Neuzelle, die 4.000-Seelengemeinde zwischen Eisenhüttenstadt und Guben, hat sich zu einer touristischen Perle entwickelt. Highlight ist das fast vollständig erhaltene Zisterzienserkloster.
Das hat Seltenheitswert in Europa! Blickfang auf einer Anhöhe ist der Turm der Stiftskirche. Schlank und elegant mit seinem blaugoldenen Zifferblatt unterm schwarzen geschwungenen Helm, ist er eine freundliche Einladung, der man kaum widerstehen kann.
Kloster Neuzelle hat eine 750-jährige Geschichte. 2018 konnte das Jubiläum gefeiert werden. Über 100 000 Besucher kamen während des Festjahres. Selbstbewusst steuert die landeseigene Stiftung Stift Neuzelle die 200-tausender Marke an. Sie hat seit 1996 die Aufgabe, die Klosteranlage wiederherzustellen und bekannter zu machen. Und das gelingt erstaunlich gut.
Mönche bauten Kloster immer wieder auf
Die eigentliche Überraschung für viele Besucher ist die katholische Stiftskirche selbst. Sie wird auch als Barockwunder Brandenburgs bezeichnet. Böhmischer Barock im nüchtern evangelischen Brandenburg? Dafür lohnt sich ein Ausflug in die Geschichte des Klosters:
Wenn man es geografisch genau nimmt, gehört Neuzelle zum nördlichen Teil der Niederlausitz, und das ist auch historisch gesehen völlig korrekt. Die Wettiner hatten das Land im 13.Jahrhundert erobert. Markgraf Heinrich der Erlauchte von Meißen stiftete das Kloster dann 1268, wie es heißt, aus Trauer um seine zweite Frau Agnes, wohl aber auch, um seinen Machtanspruch zu sichern. Die ersten Zisterziensermönche hatten ordentlich damit zu tun, auf einem abgetragenen Bergsporn über der feuchten Oderniederung ihr Kloster zu bauen. Sie kamen aus Cella (Altzella) bei Meißen und nannten ihr Kloster Nova Cella – Neuzelle.
100 Jahre später gelangte die Anlage durch Kaiser Karl IV. zum Königreich Böhmen. Im Dreißigjährigen Krieg bekamen die Wettiner sie zurück, aber in Religionssachen hatte weiter die Krone Böhmens das Sagen. Schlicht und einfach wollten die Ordensbrüder leben. Doch immer wieder wurde die klösterliche Ruhe gestört durch Überfälle und Brände. Mit der Reformation setzte sich in der Umgebung des Ordens der protestantische Glauben durch. Neuzelle aber blieb eine katholische Insel, übrigens bis heute.
Immer wieder bauten die Mönche ihr Kloster neu auf. Im Zuge der Gegenreformation dann steckten sie, wie es scheint, geradezu trotzig, all ihren Ehrgeiz in die barocke Umgestaltung der Stiftskirche. Dazu ließen sie sich Baumeister und Künstler aus Böhmen, Schlesien und Italien kommen. Nebenaltäre und Kanzeln wurden reichlich mit buntem Stuckmarmor und alabasterweißen Putten, Aposteln und Heiligenfiguren versehen. Viel Gold und Pracht sollten den Triumph des wahren Glaubens demonstrieren. Das Ergebnis können wir bis heute bewundern.
1815 kam die Niederlausitz zu Preußen. Das Kloster wurde aufgelöst, sein Besitz von einer Stiftung verwaltet, dann von der DDR verstaatlicht. Die Stiftskirche diente als Pfarrkirche für die kleine katholische Gemeinde. Ihre barocke Ausstattung wurde bis zur Wende so gut es geht gepflegt. 1996 hat das Land Brandenburg die Stiftung Stift Neuzelle wieder gegründet. Sie übernahm unter anderem die Aufgabe, das Kloster wieder herzustellen und kulturelle Nutzung zu ermöglichen. Das tut sie sehr erfolgreich.
