Ob Saigon Duck, Sommerrolle oder verspielte Sushi-Dörfer in dreidimensionalen Aufbauten: Im „Sahatoky" bieten Tran Van Tanh und Hoang Yen Li überraschende Köstlichkeiten in Wittenau.
S-Bahnhof Wittenau. Die Freundin hat’s mit dem Rad nicht weit, und der Fotograf kann aus der Bahn quasi ins Restaurant hineinfallen. Das „Sahatoky" ist an der Oranienburger Straße – und zwar an der oben im Norden! – praktisch unübersehbar. Der Holzbogen mit Lampions im Entrée und die Terrasse weisen den Weg zur vietnamesischen Küche, die dort schwerpunktmäßig serviert wird. Doch nicht nur Phô, Udon- und Reisnudelgerichte oder Sommerrollen stehen auf der Karte. Auch Sushi finden dort ihren Platz – sogar überraschend gute.
Der Name verrät es bereits: Im „Sahatoky" werden Verbindungen in den Süden und Norden Vietnams sowie nach Japan gezogen. Saigon, Hanoi und Tokyo finden sich abgekürzt im Restaurant-Namen wieder, wie Mitinhaber Tran Van Tanh erklärt. Gemeinsam mit Geschäftspartnerin Hoang Yen Li führt er seit gut einem Jahr das Restaurant, das einen gesicherten Anlaufpunkt für die Versorgung mit Indochine-Küche in Reinickendorf bildet. Tran Van Tanh kennt die Gastronomie – er hatte bereits ein Restaurant in der Schöneberger Bülowstraße. Und nun Wittenau?
Ein Scheiterhaufen als Vorspeise
„Ein Freund hatte das Lokal gesehen, wir haben es besichtigt und uns dafür entschieden." Gut getimed war die Eröffnung im Mai 2021 – noch parallel zum Umbau gab es eine größere Baustelle vor der Tür. Wer isst schon gern seine „Sahatoky Bowl" oder seine Inside-out-Rolls, wenn Bagger und Presslufthammer vor der Fensterfront ihren Job tun? Die Gäste auf der mit 50 Plätzen gar nicht mal kleinen Terrasse lassen sich dort jetzt jedenfalls ebenso gern nieder wie auf den 60 Innenplätzen im Restaurant.
Natürlich lassen auch wir uns den Klassiker Sommerrolle nicht entgehen: Straff eingewickelt ins Reispapier rollen Salat, Kräuter, Reisnudeln und Garnelen heran. Süße Hoisin-Erdnuss-Sauce gibt’s zum Dippen. Eine frische, knackige, runde Sache! Ob ausgebackener Frühling oder frischer Sommer in Rollenform – viele Gerichte werden auch mit Seitan, Bio-Tofu oder mit Extra-Gemüse in vegetarisch serviert. Die nächsten Vorspeisen-Teller verblüffen: Zwei große Garnelen im knusprigen Reismantel erwecken als „Tom Chien Com" großen Gefallen bei uns. „Nicht das Herz zerreißen!", ruft die Freundin dem Fotografen beim Arrangieren des Tellers zu. Siehe da: Auch Salatgurken haben ein Herz. Vor allem, wenn sie halbiert und entsprechend wieder zusammengefügt werden. Ob das Absicht war?
Der Fotograf ist nämlich geneigt, eine andere Sorte Garnelen gut zu finden: Kleine „Banh Khoai Tom" rollen sich auf einer Art Süßkartoffel-Toast aus feinen Streifen zusammen. Dieser „Scheiterhaufen", wie ich ihn nenne, ist die nahrhaftere Variante einer Vorspeise. Leichte und feine Starters sind dagegen gegrillte Jakobsmuscheln, die umrahmt von Lauchzwiebeln, Koriander, Zwiebeln, Wasabi und einer hausgemachten Sauce in ihren eigenen, markanten Schalen liegen. Natürlich gibt’s auch Papaya-Salat, Yakitori-Hühnerspieße oder eine kleine Wan-Tan-Suppe, wie sie bekannt und beliebt sind. Doch der Blick auf die außergewöhnlicheren Teller lohnt. So kommen Traditionsesser und experimentierfreudigere Gäste im „Sahatoky" gleichermaßen auf ihre Kosten.
Salzzitronen-Limo mit „Käsenote"
Ebenso verhält es sich bei den Getränken: Ich wähle eine ordentlich mit grünen Spalten durchsetzte Limettenlimonade mit Minze. Sie ist durch die Zuckerkörner, die sich am Grund des Glases à la Virgin Mojito absetzen, ausdrücklich süß im Kontrast zur Zitrusfrucht-Säure. Fotograf und Freundin gönnen sich ein Ginger Beer sowie ein Saigon Beer, während wir große Platten mit „ganzen Sushi-Dörfern", wie der Fotograf die Menüs von der Karte nennt, zu den Nachbartischen schweben sehen. Wir ahnen nicht, dass wir mit unseren frei gewählten zwei Nigiri, einer Maki und einer Baked Big Roll ebenfalls ein solches Arrangement serviert bekommen.
