Die Entscheidung, einen elektrischen Ford künftig in Valencia statt in Saarlouis bauen zu lassen, muss noch nicht das komplette Ende des Werks im Saarland bedeuten. Ein herber Schlag nach einem unfairen Wettbewerb sei es trotzdem, ließ die Ministerpräsidentin wissen.
Der Saarlouiser Röderberg, ja das ganze Saarland ist geschockt und wütend, Almussafes erleichtert: Das Elektro-Modell, um das die Ford-Werke in Deutschland und in Spanien miteinander rangen, wird in Valencia gebaut. Laut dem Management von Ford, Konzernchef Jim Farley und Ford-Europa-Chef Stuart Rowley, sei Valencia nach dem internen Bieterwettstreit am besten positioniert, um in diesem Jahrzehnt ein neues elektrisches Auto zu bauen. Für die Saarländer endet die Zusage des Konzerns, dass am Röderberg Autos, insbesondere der Ford Focus, gebaut werden, im Jahr 2025. Was danach geschieht, ist noch unklar.
Ford selbst spricht nebulös von drei Alternativen: Das Werk könnte Teile für andere Ford-Werke herstellen oder beispielsweise Batterien von Elektrofahrzeugen recyceln, der Konzern könnte die Beschäftigung mit anderen Unternehmen sicherstellen, was einen Teil- oder Komplettverkauf miteinschlösse, oder in Zusammenarbeit mit der Landesregierung geschäftlich tätig werden. Europa-Chef Rowley betont, dass dies keine Entscheidung für eine Werksschließung sei, finanziell und technisch sei Valencia aber besser aufgestellt. Mit in die Entscheidung einflossen der Lohnverzicht der Belegschaft in Valencia, die Flexibilisierung der Arbeit sowie der Bau eines Batteriewerkes von Fords E-Mobilitätspartner Volkswagen.
Fords nebulöse Alternativen
Die Entscheidung könnte auch an der Nähe zu Marokko liegen: In dem nordafrikanischen Land investierten zu Jahresbeginn zahlreiche internationale Zulieferer, darunter auch ein US-amerikanisches Unternehmen mit engen Verbindungen zu Ford, umgerechnet 180 Millionen Dollar in existierende oder neue Autozulieferbetriebe etwa für Kabelbäume, meldeten mehrere marokkanische Zeitungen. Denn der Durchschnittslohn in Marokko liegt laut Statistik von „German Trade & Invest" 2018 bei umgerechnet nur 488 US-Dollar im Monat, die Auto-Supplier in Casablanca, Rabat oder Tanger sind nur eine kurze Schiffsreise von Valencia entfernt.
Für die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, die selbst noch vor Kurzem nach Detroit gereist war, um ein 500 Millionen Euro schweres Förderprogramm für den Standort zu präsentieren, war die Sache eine „Farce". Auch sie ist wie Hunderte Fordianer und Gewerkschafter in Saarlouis tief enttäuscht von der Hinhaltetaktik und dem Ausspielen von Standorten gegeneinander. Betriebsratschef Markus Thal warf der Konzernführung Totalversagen vor, will sich aber noch nicht geschlagen geben.
Ein Zukunftspakt soll nach dem Willen der saarländischen Landesregierung den weiteren Umgang mit dem US-Konzern und dem Standort regeln: So soll Ford mit eigenen Ideen so viele Arbeitsplätze wie möglich in Saarlouis erhalten. Die landeseigene Gesellschaft für Transformationsmanagement erhalte eine eigene Anlaufstelle für die Beschäftigten. Sie sollen weiterqualifiziert werden, auch die Fachkräfte der Zulieferer. Hierzu ist eine Zuliefererkonferenz geplant.
Um von den historischen Erfahrungen anderer Länder zu profitieren, in denen Ähnliches geschah, will das Saarland zudem Kontakt mit diesen aufnehmen: 2016 schloss beispielsweise Ford sein belgisches Werk in Genk. Damals verloren rund 6.000 Menschen ihren Job, das Land Flandern einen seiner großen Arbeitgeber. Der Autokonzern zahlte jedem Mitarbeiter mehr als 187.000 Euro Abfindung, meldete damals das „Handelsblatt". Die Produktion wurde übrigens verlagert – nach Valencia und Köln.
Ähnliches Szenario in Belgien
Es sei nun höchste Zeit für die Landesregierung, aktiv zu werden, mahnt auch Autoregion-Saar-Chef Armin Gehl. Gleichzeitig bittet er um mehr Sachlichkeit: „Panik ist jetzt der schlechteste Ratgeber." Entscheidend sei nun der Ankauf des Geländes, das dem US-Konzern gehört, und die Eigenvermarktung durch das Land. So könnten neue Unternehmen angelockt werden. „Dazu könnten asiatische Autohersteller gehören, die aktiv nach einem ‚Fuß in der Tür‘ des europäischen Marktes suchen", so Gehl. „Außerdem brauchen wir in spätestens zehn Jahren Recycling-Kapazitäten für Autobatterien" – ebenfalls eine Perspektive für den Standort. 300.000 bis 400.000 Tonnen jährlich, schätzt Gehl, kommen auf Deutschland an Recycling-Kapazitäten zu, zumal Ford-Konkurrent Stellantis (Opel, Peugeot, Citroën, Chrysler) in direkter regionaler Nachbarschaft, in Kaiserslautern, ein Batteriewerk baut. Und dann sei da noch der Wasserstoff, nicht nur energetisch, sondern auch als Arbeitsplatzlieferant die große Hoffnung der Zukunft.
Zehn Jahre ist für die Beschäftigten in Saarlouis jedoch ein viel zu langer Zeithorizont, sie benötigen jetzt schnellstmöglich eine neue Perspektive. Insgesamt ist die Situation für den saarländischen Arbeitsmarkt zunächst keine allzu dramatische. Die Zahl der Beschäftigten in Saarlouis schmilzt schon seit Jahren. Teils geschieht dies durch aktive Abwerbung anderer Unternehmen, darunter auch der Batteriehersteller SVolt, teils durch Verrentung und Abfindungen. Der befürchtete Effekt des Rückzugs eines großen Arbeitgebers jedoch hat auch Auswirkungen auf Handel und Gewerbe in der Region. Thomas Ludewig, Vorsitzender des Saarlouiser Verbandes für Handel, Handwerk, Industrie und Freie Berufe, arbeitet mit den Kollegen im Vorstand seit Monaten an einem neuen Leitbild für die Stadt. „Wir müssen weg davon, uns nur von einem Arbeitgeber abhängig zu machen", so Ludewig. „Uns geht es wie zum Ende des Bergbaus im Saarland: Trauer am Ende einer Ära ist notwendig. Aber es braucht nun Energie für die Zukunft."
Mittlerweile ist das Ford-Gelände in Genk abgewickelt, teils renaturiert, teils als Fläche für neue Unternehmensansiedlungen saniert. Seit 2020 bauen Investoren einen neuen Containerhafen, da das Gelände nicht nur an Straße und Schiene, sondern über den Albertkanal auch mit dem Güterumschlagplatz Antwerpen verbunden ist. Mehrere Tausend Arbeitsplätze könnten dort entstehen, schätzt die flämische Regierung – bloß nicht über Nacht. An der Saar gilt es jetzt für alle Beteiligten, eine Lösung zu finden. So wie Henry Ford, der gesagt haben soll: Suche nicht nach Fehlern, suche nach Lösungen.