Seit klar ist, dass der Tankrabatt nichts als Ärger bewirkt hat, streitet die Ampel-Koalition über die Folgen. Zwei Koalitionspartner sind mehr oder weniger dafür, die „Übergewinne" der Mineralölkonzerne zu versteuern, einer ist strikt dagegen. Unter dreien muss immer einer nachgeben.
Was war passiert? Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, hat es so beschrieben: „Mit der Einführung der Steuerermäßigung ist der Preis für E5 und E10 zunächst um 27 Cent und der Preis für Diesel um elf Cent im Durchschnitt gefallen. Seitdem sind die Preise wieder leicht, um circa fünf bis sechs Cent im Durchschnitt, angestiegen." Die Folge: Der Spritpreis lag wieder genauso hoch wie zuvor, die Konzerne hatten zusätzlich noch den Pfingstreiseboom mitgenommen. Seit Langem haben sich die Autofahrer daran gewöhnt, dass zu jedem Ferienbeginn die Preise an der Zapfsäule steigen. Das war diesmal nicht anders.
60 Milliarden Sanierungsstau
Der Tankrabatt sollte zusammen mit dem 9-Euro-Ticket den von der Inflation geplagten Bürgern etwas Erleichterung verschaffen. Beides hat die Bürger aber bisher nicht so recht überzeugen können. Billiger tanken? Das konnte man vergessen. Günstiger mit Bus und Bahn fahren? Klar, aber dazu musste man sich trauen, sich in das Getümmel über Pfingsten zu stürzen. Mittlerweile rät die Bahn sogar ab, mit dem Fahrrad zu verreisen. Die Aktion hat die Schwächen des überalterten Bahnnetzes brutal offengelegt. Es ist für eine große Zahl an Fahrgästen nicht gewappnet, ein Problem, das über Jahrzehnte verschleppt worden ist. Die Bahn selbst hat den Sanierungsstau auf knapp 60 Milliarden Euro beziffert. Makaber, dass auch noch das Unglück bei Garmisch-Partenkirchen passierte. Auch wenn die Ursache noch nicht feststeht: Bei einem Zug, der aus den Gleisen springt, ist entweder das Gleisbett oder das Fahrwerk nicht in Ordnung.
Die Sache mit den Spritpreisen hat viele Menschen verbittert. Da beschließt die Regierung einen Rabatt fürs Tanken für 3,15 Milliarden Euro – und wer streicht ihn sich ein? Die Konzerne! Das Bundeskartellamt rührt keinen Finger, Kartellamtschef Mundt erklärt sich in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk selbst zum zahnlosen Tiger. Was die Konkurrenz tue, sei durchschaubar, die Unternehmen könnten „blitzschnell auf Preisänderungen reagieren", Absprachen seien nur schwer nachweisbar.
Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung schlug einfach vor, den Tankrabatt, der drei Monate gelten soll, einfach zu stoppen und die Aktion zurückzunehmen. Denn der größte Teil der drei Milliarden Euro an Steuergeldern werde in den Taschen der Mineralölkonzerne landen, sagt er der dpa. Die Bundesregierung sollte dem Beispiel Englands und Italiens folgen und eine Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne einführen. Der Ökonom rechnete vor, dass so die zusätzlichen Umsätze, die im Vergleich zu 2021 gemacht wurden, zu 50 Prozent versteuert werden. Die Einsparung könne die Regierung an alle Bürger zurückgeben.
Die Grünen – und vor ihnen die Linke – waren schon früher auf diese Idee einer Übergewinnsteuer gekommen. Vizekanzler Robert Habeck sagt bei RTL im Blick auf die schwierige Weltmarktlage nach dem weitgehenden Boykott der russischen Öllieferungen: „Vom Krieg zu profitieren, das gehört sich eigentlich nicht." Das Problem sei, diese Profite von anderen abzugrenzen. „Trotzdem sollte man daran arbeiten, wissend, dass es kompliziert ist." Die Grünen Chefin Ricarda Lang ergänzt im „Tagesspiegel"-Interview: „Wir beobachten seit Monaten einen Entkoppelung von Rohölpreisen und Tankstellenpreisen. Einige wenige profitieren, während ganz viele mittelständische Unternehmen unter den hohen Energiepreisen leiden … Die Übergewinnsteuer wäre ein logischer Schritt."
An Pfingsten, dem Fest der Erleuchtung durch den Heiligen Geist, kam auch die SPD aus dem Knick, SPD-Chef Lars Klingbeil schimpfte, Übergewinnsteuer solle extreme Profite abschöpfen.
Aus der FDP kam erwartungsgemäß ein klares Nein. „Die ständigen Forderungen nach neuen Steuern bei SPD und Grünen sind schockierend und bewegen sich auf dem Niveau der Linkspartei", sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der dpa. Es sei „nicht die Zeit für Umverteilungsdebatten". Und Christian Lindner, FDP-Chef und Finanzminister, malte in einem „Spiegel"-Interview den Teufel an die Wand: Eine Übergewinnsteuer „würde auch die Hersteller von Impfstoffen, Wind- und Solarkraftanlagen oder Halbleitern treffen".
Soli-Beitrag statt Steuer
Während die FDP geschlossen gegen jede Steuer ist, rumorte es auch in der Union. Thorsten Frei, Vizevorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, sprach zwar von „Planwirtschaft pur, mit marktwirtschaftlichem Denken hat sie nichts zu tun." Aber Jens Spahn, ebenfalls Unionsfraktionsvize, meinte, man müsse ungerechtfertigte Extra-Gewinne von Öl-Multis wie in Großbritannien mit einer Steuer abschöpfen.
Eine andere Frage ist die, ob eine solche Steuer verfassungsgemäß sein wird. Dass die Konzerne das prüfen lassen werden, ist ziemlich sicher. Aber muss man das ganze denn „Steuer" nennen und gleich darüber nachdenken, ob alle betroffen sein sollen und wie lange sie gelten soll? Italien ist da flexibler. Dort, so Fratzscher, wird die Übergewinnsteuer als „Außerordentliche Solidaritätsabgabe" geführt, die sich einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zufolge ausschließlich auf Unternehmen der Energiebranche bezieht. Dass eine solche Abgabe rechtlich möglich ist, hat die EU-Kommission bestätigt. Sie gab im März grundsätzlich grünes Licht dafür, dass die Mitgliedstaaten „befristete steuerliche Maßnahmen zu Zufallsgewinnen in Betracht ziehen und ausnahmsweise beschließen können, einen Teil dieser Gewinne für die Umverteilung an die Verbraucherinnen und Verbraucher vorzusehen". Dabei müssten aber „übermäßige Marktverzerrungen" vermieden werden.
Die Frage einer Sonderabgabe könnte zum Stresstest der Ampelkoalition werden. Sie könnte sich auch bei möglichen staatlichen Unterstützungsleistungen für Geringverdiener, die am meisten unter der Inflation leiden, stellen. Oder auch bei der Frage, wie man die Bahn sanieren soll. Die großen Öl- und Gas-Multis würden eine Sonderabgabe einfach wegstecken, zumal sie ja glänzende Gewinnaussichten haben, wenn auch die russischen Gaslieferungen wegfielen. In dieser Situation könnte die Regierung eine Spur Robin-Hood-Image beweisen, was ihr in den Augen der Mehrheit nur guttun kann, die Konzerne zügelten (gerade auch in den Augen der Öffentlichkeit) ihre übermäßige Gier – und der Kapitalismus wäre mal wieder gerettet.