Das Thema Fehlgeburt ist in Deutschland nach wie vor ein Tabu. Dabei betrifft dieses traurige Ereignis jede sechste Schwangere. Viele von ihnen wissen gar nicht, dass sie einen Abort hatten. Für andere ist das Erlebnis ein großes Trauma, das es zu behandeln gilt.
Eine Frau erleidet eine Fehlgeburt, wenn die Schwangerschaft vor der circa 24. Schwangerschaftswoche (SSW) endet. Unterschieden wird hier zwischen Früh-, bis zur zwölften SSW, und Spätaborten, circa bis zur 20. SSW. Die meisten Fehlgeburten passieren vor der siebten SSW, nach der zwölften nimmt das Risiko noch einmal ab. Ab etwa dem fünften Schwangerschaftsmonat spricht man dann von einer Totgeburt", fasst Hebamme Linda Kiefer vom Klinikum Saarbrücken die verschiedenen Stadien eines verfrühten Schwangerschaftsendes zusammen.
Der Begriff Abort ist abgeleitet vom Lateinischen „aboriri". Es gibt Annahmen, dass rund die Hälfte aller befruchteten Eizellen in den ersten drei bis vier Wochen wieder abgehen. In den meisten Fällen geschieht dieser Abgang unbemerkt. Aus diesem Grund gelten die ersten drei Schwangerschaftsmonate als die riskantesten. Danach nimmt das Risiko ab. Geht etwas schief, bemerkt die werdende Mutter dies nicht immer sofort. „Manchmal gibt es gar keine Anzeichen und es wird zufällig im Ultraschall festgestellt, oftmals beginnt eine Fehlgeburt aber mit leichten Blutungen oder Bauchkrämpfen, ähnlich einem Periodenschmerz", erklärt Hebamme Alexandra Krewer aus der Hebammenpraxis Mamilu in Bexbach.
Für Schwangere ist das ein schmerzhaftes Ereignis, physisch und psychisch. Nach der Erkenntnis, dass es mit der Freude auf das Baby nun vorbei ist, müssen Mütter auch durch den Prozess der frühen Entbindung hindurch. Eine stille Geburt steht bevor. Diese Bezeichnung ist abgeleitet von der Tatsache, dass die Babys bei ihrem Weg auf die Welt entschlafen sind und nicht schreien. Trotz des Traumas raten viele Ärzte und Hebammen dazu, die Geburt natürlich zu vollziehen und sie nicht durch Ausschabung oder Kaiserschnitt beenden zu lassen. Das gibt Körper und Seele der Mutter Zeit, zu heilen und sich bewusst mit dem Verlust auseinanderzusetzen. Bei einer stillen Geburt kann es dauern, bis der Körper von allein beginnt, den Embryo abzustoßen.
Leichte Blutungen, Bauchkrämpfe
Im Krankenhaus besteht die Möglichkeit, sanft nachzuhelfen und den Vorgang medikamentös einzuleiten. Für alle Eltern ist diese Erfahrung traurig, aber auch einzigartig wie das Leben selbst. Wie im Fall von Delia (Anm. d. Red.: Name geändert). „Es war die vierte Schwangerschaft des Paares, zwei Kinder waren gesund geboren und eine frühe Fehlgeburt lag gerade vier Monate zurück. Der Embryo war jetzt neun Wochen alt und im Ultraschall bei der Vorsorge war keine Herzaktion mehr zu sehen. Da bei der vorangegangenen Fehlgeburt direkt eine Ausschabung in der Klinik erfolgte und Julia damit sehr unglücklich war, sollte es diesmal anders laufen. Wir warteten also gemeinsam ab, trafen uns regelmäßig alle paar Tage zur Akupunktur. Gleichzeitig gab es Tees, homöopathische Mittel und lange Gespräche. Es dauerte drei Wochen, bis der Körper von Julia das Kind loslassen wollte, und dann ging alles innerhalb von ein paar Stunden mit einer ordentlichen Blutung ganz von selbst. Wir hatten anschließend noch ein paar Termine, um die Rückbildung und die Blutung zu kontrollieren, aber vor allem auch, um über alles Erlebte zu sprechen. Drei Monate später war Julia wieder schwanger, und diesmal war alles gut! Ich habe die Familie dann auch beim dritten (oder fünften) Kind betreut und wir haben uns gemeinsam über den ersten Jungen gefreut", erzählt Krewer.
