Das „Nhat Long" machte sich mit Runderneuerung und überarbeiteter Karte startklar für den Sommer. Inhaber Dinh Tuan Nguyen erweiterte seine moderne Indochine-Küche um Sushi, Drinks und ein tolles Sake-Angebot.
Im „Jahr des Goldenen Drachens", 2012, öffnete das „Nhat Long" an der Torstraße seine Pforten. Zehn Jahre später gab’s ein Makeover für den immerhin „Zur Sonne aufsteigenden Drachen" – so der Name des Restaurants auf Vietnamesisch. Besitzer Dinh Tuan Nguyen wollte lieber keine weiteren 50 Jahre warten, bis sich das besonders glückbringende Jahr des chinesischen Horoskops wiederholt. Also gab’s Renovierung, Umgestaltung und das Reopening mit runderneuerter Karte und erweitertem Angebot in diesem Frühjahr.
„Wir bieten indochinesisches Essen aus nachhaltigen, hochwertigen Produkten und authentische nordvietnamesische Küche", sagt Tuan Nguyen. „Alles, was die Natur uns anbietet, wollten wir verarbeiten, und das haben wir geschafft." Und dann wären da noch die Grillgerichte, Sushi und die Cocktailbar, die mit Drinks wie einem „Phojito" und diversen Sake-Sorten auf sich aufmerksam macht.
Im mit dunklem Holz getäfelten und mit großen Bildern von Seerosen und Vögeln geschmückten Gastraum lassen wir uns auf petrolblauen Polsterstühlen unter Vogelkäfig-Kronleuchtern nieder. Gemütlich! Zuvor hatten wir auf einen Aperitif einen Abstecher nach Japan an der Bar im Eingangsbereich gemacht. Dinh Tuan Nguyen öffnete eine gut gekühlte Flasche vom Junmai Ginjo für uns. Dieser Sparkling Premium-Sake von „Ninki" aus 60 Prozent poliertem Chiyo-Nishiki-Reis wurde im schneereichen Norden des Landes gebraut. Mit nur sieben Prozent Alkohol, fruchtig-säuerlichen Noten und leicht cremigem Touch eignet er sich hervorragend zum Ankommen.
Die Karte im „Nhat Long" bietet einen guten Einstieg in die vielfältige Welt der Sakes, die weitaus mehr sein können als ein warmes Getränk aus kleinen Schalen. Im „Nhat Long" lohnt sich auch ein Tasting mit einem Honjozo, einem Snow Hut und einem Cherry Blossom-Sake. Da war doch was mit Vietnam? Dinh Tuan Nguyen stammt aus Hanoi, und deshalb gibt’s typische Gerichte wie Rippchen oder Schweinebauch im Tontopf und „natürlich Phô mit vielen Gewürzen, Kräutern und Fisch-Soße", so wie im Norden des Landes üblich. Bitte nicht den Besitzer quälen und zur nördlichen Phô nach Hoisin-Soße fragen: Die ist viel zu süß und gehört in die Phô aus dem Süden!
Die Sushi-Karte ist eine Welt für sich
Wir bekommen eine Royal Phô mit rosa Rinderfiletscheiben, Nudeln, Lauch, Koriander, Minze, Limette und Chili. Kräuter, Gewürze und Säure gibt jeder nach Gusto zu. Wir schlürfen unseren vollmundigen vietnamesierten „Pot au Feu" mit großem Genuss. Die französischen Kolonialherren benannten die Nudelsuppe, die ursprünglich aus dem Fleisch vom Wasserbüffel zubereitet wurde, so. Durch die vietnamesische Aussprache bekam das Gericht seinen für uns spitzmündig zu artikulierenden Namen – ein beinah gehauchtes „Phö". Tipp: Ans französische Feuer denken, dann klappt’s beim nächsten Mal garantiert besser!
Vorher hatten wir uns bereits an einen Indochine-Döner, pardon: ein Banh Mì Dac Biet, gewagt. In seinem weit aufgerissenen Maul hält das kompakte Brot gegrillten Schweinebauch, Salat, Sesam-Soße und Mayonnaise wohlgeraten abgestimmt für uns parat. Das vietnamesische Klapp-Bun hat Döner-Größe, aber nicht ganz den entsprechenden Sättigungsgrad. „Einen Drink dazu und danach eine Suppe, das ist ein gutes Essen", spricht die kulinarische Freundin. Vor allem, wenn nun das spontane und zwanglose Herumsitzen auf der Terrasse wieder möglich ist. Sie bietet mit 60 Plätzen hinter Grünpflanzen auf dem breiten Bürgersteig viel Platz.
Wer bei den Starters lieber auf der vegetarischen Seite bleibt, wählt das Gemüse-Tempura „No. 321". Die Zahlen beziehen sich auf die Hitze des Frittierfettes, in das Lotuswurzeln, lange schmale Auberginen, Karotten und Wildbrokkoli kurz eingetaucht wurden. Wir picken von den kross ausgebackenen Stangen und stippen sie in Mango-, Wasabi- oder eine Matcha-Soße. Als Fan fruchtiger Soßen bin ich ohnehin Team Mango-Soße, aber die Matcha-Limetten-Variante finde ich nicht weniger reizvoll. Veganer kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Ob Sommerrolle oder „Green" Udon-Nudeln mit Gemüse und Kokos-Curry-Soße – in jeder Abteilung gibt’s komplett Tierfreies.
