Viktoria Berlin steigt nach seiner Premierensaison in der 3. Liga wieder ab. Die Talfahrt nach dem herausragenden Saisonstart war beispiellos und hatte viele Gründe. Eine schnelle Rückkehr in den Profifußball wird schwierig.
Bei Lukas Pinckert flossen Tränen, Björn Jopek fühlte sich „unglaublich leer", und Christoph Menz beschönigte nichts. „Das ist ein scheiß Gefühl", sagte der Kapitän. Das kleine Wunder von Viktoria Berlin im Saisonfinale blieb aus, der Drittliga-Neuling steigt nach einer ereignisreichen Premierensaison mit Höhen und Tiefen wieder in die Regionalliga ab. „Es ist nicht so, dass es überraschend kam. Wir wussten, wie die Ausgangslage ist", so Menz. Daher hielt sich der Schock auch in Grenzen. Trotzdem machte sich große Traurigkeit breit. Auch, weil der Abstieg mit etwas mehr Spielglück und weniger Corona-Chaos klar zu verhindern gewesen wäre. Doch der Konjunktiv bringt keinen Klassenerhalt.
„Letztlich ist es so", sagte Trainer Farat Toku, „dass wir es nicht geschafft haben und ich für die Spiele, die ich als Cheftrainer war, die volle Verantwortung übernehme." Der Bochumer hatte das Amt Anfang März von Aufstiegscoach Benedetto Muzzicato übernommen, die damals schon eklatante Talfahrt konnte aber auch er nicht stoppen. Er wäre „gern früher hier gewesen", um mit einer Vorbereitung noch mehr Einfluss auf die Mannschaft nehmen zu können. Doch Toku musste mit dem arbeiten, was er vorgefunden hatte: eine durchaus talentierte, aber komplett verunsicherte Mannschaft.
Mithilfe einer Defensivtaktik, das komplette Gegenteil der Philosophie seines Vorgängers, konnte Toku dem Team zwar etwas Stabilität verleihen. Die bitteren Niederlagen gegen den MSV Duisburg (0:1) und bei den Würzburger Kickers (0:3) brachen Viktoria am Ende aber das Genick. Dass die Himmelblauen zum Saisonschluss gegen den SV Meppen mit 3:4 verloren, war am Ende nicht mehr von großer Bedeutung, weil der einzig verbliebene Konkurrent SC Verl gegen den MSV Duisburg (1:1) den nötigen Punkt holte. Am Ende fehlten drei Zähler und acht Tore für den Ligaverbleib. „Wenn man nach 38 Spieltagen unter dem Strich steht", sagte Menz ehrlich, „ist das auch kein Pech."
Der direkte Abstieg wird viel verändern, doch damit wollen sich die Berliner erst ab der nächsten Woche verstärkt beschäftigen. Denn an diesem Samstag 21. Mai, 12.15 Uhr, steht noch das Landespokal-Finale gegen den Regionalligisten VSG Altglienicke an. Auflösungserscheinungen darf es aber nicht nur aus Prestigegründen keine geben, auch finanziell steht viel auf dem Spiel. Der Gewinner sichert sich das Startrecht an der kommenden Saison im DFB-Pokal, allein das spült 125.000 Euro in die Kassen. Geld, das Viktoria beim Neuaufbau dringend gebrauchen kann.
„Neben dem wirtschaftlichen Faktor ist die erste Runde im DFB-Pokal auch ein Event", sagte Sportdirektor Rocco Teichmann, „es ist die Bühne, um für junge Kicker attraktiv zu sein." Deshalb lautet trotz aller Trauer über den Abstieg das klare Ziel: Finalsieg. „Kurz einmal schütteln und dann fokussiert auf das Pokalfinale arbeiten" – so will Trainer Toku die Mannschaft für den Saisonabschluss motivieren. Dafür gab er sich selbst und seinem Team zwei Tage frei, „um den Abstieg zu verarbeiten und runterzukommen. Damit wir wieder die Köpfe freihaben." Er wolle der Mannschaft die richtige Balance vermitteln „zwischen Anspannung und Spaß".
