„I Feel You" heißt das neue Stück von Constanza Macras. Die aus Buenos Aires stammende Choreografin, die vom Tanz und Design kommt, lebt seit 1995 in Berlin und hat hier auch ein eigenes Studio.
Ihre Stücke sind bunt, laut, schrill und haben sich mittlerweile zu internationalen Verkaufsschlagern gemausert. Constanza Macras versucht darin, sagt sie, die Welt zu verstehen. So lässt sie „The Future" an der Berliner Volksbühne nach einem knapp zweistündigen Mix aus sozialkritischen Texten, Livemusik, Gesang und Bildmetaphern in ein gigantisches Finale münden. Im ersten Teil gehen Figuren verschiedener Zivilisationen, Teutonen etwa und Griechen, mit Waffen von Keulen bis Schwertern wild aufeinander los: kriegerische Menschheitsgeschichte im Zeitraffer. Mag das noch witzig sein, vergeht einem das Lachen im zweiten Teil des Finales. Als die zehn Akteure ihre historisierende Kleidung ablegen und zu Zeitgenossen werden, verstricken sie sich in einen schier endlosen Taumel aus tänzerisch abstrusen Bewegungen vollkommen isolierter Individuen, den ein Black auslöscht. Kein Ende, nur ein Nicht-mehr-sichtbar-Sein; keine verheißungsvolle, eine beängstigend reale Zu-kunftsvision.
Sie arbeite sehr ernsthaft, beschreibt Constanza Macras ihre Methode, durchwürze die Stücke jedoch mit viel Humor: das sei ein Mittel der Intelligenz. Schließlich stecke in den großen Tragödien auch eine Form von dunklem Humor. Und unterhalten sollen ihre Performances schließlich auch. Sie sei natürlich beeinflusst von der Welt um sie herum, ihre Stücke müssen mit dem jeweiligen Land und der Zeit zu tun haben. Sie muss am Entstehungsort des Stücks sein, herumlaufen, beobachten, möchte erfahren, was dort gerade wichtig ist. Aus diesen vielen Details entsteht dann in Zusammenarbeit mit ihrer Company Dorky Park jene typische Macras-Mixtur aus Theater, Text, Tanz, Video und Bilderfindung, eine Art Gesamtkunstwerk, wie sie es nennt, das dem Zuschauer bisweilen den aktiven Akt der Entschlüsselung aufbürdet.
Wie nun wurde Constanza Macras zu der unter anderem mit dem Theaterpreis Die Faust und dem Tabori Preis ausgezeichneten Künstlerin? Nach dem Studium in ihrer Heimatstadt Buenos Aires hat sie in den New Yorker Studios von Merce Cunningham, einer Ehrfurcht ge-bietenden, gut abgeschirmten Legende, trainiert. Ab 1995 hat sie in verschiedenen Berliner Gruppen getanzt und 1997 Tamagotchi Y2K gegründet, ihre erste Company. Tamagotchis waren damals japanische Digitalspielzeuge, mit denen man virtuelle Tiere betreuen konnte. Als sie 2003 ein Stück über den Weltraum und seine Nutzung durch Russland kreierte, fand das jemand dorky, und so wandelte sich der Name in Dorky Park, im Wortspiel auch mit dem berühmten Moskauer Gorki-Park.
Ihre Company heißt seit 2003 Dorky Park
Rund 30 Stücke zählt inzwischen das Repertoire von Dorky Park. Die Gruppe besteht aus fünf festangestellten internationalen Performerinnen und Performern mit ganz unterschiedlicher Persönlichkeit plus Gästen nach Bedarf. Acht Feste hätte Constanza Macras gern, doch das ist eine Frage der Finanzierbarkeit. Gefragt, welche Themen sie besonders interessieren, nennt sie Städte, urbanes Leben und, wie Architektur unsere Bewegungen und unser Denken prägt: Architektur als Instrument von Macht und Politik. Insofern habe ihre Arbeit immer auch eine sozial-politische Seite. Ebenso fasziniere sie das Phänomen Zeit. Dass Problemkreise wie Krieg, Ängste, Ökonomie und Ökologie nicht veralten, lässt ihre Stücke über den Tag hinaus aktuell bleiben. Insofern gehört Dorky Park zu den wenigen freien Theatergruppen, die ein Repertoire bilden. Darin tauchen Sujets wie Gentrifizierung auf, wie Länder durch Kolonialismus und Imperialismus geformt sind und umgeformt wurden. Eines der Stücke behandelt mit Roma-Spielern und -Musikern und Performerinnen und Performern von Dorky Park das Schicksal der Roma, ihre Wanderung und die europaweiten Vorurteile gegen sie. Sicher, sagt Constanza Macras, sei sie in ihrer humanistischen Haltung auch von Kurt Jooss geprägt, der vor den Nazis ja nach Südamerika emigriert war und dort Spuren hinterlassen hat.