So konnte im März 2015 ein einzigartiges Museum eröffnet werden, das Himmlische Theater. Es birgt einen Schatz, den es in Europa in dieser Vollständigkeit nur einmal gibt: das Heilige Grab von Neuzelle. Dabei handelt es sich um kulissenartige Darstellungen der Passionsgeschichte, lebensgroße Szenen, die Leidensweg, Grablegung und Auferstehung Christi illustrieren. Solche sogenannten Heiligen Gräber kamen im 16. Jahrhundert auf, vor allem im süddeutschen Raum. Die Neuzeller Darstellungen schuf der Künstler Joseph Felix Seifrit ab 1751. Er verwendete dafür mit Leinwand bespannte Keilrahmen, die bemalt wurden, Figurengruppen aus Holz und Texttafeln.
Idee eines unterirdischen Museums entwickelt
Heute sind fünf Bühnenbilder (Garten, Palast, Palasthof, Stadt und Kalvaria) und 15 Passionsszenen erhalten. Diese Szenen wurden in der Karwoche aufgestellt, ausschließlich zur Betrachtung, Verinnerlichung und Gebet, nachweislich bis 1863, also auch noch nach Auflösung des Klosters. Dann gerieten sie in Vergessenheit, dämmerten in einem Aufgang des Kirchturms vor sich hin. Taubendreck und Feuchtigkeit setzten ihnen zu. In den 1990er Jahren fand man sie wieder. Von den ursprünglichen 240 Einzelteilen waren 229 so weit erhalten, dass eine Restaurierung lohnend erschien. Den Verantwortlichen der Stiftung Stift Neuzelle war schnell klar, dass es sich hier um einen Schatz von europäischer Bedeutung handelte, der es verdiente, öffentlich gezeigt zu werden. Einen konservatorisch geeigneten Raum für die bis zu 7 Meter hohen und 6 Meter in die Tiefe reichenden Szenen gab es aber nicht und ein Neubau hätte das historische Klosterensemble empfindlich gestört. Experten des Brandenburgischen Landesamts für Denkmalpflege entwickelten dann gemeinsam mit der Stiftung die Idee, ein unterirdisches Museum in den klostereigenen Weinberg hineinzubauen, gleich hinter dem Kutschstallgebäude am Stiftsplatz. Gelder für den Museumsbau und die Restaurierung gaben EU, Bund und Land, insgesamt 8,9 Millionen Euro. Eine Empfangshalle mit Informationen zur Geschichte der Heiligen Gräber, ein klimatisiertes Depot und eine unterirdische Ausstellungshalle sind entstanden. Ins Himmlische Theater laufen Besucher durch einen schwarz ausgeschlagenen, leicht abschüssigen Tunnel. Er endet in einer Ausstellungshalle, die nach rechts und links eine leichte Krümmung aufweist. Dort sind wechselnd jeweils zwei Bühnenbilder zu bewundern. Seit Ostern dieses Jahres sind das die restaurierten Szenen „Jesus vor Annas" und „Grablegung Jesu".
Ein Großteil der Darstellungen vom Heiligen Grab wurde in speziellen Werkstätten in Wünsdorf bei Berlin schonend restauriert. Bis 2025 sollen alle Teile wieder aufbereitet sein. Dann können die Szenenwechsel in kürzeren Abständen erfolgen. Das Ergebnis lohnt die Mühe und ist unbedingt sehenswert. Doch wo sind die Zisterziensermönche, die ins lebendige Klosterleben gehören? Schließlich verdanken wir ihnen das Barockwunder von Brandenburg. Die Mönche gibt es wieder. Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt wandte sich 2016 an den Abt Maximilian Heim des Klosters Heiligenkreuz in Österreich mit der Bitte, in Neuzelle ein Priorat zu errichten. Es dauerte lange, bis eine positive Antwort kam. Seit 2018, nach 200jähriger Abwesenheit, leben nun in Neuzelle wieder sechs Zisterziensermönche.