Wir wollten wegen der zu erwartenden Fülle an Gerichten dieses Mal auf Sushi verzichten. Doch Dinh Tuan Nguyen wäre ein schlechter Gastgeber, hätte er uns ohne eine „Sushi Extreme"-Roll entkommen lassen. Die „Kamo Roll" kalifornischen Inside-Out-Ursprungs hat krosse Ente innen und frischem Lachs außenherum gewickelt. Sie ist in ihrer Üppigkeit mit Frischkäse, Avocado, Sesam, Masago – Rogen des Capelin-Fisches – und einer Unagi-Cocktail-Soße extrem köstlich. Für alle, die moderater essen wollen: Die Extremrollen sind nicht nur in groß mit acht, sondern auch in klein mit vier Stück erhältlich. Die Sushi-Karte im „Nhat Long" ist eine Welt für sich; sie verlangt zweifellos nach einem eigenen Besuch.
Wir sind derweil so frei und weltläufig und nehmen gern vom empfohlenen Wein: Ein 2020 Mar de Frades Albariño Atlantico aus Rías Baixas im spanischen Galicien macht sich jugendlich leicht und mit einem von der Küste herbeigewehten Salzhauch hervorragend zum Essen. Er will sehr kalt getrunken werden, um seine mineralische Frische optimal auszuspielen. Das zeigt er uns deutlich auf der blauen Flasche mit Wellen-Motiv an: Verschwindet das aufgedruckte, kleine weiße Schiff, ist der Wein zu warm. Ein Gimmick mit Nutzwert!
Wir landen bei unserem Besuch im „Nhat Long" allemal im asiatischen Schweinebauch-Paradies: Am ursprünglichsten ist sicherlich der „Tonkin Belly" im Tontopf. Die heiße Schmor-Variante wird mit karamellisiertem braunen Zucker zubereitet, der eine dichte, leicht angesäuerte Brühe kontrastiert. Er ist der Favorit des Fotografen und „ein Wohlfühlessen für den November", wie die Freundin findet. Ich bin in der Abteilung „Hanoi Soul Food" eher bei Anthony Bourdain, Barack Obama und einem gegrillten Schweinebauch, der mit einer leichten, süß-sauren „Hanoi 04"-Soße im Extraschälchen sowie mit Reisnudeln, Salat und Kräutern serviert wird. Krosse Sache! Das inzwischen nur noch „Bún Cha Obama" genannte Gericht erhielt seinen Namen, nachdem der US-Präsident seinerzeit mit dem kulinarischen Weltenbummler Bourdain im Hanoier „Bún Cha Huong Lie" aß. Offensichtlich mit großem Genuss – bis heute strömen die Gäste deshalb dorthin.
Schweinebauch in allen Varianten
„Entweder isst man alles zusammen aus Schälchen oder tunkt alles in die Soße", antwortet Dinh Tuan Nguyen auf unsere Frage, wie sämtliche Komponenten mit Stäbchen kleckerfrei gemeinsam zu essen wären. Kleine Schälchen nah an den Mund zu halten ist der andere asiatische Life Hack – bloß die Fallhöhe nicht zu groß werden lassen!
Pork Belly Nummer drei ist ein ebenfalls gegrillter Schweinebauch mit Spicy-Mango-Soße. Er ist noch krosser, flachgeklopfter und in bester Gesellschaft von Reis und Gemüse. „Wir beziehen unser ganzes Fleisch aus der Region Brandenburg", sagt Dinh Tuan Nguyen. Die Qualität fällt auch beim Hühnchenkotelett „Madame Cook" positiv auf. Das Fleisch ist sehr saftig unter seiner knusprig gebratenen und mit Sesam bestreuten Haut. Dazu wird viel buntes Gemüse gereicht: Ichiban-Auberginen, wilder Brokkoli und Lotuswurzeln plus Curry-Soße und Reis. Nachvollziehbar, dass die „Madame" neben Klassikern wie dem Schweinebauch und Rippchen eines der Lieblingsgerichte der Gäste ist.
Die kleinere Version von „Madame Cook" mit Erdnuss-Soße, aber auch Tempura mit Ketchup und Mayo oder eine „Freche Nudel" mit Udon und Gemüse stehen ebenfalls auf der Kinderkarte. Wir sehen: Jemand hat sich überzeugend Gedanken über seine Gäste und das Angebot gemacht. Schmeckt’s den lieben Kleinen, haben schließlich auch die Eltern Zeit und Ruhe für ihren Genuss.
Darauf einen „Phojito"! Bei aller Liebe, eines von den ausgewachsenen Desserts wie Tartelette au Citron oder Schokoladentarte mit Beeren und Sorbet oder gebackenes Vanilleeis können wir nicht mehr bewältigen. Doch auf die Mojito-Spielart mit Martin Miller’s Gin, Cointreau, Lime Juice, braunen Zucker und klassischen Phô-Gewürzen sind wir sehr gespannt. Koriander, Sternanis, eine Stange Cassia-Zimt und eine halbe, große Kardamom-Kapsel ahmen in Alkohol gebadet und auf crushed Ice gebettet die Aromen des heißen Vorbildes nach. Sie sehen außerdem enorm dekorativ aus und schmecken vorzüglich. So lassen wir uns doch sehr gern nach einem langen, köstlichen Abend eiskalt auf die vietnamesische Art abservieren!