Einst war die Stadt Luxor Teil der Königsmetropole Theben. Deren faszinierende Tempel- und Totenstädte zu beiden Seiten des Nils zählen zu den kostbarsten Denkmälern der Menschheit. Und immer mehr holen die Archäologen ans Licht. Wie zum Beispiel eine antike Beamten- und Handwerkerstadt.
Über dem Nil und seinen Ufern hängen Nebelschleier und die letzten Fetzen Dunkelheit der Wüstennacht. Bis auf das grelle weiße Straßenlicht von Luxor ist noch alles grau an diesem frühen Morgen: die vielen Kreuzfahrtschiffe, reihenweise dicht gedrängt im Hafen liegend, die Straßen und Hotels, das Heiligtum der Pharaonen mitten in der City.
Der kurze Fußmarsch vom Hotel zum Bootsanleger führt über die Corniche. So heißt die schmale Uferpromenade zwischen Fluss und Luxor-Tempel. Dessen älteste Gebäude ließ Amenhotep III. vor fast dreieinhalb Jahrtausenden errichten.
Götter in vielerlei Gestalten
Der Pharao, zu dessen vielen Ehefrauen auch zwei seiner Töchter zählten, weihte es dem Götterpaar Amun und Mut sowie dessen Sohn, dem Mondgott Chons. In vielerlei Gestalt erscheinen sie als kolossale Steinfiguren und Reliefs. Auch königliche Bau- und Hausherren der Götterburg hinterließen ihre Konterfeis, allen voran Ramses II. Noch heute zählen seine Statuen zu den markantesten Objekten des Komplexes. Gleich zweimal etwa sitzt der selbstbewusste Herrscher vor dem mächtigen, von ihm erschaffenen Pylon –
dem großen Toreingang bestehend aus zwei Flankentürmen, die eigentlich nur dicke, breite Mauern sind.
Von den beiden Obelisken, die Ramses II. direkt davor platzierte, ist nur einer übrig. Der andere steht seit dem Jahre 1836 in Europa. Muhammad Ali Pascha, Gouverneur der damaligen osmanischen Provinz Ägypten, hatte sie dem König Frankreichs aus Dankbarkeit geschenkt. Anlass war das Werk von Jean-François Champollion. Mit der Entschlüsselung der Hieroglyphenschrift hatte der französische Gelehrte die moderne Ägyptologie begründet.
Der kleinere, 23 Meter hohe, 230 Tonnen schwere Obelisk aus rosa Syenit (ein granitähnliches Gestein) erhielt nach dreijähriger Reise vom Nil bis an die Seine einen neuen Standort auf der Place de la Concorde. Dort ragt er bis heute in den Himmel von Paris. Wegen des aufwendigen Transports blieb der etwas größere „Zwilling" in Luxor, befand sich aber seit der Schenkung im Besitz von Frankreich. Erst 1981 gab ihn dessen Präsident François Mitterand offiziell zurück.
So gehört der schlanke, spitze und von Hieroglyphen übersäte Prunk-Pfeiler nach wie vor zum Luxor-Tempel – ebenso wie seine Kolonaden aus Papyrussäulen und die Moschee des Abu l-Haggāg mit ihren Minaretten.
Es ist noch ziemlich kühl an diesem Morgen, als das kleine Motorboot in Luxor ablegt, um den Nil zu überqueren. Ein Stück noch mit dem Auto bis zum Startplatz. Dann kann das Abenteuer „Ballonfahrt über West Theben" beginnen.
Alte Stadt wird freigelegt
Neugier und die Lust auf Wärme locken die noch recht verschlafenen Touristen in die Nähe des Propangasbrenners. Beherzt lässt Emad, der ägyptische Ballonpilot, die Flamme lodern. Die heiße Luft bringt den Ballonstoff rasch ins Wallen. Gerade lag die feuerrote, dünne, aber superfeste Nylonhülle noch am Boden. Im Nu bäumt sie sich auf und bläht sich. Als sie endlich straff gespannt ist, winkt der Fahrzeugführer seine Gäste in den Korb: „Einsteigen, bitte. In wenigen Minuten starten wir."
Und schon erhebt sich das Gefährt dank seiner aufstrebenden warmen Blase in den kalten Morgen über Theben, das vor präzise 4.157 Jahren erstmals Hauptstadt von Ägypten wurde – die vierte übrigens von allen 20, die das Land im Laufe seiner langen Existenz bisher erlebte. Die einstmalige Königsmetropole wird vom Nil durchtrennt. In Theben Ost befinden sich die Tempelstadt Karnak und südlich davon Luxor, das sich zur modernen Halbmillionenstadt entwickelte. In Theben West versammeln sich die alten Nekropolen wie auch Gräberfelder. Weil es so viele sind, war und ist sehr oft von einer einzigen, sehr großen Totenstadt die Rede.
Inzwischen allerdings steht fest: Auch hier wurde gelebt, gewohnt, gearbeitet. Mit etwas Glück wird der Beweis dazu – die Reste der Handwerker- und Beamtenstadt Aton – in einigen Minuten den Ballonfahrern zu Füßen liegen. Emad hofft, etwas davon zu sehen. Doch lenken könne er den Heißluftballon eben leider nicht. Lautlos schwebt das Luftgefährt nun über Sandland. Im Nordwesten liegt die Libysche, im Osten die Arabische Wüste und hinter ihr das Rote Meer mit den beliebten Badeorten. Von Hurghada etwa braucht man vier bis fünf Stunden mit dem Auto oder Bus für die rund 300 Kilometer bis nach Luxor.
