Der australische Regisseur Baz Luhrmann hat für sein Biopic „Elvis" in Austin Butler die ideale Besetzung für die Rock-Ikone gefunden. „Elvis" ist ein barockes Bildfeuerwerk mit viel Musik und Herz und Schmerz.
Es ist der 30. Juli 1954. Auf einer Bühne in Memphis, Tennessee – dort, wo sich sonst das Rockabilly-Publikum mit Country-Schmalzmusik beduseln lässt – steht ein junger Mann in einem pinkfarbenen Anzug, mit Lidstrich und tintenschwarzer Haartolle in der Stirn. Seine Gitarre baumelt locker um die Hüften. „Get a haircut, buttercup", gröhlt einer aus dem Publikum. „Lass dir die Haare schneiden, du Schmalzlocke!" heißt es in der deutschen Fassung. Doch Elvis Aaron Presley stört das nicht. Er schaut noch einmal zu seiner Band, holt tief Luft und legt los – mit „That’s All Right, Mama". Schon nach wenigen Takten ist das Publikum wie elektrisiert. Elvis macht aus dem Slow-Blues eine wilde, rockige Up-Tempo-Nummer und singt den Song mit noch nie gehörter soulig-emotionaler Inbrunst. Dabei zuckt er rhythmisch mit den Beinen und lässt lasziv das Becken kreisen. Ein erotisches Erdbeben! Das Publikum gerät total aus dem Häuschen. Es kommt zu tumultartigen Szenen. Die Teenage-Girls jauchzen hysterisch, ihre Boyfriends sind wie vor den Kopf gestoßen. Was für eine triumphale Performance! Das ist die Geburtsstunde einer Legende.
Etwas abseits am Bühnenrand steht ein dicker Mann, dem vor Staunen fast die Zigarre aus dem Mund fällt. Er nennt sich Colonel Tom Parker, ist ein zwielichtiger Charakter mit Vaudeville-Background. Parker spürt instinktiv: Er muss diesen Elvis unbedingt unter seine Fittiche nehmen! Mit ihm als Manager wird aus dem Rock’n’Roll-Rohdiamanten der größte Entertainer aller Zeiten werden. „Du und ich, wir sind dieselben. Einsame Kinder, die nach der Ewigkeit greifen", wird er später zu Elvis sagen. Und er wird Recht behalten.
„Einsame Kinder, die nach der Ewigkeit greifen"
Baz Luhrmanns epische Hommage zeichnet den märchenhaften Aufstieg des Lastwagenfahrers zum Superstar nach. Und zwar bis zu Elvis’ tragischem Ende. Und beleuchtet die komplizierte Beziehung von Elvis zu seinem Svengali-Manager Colonel Parker. Im Mittelpunkt dieser faszinierenden Collage aus Privatleben, bahnbrechenden Konzertauftritten, musikalischen Höhenflügen, heftigen Abstürzen und Las Vegas-Showbiz-Glitz stehen Austin Butler als Elvis und Tom Hanks als Colonel Tom Parker. Tom Hanks ist in seinem Fettanzug samt Silikon-Prothesen im Gesicht kaum wieder zu erkennen. Er spielt den Meister-Manipulator mit der väterlichen Maske souverän, mit einer perfiden Mischung aus echter Bewunderung für seinen Schützling und skrupelloser Profitgier. Die eigentliche Sensation von „Elvis" aber ist der US-Schauspieler Austin Butler. Wie er den übergroßen, mythenbeladenen Superstar auf der Leinwand zum Leben erweckt, taufrisch, sexy und auch irgendwie verloren, ist schlicht sensationell. Er verkörpert Elvis’ Leidenschaft für Gospel und Rhythm and Blues ebenso authentisch wie dessen charismatische Ausstrahlung – inklusive Schlafzimmerblick. Gegen Ende der Saga sieht man ihn in Las Vegas, wo er sich – total zugedröhnt mit Pillen und Alkohol –
verfettet und aus allen Poren schwitzend an einem Herzinfarkt vorbei singt. Die komplette Elvis-Metamorphose also. Kein Wunder, dass sich Elvis’ Ehefrau Priscilla Presley und Tochter Lisa Marie Presley unisono mit Lob für Austin Butler überschlagen. O-Ton Priscilla: „Einfach spektakulär!" Und Lisa Marie: „Er verkörpert das Herz und die Seele meines Vaters ganz wunderbar. Und das auf so respektvolle Art und Weise."
Furioses, fiebriges Zeitgeistporträt
Inszeniert hat diese glamouröse Starkult-Tour-de-Force der australische Regisseur Baz Luhrmann (Porträt siehe Seite 86) mit Verve und Furor, in einem unvergleichlichen Bilder-Reigen, dessen Sogwirkung man sich kaum entziehen kann. Dabei ist Baz Luhrmann auf der Höhe seines artistischen Könnens, das er schon in seinen Filmen „Romeo & Julia" (1996) und „Moulin Rouge" (2001) so sinnlich und flamboyant zelebriert hat. Dass er sich dabei genau an die Chronologie der Ereignisse hält, ist ein Kunstgriff, der dem Film die dramatische Stringenz verleiht. Wir sehen den blutjungen Elvis, der seine musikalische Prägung durch Gospel-Gesänge in Kirchenzelten, in verruchten Blues-Bars und Bordellen erhält. Wir erleben, wie er als Weißer den schwarzen Rhythm and Blues revolutioniert und so zum „King des Rock’n’Roll" wird. Wir werden Zeugen der überbordenden Liebe zu seiner Mutter, der er ein, zwei, drei pinkfarbene Cadillacs schenkt. Wir sehen, wie er während seines Militärdiensts in Deutschland seine spätere Frau Priscilla (Olivia DeJonge) kennenlernt, staunen über sein legendäres Comeback in Memphis, sehen, wie Colonel Parker ihn an die Mafia in Las Vegas verschachert, wo Elvis dann sechs lange Jahre im International-Hotel von Mafia-Boss Lansky (Anthony LaPaglia) eine Show nach der anderen abliefert. Und wir erfahren, wie er von Drogen und Alkohol gezeichnet 1977 mit nur 42 Jahren stirbt.
Auch wenn die psychologischen Bewegründe von Elvis Presley etwas im Hintergrund bleiben und über manche Lebensphasen etwas zu zügig hinweggegangen wird: Es ist und bleibt ein großes Elvis-Fest, das die vibrierende, fiebrige Zeitgeist-Stimmung mit großer Passion auf den Zuschauer überträgt. „Elvis" ist ganz großes Kino!