nehmen.
Auch bei der SPD macht sich eine ähnliche Stimmung breit. Der grandiose Start ins Wahljahr 2022 mit Anke Rehlinger, die im Saarland nicht nur die CDU als stärkste Kraft abgelöst hat, sondern – derzeit einzigartig – eine SPD-Alleinregierung führen kann, gerät fast schon in Vergessenheit. Die Sozialdemokraten haben zwei deutliche Niederlagen hinnehmen müssen, während der grüne Koalitionspartner hintereinander reüssiert, das sorgt auch in der SPD für schlechte Stimmung.
Die sozialen Themen liegen sprichwörtlich auf der Straße, doch keiner scheint sie so richtig aufzunehmen. Das gilt auch für die Linke. Der Untergang der Linkspartei, zumindest im Westen der Republik, scheint nach der NRW-Wahl nun endgültig besiegelt zu sein. Das Mandat für einen Landtag knapp zu verpassen, kann man vielleicht noch erklären. Aber in der Auflistung am Wahlabend im Fernsehen überhaupt gar nicht, oder als Linke direkt vor „Sonstige" genannt zu werden, ist bitter. Das Debakel im Saarland konnte man noch mit dem parteiinternen Polit-Quertreiber Oskar Lafontaine erklären. Er war eine Woche vor dem Urnengang an der Saar aus der Partei ausgetreten und hatte entsprechende Schlagzeilen produziert. Die Linke flog mit 2,6 Prozent (zuvor 12,8) aus dem Landtag.
Schwerer Schock für die Linke
Die 1,7 Prozent in Schleswig-Holstein waren dann schon für die letztlich verbliebene Parteivorsitzende Janine Wissler nicht mehr ganz so einfach zu erläutern. Wobei Schleswig-Holstein nie als Hort für Linke galt, sieht man vom Matrosenaufstand vor mehr als 100 Jahren ab (1918), der den Untergang des Deutschen Kaiserreichs einläutete. Nach den weiteren blamablen 2,1 Prozent in NRW herrscht in der Bundespartei offene Panik. Dass Wissler den Parteitag im Juni im thüringischen Erfurt als Parteivorsitzende überlebt, sollte sie überhaupt noch mal antreten, kann nach der nun auch noch vergeigten NRW-Wahl eigentlich schon ausgeschlossen werden. Allerdings hat bis jetzt noch niemand den Kandidaten-Hut in den Ring geworfen für den Parteivorsitz, offenbar will keiner die Partei so wirklich führen. Der Schock nach der NRW-Wahl sitzt tief. Gerade jetzt in Zeiten einer überbordenden Inflation, rapide steigender Preise und damit drohender Verarmung müsste eigentlich die Stunde einer Partei schlagen, die sich vor allem der sozialen Gerechtigkeit verschrieben hat. Doch die Linke wird offenbar überhaupt nicht mehr wahrgenommen, zumindest nicht im Westen Deutschlands. Das Ganze nimmt tragische Züge an, wenn ausgerechnet auf der direkten, politischen Gegenseite eine Partei von den Ängsten der Menschen profitieren kann.
Die AfD hat zumindest den Einzug in den Landtag knapp geschafft. Zwar mit Ach und Krach, aber das könnte Bundessprecher Tino Chrupalla zumindest vorerst seinen Posten gerettet haben. Doch die parteiinterne Gemengelage ist kompliziert, der AfD droht nun eine Dreispaltung. Mit dem erneuten Einzug der AfD in den Düsseldorfer Landtag ist auf dem Parteitag in Riesa im Juni eine klare Frontstellung entstanden, es geht immerhin um die Neuwahl des gesamten Bundesvorstands. Die AfD aus dem Westen der Republik schart sich nun um die Landesgruppen Nordrhein-Westfalen und Hessen. Die „Patrioten" der AfD-Ost scharen sich um den Rechtsaußen Björn Höcke aus Sachsen, der seine Kandidatur zum Bundesprecher drei Tage vor der NRW-Wahl erklärt hatte. Und der noch verbleibende amtierende Bundessprecher Tino Chrupalla steht politisch buchstäblich zwischen Baum und Borke. Chrupalla ist gleichzeitig auch Co-Fraktionschef im Bundestag und muss sowohl in der Fraktion als auch in der Bundespartei beide Seiten zusammenhalten, womit es einen dritten, sozusagen einen Bundesflügel der AfD gibt.
Was bleibt ist eine neue, alte Unübersichtlichkeit. Drei Landtagswahlen nach der Bundestagswahl sind die politischen Kräfte immer noch dabei, sich neu zu sortieren.