Ein Geburtsbericht, der Hoffnung schenkt, denn mit einer Fehlgeburt ist die Freude auf das Leben nicht vorbei. Es ist möglich, gesunde Schwangerschaften nach einer stillen Geburt zu erleben. „Wichtig ist, dass man weiß, dass im Schnitt jede dritte Frau einmal in ihrem Leben eine Fehlgeburt hat, ob bemerkt oder unbemerkt. Im Grunde ist es ein gut funktionierendes System im Körper der Mutter, das erkannt hat, dass mit dieser Anlage etwas nicht in Ordnung ist, und deshalb diese Schwangerschaft nicht weiter wachsen lässt", erklärt die erfahrene Hebamme. Ihre Kollegin Linda Kiefer ergänzt: „Die Ursache der meisten Fehlgeburten wird nicht untersucht, in den häufigsten Fällen ist sie aber wohl auf genetische Störungen zurückzuführen. Dann kann eine Frau normalerweise wieder unkompliziert und eigentlich relativ zeitnah schwanger werden. Eine wiederholte Fehlgeburt ist sehr selten. In diesem Fall wird die Frau dann genauer auf mögliche andere Ursachen wie Erkrankungen untersucht. Liegt zum Beispiel eine Hormon- oder Gerinnungsstörung vor, gibt es mittlerweile gute Behandlungsmethoden." Es kann seine Zeit dauern, bis Paare bereit sind, sich auf eine neue Schwangerschaft einzulassen. Unterstützung erhalten sie dabei nicht nur von Gynäkologen.
„Hebammen betreuen Schwangere auch nach einer Fehlgeburt, das steht ganz klar in der Hebammenvergütungsvereinbarung. Jeder Frau, egal ob nach der Geburt eines gesunden Kindes oder nach Fehl- oder Totgeburt, hat ein Recht darauf, von einer Hebamme betreut zu werden. Leider wissen das viele nicht oder sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit einer Hebamme in Kontakt getreten, weiß Linda Kiefer. Dabei ist es wichtig zu trauern, zu heilen und wieder neue Hoffnung zu sammeln. Hier können auch Selbsthilfegruppen oder Psychotherapeuten weiterhelfen.
„Mehr Verständnis und ein sensiblerer Umgang"
Wichtig zu wissen ist, wie der Trauerprozess rein rechtlich definiert ist. Demnach gelten Kinder als Fehlgeburten, wenn sie weniger als 500 Gramm wiegen. Schwerere Kinder bezeichnet der Staat als Totgeburt. Doch ganz gleich, welches Gewicht erreicht wurde, Eltern haben das Recht, ihre Fehlgeburt im Personenstandsregister beurkunden zu lassen. Auf Wunsch erhalten sie außerdem eine Bescheinigung, in der das Kind beim zuständigen Standesamt aufgeführt ist. Das Krankenhaus stellt ein entsprechendes Formular aus. Für viele Eltern ist es wichtig, das Neugeborene im Geburtenregister eintragen zu lassen und somit seine kurze Existenz auf der Erde zu dokumentieren. Eine Geburtsurkunde ist für alle Kinder über 500 Gramm Gewicht vorgesehen. Hat das Baby während oder nach der Geburt noch geatmet, wird auch eine Sterbeurkunde ausgestellt.
Leichtere Kinder können auf Wunsch der Familien ebenfalls beigesetzt werden, in einem Friedwald, auf dem Friedhof oder anonym. Darüber hinaus bieten die meisten Kliniken den Eltern die Möglichkeit, in Ruhe Abschied zu nehmen. Dafür stehen private Familienzimmer oder kleine Kapellen bereit. Fußabdrücke der Kinder, Kuscheltiere, Decken und Ähnliches werden in einer Erinnerungsmappe gesammelt, damit die Eltern nicht mit leeren Händen nach Hause gehen. Oft besteht der Wunsch, Fotos der „Sternenkinder" zu machen. Dafür kommen darauf geschulte Fotografen direkt in die Klinik. Haben Paare eine Fehlgeburt erlitten, sind automatisch auch enge Freunde und Familienangehörige involviert. Diese wissen oft nicht, wie sie sich angemessen verhalten sollen. Hebamme Kiefer hat hilfreiche Tipps: „Ich persönlich fände es schön, wenn dieses Thema nicht mehr so im Verborgenen bliebe. Normalerweise werden die meisten Frauen unkompliziert schwanger und tragen ein gesundes Kind aus ohne Komplikationen, anderen warten wiederum lange auf das Eintreten einer Schwangerschaft. Egal wie, die Trauer und Enttäuschung sind groß, wenn es zu einer Fehlgeburt kommt. Sie fühlen sich in dieser Situation alleine und wissen gar nicht, dass eventuell Bekannte und Freundinnen auch mit diesem Thema konfrontiert waren oder sind. Natürlich kann das den Schmerz nicht nehmen, aber es kann helfen, darüber zu reden. Auch wären mehr Verständnis und ein sensiblerer Umgang mit dem Thema wünschenswert. Sprüche wie ‚Dann wirst du halt wieder schwanger‘, sind vielleicht gut gemeint, helfen in den meisten Fällen den Frauen aber nicht weiter."