Am 23. Juni stellt Constanza Macras an ungewöhnlichem Spielort ihre neue Produktion vor. „I Feel You" als eine „Choreografie der Empathie", wie es im Begleittext heißt, habe nicht direkt etwas mit den Folgen von Corona zu tun, vielmehr beschreibe es ihren Ansatz, Mitgefühl zu zeigen, und das in einer Zeit, in der scheinbar nur der Stärkere überlebt. Was dann doch wieder an Corona gemahnt, denn bei vielen haben die fortwährenden Schließperioden Depressionen und Verzweiflung ausgelöst. Auch neurophysiologische Erkenntnisse seien bei der Entstehung eingeflossen. Was das bedeutet, erklärt Constanza Macras so: Spiegelneuronen erzeugen beim Betrachten eines Vorgangs die gleichen Muster wie beim eigenen Ausführen dieser Aktion. Sie können an Verhaltensmustern wie Imitation und Empathie beteiligt sein. Wenn etwa einige beginnen, Pasta und Klopapier zu hamstern, imitieren andere das und legen ebenfalls unbegründet große Vorräte an. Auch in der Alltagssprache zeigt sich das, wenn bestimmte modische Wendungen fast zu Tode benutzt werden. Constanza Macras gibt ein einleuchtendes Beispiel: Sie musste weinen, weil ihre Mutter sie nicht mehr erkannte, die Mutter weinte daraufhin auch, ohne zu wissen warum.
Zuschauer sollen frei beweglich bleiben
Premiere wird „I Feel You" mit den Performer*innen von Dorky Park und einer israelischen Gasttänzerin im gegenwärtigen Probenraum der Company haben, der ARTIS HALLE, einer ehemaligen Holzwerkstatt von imposanter Fläche, mit hochragenden Holzwänden und starkem Hall, die am Columbiadamm in Berlin steht . Obwohl sie 180 Zuschauer fasst, wird es nur 80 Campingstühle geben, denn es finden Aktionen parallel statt. Die Besucher sollen daher frei beweglich bleiben und sich ihr Stück gewissermaßen selbst zusammenpuzzeln. Getanzt und gesungen wird in „I Feel You", die Livemusik erzeugen die Tänzerinnen und Tänzer mit Gitarren und Trommeln. Constanza Macras nennt ihr pausenfreies 70-Minuten-Stück eine Mischung aus Performance und Installation, eine Kollaboration mit dem Raum und dem Licht in eher fragmentarischer Dramaturgie.
Noch einmal wird die Artis Halle zum Spielort von Dorky Park, wenn ab 6. Juli „Stage of Crises" in veränderter Fassung seine Bühnenpremiere erlebt. Das Stück lief 2013 unter anderem Titel als vierstündiger performativer Spaziergang durch den Müggelwald mit verschiedenen Spielstationen und verhandelt romantische Assoziationen des Waldes, Spekulationsblasen und Wirtschaftskrisen. Als digitales Streaming-Angebot hatte die Bühnenversion ihre Uraufführung im Hau Hebbel am Ufer und wurde auch beim Festival „Tanz im August" gezeigt. In überarbeiteter Fassung erobert „Stage of Crisis" nun die Artis Halle. Zugleich ein Abschied, denn das Objekt wird künftig vom Besitzer anderweitig genutzt. An welchem Ort immer: Zuschauer trotz der Konkurrenz durch Internet-Plattformen und Netflix-Serien für das Theater als unersetztliches Live-Erlebnis zu begeistern, bleibt auch weiterhin das Anliegen von Constanza Macras und Dorky Park.