Verlorene Spiele, verlorener Teamgeist
Spaß – den hatte Viktoria in der 3. Liga elf Spieltage lang. Mit begeisterndem Offensivfußball düpierte der Neuling sogar den ein oder anderen Aufstiegsfavoriten und stand beständig auf einem der ersten drei Plätze. Dreimal grüßte der Club aus Lichterfelde sogar von der Tabellenspitze, ein kleiner Hype brach aus und so mancher machte sich Gedanken über den möglichen Durchmarsch in die Zweite Liga. „Ich glaube nicht, dass wir uns da haben blenden lassen oder vom Weg abgekommen sind", wehrte sich Christoph Menz gegen den Vorwurf, die Spieler hätten damals die Bodenhaftung verloren. „Wir sind super gestartet, waren eine super Truppe gewesen", ergänzte der Abwehrspieler, „aber auf der Strecke ist irgendwann sehr viel verloren gegangen." Unter anderem der Teamgeist, das gibt Menz offen zu. „Spieler sind gegangen, neue gekommen, einiges hat vielleicht nicht gepasst miteinander oder untereinander, dann ist da so ein Lauf entstanden", sagte der 33-Jährige: „Hintenraus haben wir uns als Truppe gefangen, haben auch relativ gut gepunktet. Aber jetzt bist du abgestiegen." Der große Einbruch im Winter ist auch mit den coronabedingten Spiel- und Trainingsausfällen sowie zahlreichen Verletzungen zu erklären. „Ab Januar hatte man das Gefühl: Schlimmer kann es eigentlich nicht kommen", sagte Defensivspieler Jopek: „Und dann kam doch immer noch was."
Unter anderem der Verkauf von Tolcay Cigerci zum türkischen Zweitligisten Samsunspor. Der frühere Bundesligaprofi war bis dahin Viktorias Topscorer (sieben Tore und sieben Vorlagen), die eklatante Offensivschwäche in der Rückrunde ist auch mit seinem Wechsel zu erklären. Hat Viktoria für eine Ablöse von ein paar Hunderttausend Euro vielleicht den Abstieg riskiert? Diese Frage ist schwer zu beantworten, sie wird aber Teil der Aufarbeitung nach Saisonende sein. Spätestens dann wird auch die Zukunft von Toku geklärt, der nicht die erhoffte Wende herbeibrachte und als Abstiegstrainer nur geringe Chancen auf eine Weiterbeschäftigung hat – wenn er die denn überhaupt anstrebt. „Das macht Megaspaß mit den Jungs", sagte der 44-Jährige, der sich im Falle einer Trennung zumindest mit einem Sieg verabschieden möchte: „Wir wollen auf jeden Fall das Pokalfinale gewinnen und entsprechend auftreten. Da habe ich überhaupt keine Zweifel an der Mannschaft."
Ob mit oder ohne Toku – für Viktoria wird die Mission Wiederaufstieg eine äußerst schwere. In der Regionalliga Nordost tummeln sich ambitionierte Traditionsclubs wie Energie Cottbus, Chemnitzer FC oder Carl Zeiss Jena, außerdem besitzt der Regionalliga-Meister auch in der kommenden Saison kein automatisches Aufstiegsrecht, sondern muss in Play-offs darum kämpfen. Viktoria wird mit einem komplett neuen Kader an den Start gehen – aber der Kapitän will an Bord bleiben. „Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr weiterspielen werde", sagte Menz in einem TV-Interview zur Reporterin, „und dann sehen wir uns in zwei Jahren vielleicht wieder am Mikrofon."
Das würde bedeuten, Viktoria wäre dann aufgestiegen. Versprechen wollten das die Verantwortlichen nicht, weil das Gerüst der kommenden Mannschaft noch völlig unklar ist. Aber: „Wir werden daran arbeiten, wieder schöne Geschichten zu schreiben", betonte Sportdirektor Teichmann. Das Ziel 3. Liga dürfte dabei eine Rolle spielen, denn: „Das hat so viel Spaß gemacht, dass wir schon gern mal wieder dran teilnehmen wollen."
Viel wird davon abhängen, wie Investor Zeljko Karajica auf den Abstieg reagiert. Noch Mitte März hatte er den Fans die Sorge genommen, er könnte sein finanzielles Engagement eine Etage tiefer beenden. „Gar nichts" würde dann passieren, hatte Karajica gesagt: „Mal gewinnst du, mal verlierst du. Mund abputzen, Attacke und wieder loslegen!" Man wolle „hier langfristig etwas bewegen und Aufbruchsstimmung erzeugen". Doch klar ist auch: Karajica ist ein Unternehmer, der Viktoria vor allem als Investment betrachtet, das mehr Gewinn als Verlust machen muss.
Auch deshalb ist das Landespokalfinale viel mehr als nur ein möglicher Trostpreis.