Die Küche läuft in Spiel- und Dekorfreude zu Höchstform auf: Auf dem zentralen „Dorfplatz" wartet vor zwei Mini-Kunstbäumchen und Salatbüschen die mit Cocktail- und Unagi-Sauce überzogene und mit Sesam besprenkelte Veggie-Roll auf uns und unsere Stäbchen. Avocado, Gurke, Rettich, Kürbis und Frischkäse sind bei so viel mit Sauce überzogener Opulenz nicht sofort zu erkennen, dafür aber deutlich schmeckbar. Unter einem Glassturz ringeln sich feine weiße und rote Rettich-Locken hervor, die mit der Schärfe vom Wasabi-Tuff obenauf ergänzt werden können. Für die rohen Fisch nicht liebende Freundin haben wir Nigiri-Bänkchen mit Tamago, dem japanischen Omelette, sowie eine Maki-Baked-Roll mit gedünstetem Thunfisch und Lauch geordert.
Letztere ist eine schöne, sanfte Röllchen-Version, der die Rettich-Kringel für die knackig-frische Würze gut bekommen. Mein Favorit sind die Nigiri Sake Tobiko. Von außen um den Reis gewickelte Lachsstreifen wurden angeflämmt, mit Avocado-Schnitzen garniert und mit Tobiko, dem orangefarbenen Rogen des südostasiatischen Fliegenfisches, getoppt. Schöne Grüße vom Meer! Keine Frage, der Koch hat städtebauliche Ambitionen, und es handelt sich bei den Sushi-Dörfern zweifellos um solche in Küstennähe.
Ich habe weiterhin keine Lust auf Alkohol und frage nach einer Limo-Variante. „Möchten Sie eine Salzzitronen-Limonade probieren?", fragt mich Hoang Yen Li. Unbedingt! Jetzt wird’s richtig spannend, denn fermentierte Zitronen stehen nicht auf der Karte. Bückware? Nein: Tresenware. Ihre dreimonatige Ruhephase in Salzlake verbringen die ganzen Zitronen im großen Weckglas direkt vor den Augen der Gäste. Ich verstehe, warum der Geschmack nicht für jeden etwas ist: Die Säure der Früchte ist weitestgehend gewichen, das Salzige hat eine umami-artige „Käsenote". Das wird insbesondere beim Biss auf die kleingeschnittenen Fruchtstückchen klar, die mit Zucker, Eis und Wasser aufgefüllt werden. Das ist speziell für europäische Geschmacksknospen, aber ungemein erfrischend. Ich habe also zufällig „Chanh muoi" entdeckt, praktisch den vietnamesischen Energy-Drink aus natürlichen Zutaten. Es ist offenkundig, weshalb er in tropisch-heißen Weltgegenden so gut funktioniert – Salz, Süße und Wasser sorgen für einen ordentlichen Nährstoff- und Flüssigkeitsausgleich. Gutes Zeug!
Mehr als das Übliche entdecken
Dieweil sind unsere beiden Hauptgerichte auf dem Tisch gelandet. Wir probieren den „Saigon Duck", den uns Tran Van Tanh empfohlen hatte, sowie einen gebratenen „Lachs Nuong". „Diese Spezialität ist nur im Haus verfügbar" heißt es bei der medium gegrillten Barbarie-Ente aus gutem Grund. Sie kommt auf einer heißen Platte und blubbert uns heftig an. Brokkoli, Blumenkohl, Möhren, Erbsen, Paprika, Ananas und Edamame-Bohnen begleiten die von der Freundin als „cremig" bezeichnete Entenbrust. Zusammen mit Jasminreis ist das eine ordentliche, aber nicht beschwerende Portion. Bis auf die Terrasse schaffen es die gusseisernen Platten auf Holzbrett selbstredend. Aber für den Lieferdienst sind sie definitiv nicht tauglich.
Der Außer-Haus-Verkauf ist das zweite Standbein des „Sahatoky". Beinah alle Gerichte werden geliefert oder können direkt vor Ort abgeholt werden. Ab einem Bestellwert von 20 Euro ist die Lieferung kostenlos; das sollte zu zweit allemal zu schaffen sein. Beim gegrillten Lachsfilet wäre der Transport ebenso wenig ein Problem: Das scharf gegrillte Filetschnittchen wird mit üppig Gemüse, aber mit einer leichten Rama-Sauce, Kimchi und Jasminreis angerichtet. „Ungewöhnlich, aber gut mit dem Kimchi dazu", findet der Fotograf.
Der kulinarische Horizont endet in Reinickendorf nicht an den Grenzen Vietnams, sondern schweift mit den Sushi in Richtung Japan und mit dem Kimchi nach Korea ab. Wer nach vertraut Asiatischem sucht, wird fündig. Und wer mehr als das Übliche entdecken will, ist in diesem wirklich guten Nachbarschaftsrestaurant aber auch bestens beraten. Nachfragen hilft, die ungewöhnlicheren Gerichte zu finden. Das alles wird zu verträglichen Preisen und an jedem Tag in der Woche serviert. So soll es sein mit einem guten asiatischen Allrounder, der mit schönen Geschmacksabzweigen und schöner Präsentation in einer Wohngegend abseits von Mitte-Mitte punkten will und in der Tat mehr als angenehm überrascht.