3.400 Jahre alte Metropole
Überm Horizont erglüht die Morgenröte. Bald gießt die Sonne von den Bergen ihr Licht hinab ins Tal und auf den Fluss. Dass er die Lebensader von Ägypten ist, wird rund um Luxor ganz besonders deutlich. Bis zu fünf Kilometer breit sind hier die grünen Streifen beider Ufer, auf denen Gras und Palmen, Getreide, Früchte und Gemüse wachsen. Eines der Produkte ist das Zuckerrohr. „Frisch gehäckselt und gepresst, ergibt es fruchtig-süßen, wohlschmeckenden Saft", weiß der Pilot.
Im Ballonkorb sorgen die Gewöhnung an die Höhe wie auch zunehmendes Fotolicht für Bewegung. Emad mahnt zur Vorsicht und verweist auf Tempel, Gräber und Ruinen, die zum Greifen nahe sind: die zwei sitzenden Memnonkolosse, die Totentempel oder „Millionenjahrhäuser" von Ramses II. und Hatschepsut, der mächtigen und schönen Pharaonin, die mit ihrem Halbbruder Thutmosis II. verheiratet war.
Neben den markanten Bauten ist das Grabungs- und Ruinenfeld von Aton fast zu übersehen. Denn das Gros der „verlorenen goldenen Stadt" muss erst noch ans Licht geholt werden. Erst im September 2020 hatten ägyptische Archäologen die 3.400 Jahre alte, nach dem Sonnengott benannte Metropole entdeckt. Die Ausgrabungen laufen noch auf Hochtouren. Doch schon jetzt steht fest, dass dieses einst florierende Wirtschafts- und Verwaltungszentrum Altägyptens das bislang größte ist, das je gefunden wurde.
Da sich bisherige Forschungen fast ausschließlich um Bauwerke und Schätze hoher Adliger und anderer Privilegierter drehten, ist das zwei Jahrtausende lang intakte Aton umso spektakulärer, weil es eine ganz normale Stadt war. Was da unten aus dem Wüstensand geborgen wird, gibt Einblick in den Alltag des Volkes.
Bisher freigelegt wurden etwa – inklusive Inventar – Töpfereien, Schmuckwerkstätten, Bäckereien sowie eine Metzgerei. In letzterer fand man sogar beschriftete Behälter mit Resten eingelegter Rinderteile – antikes Biofleisch mit Herkunftsangabe. Deutlich von oben zu erkennen sind die Zickzackmauern, die die einzelnen Geschäfts- und Wohnbereiche voneinander trennen.
Nur ein Stück nördlich Atons, zwischen rötlich-gelben Felsenwänden, liegt das Tal der Könige. Dessen Grabanlagen sind, nach einer weichen Landung des Ballons im Sand, das Ziel der Ausflugsgruppe. „Wādī al-Mulūk, die Totenstadt der Pharaonen, heißt sie willkommen", begrüßt Guide Ahmed seine Gäste.
Elf von insgesamt 64 bis heute entdeckten Pharaonenruhestätten im Tal der Könige stehen Normalsterblichen derzeit offen. In begrenzter Zahl und für höchstens zehn Minuten darf man sie betreten. Der Touristenführer nennt den Grund dafür: „Menschen atmen, schwitzen. Zu viel feuchte Luft schadet den kostbaren Reliefs und Wandmalereien, ebenso das aggressive Fotoblitzlicht, das deshalb streng verboten ist." Nach einem zeitweiligen kompletten Fotoverbot sind Aufnahmen ohne Blitz inzwischen wieder erlaubt, gegen Entgelt allerdings.
Tutanchamun starb sehr jung
Die allermeisten der unterirdischen Totenwohnungen sind mehr oder weniger „leer", weil die einst als Grabbeigaben für das Leben im Jenseits gedachten Reichtümer gestohlen oder in Museen gebracht wurden, so wie viele von den teuren Toten selbst – bis auf einen: Tutanchamun. Der junge Herrscher starb vor knapp dreieinhalb Jahrtausenden mit 19 oder 20 Jahren offenbar bei einem Wagenrennen oder Jagdunfall.
Zu Pharaonenzeiten eher unbedeutend, gelangte er erst wieder zu Berühmtheit, als 1922 der Brite Howard Carter dessen letzte Ruhestätte mit einem wahrlich märchenhaften Grabschmuck fand. Der umfasste unter vielen anderen imposante Stücke aus massivem Gold wie die zwölf Kilo schwere Totenmaske oder einen Sarg (den innersten von dreien) – mit einer Masse von mehr als 110 Kilogramm. Fast der komplette Schatz ist heute im Ägyptischen Museum Kairo zu bewundern.
Die offenbar durch Selbstentzündung brandgeschwärzte Mumie des jung verstorbenen Pharaos ist die einzige, die am Bestattungsort im Tal der Könige verblieben ist. Und man kann sie als Besucher sehen – zumindest Kopf und Füße. Der Rest des Leichnams, der in einem Glassarg ruht, ist von einem Leinentuch bedeckt. Umgeben ist Tutanchamun von prachtvollen, oft originalfarbigen Wandmalereien und Hieroglyphen.
Spektakulär sind auch die Grabstätten von Ramses V., VI. und IX. sowie Tuthmosis III., die zu den ältesten gehört. Die mit bislang 137 freigelegten Metern längste und zugleich tiefste in der Nekropole, bestehend aus zehn Kammern sowie sieben Korridoren, ist die von Sethos I. Wegen ihrer üppigen Bemalung und Beschriftung zählt sie auch zu den schönsten und darum in puncto Eintritt gleichfalls zu den teuersten.
Zurück in Luxor steht am späten Nachmittag noch ein Spaziergang an. Er führt über die Allee der Sphingen, parallel zum Nil, vom Luxor-Tempel nach Nordosten – geradewegs ins nächste Heiligtum, das deutlich größer und rund 1.000 Jahre älter ist: Karnak. Die zweieinhalb Kilometer lange, von 1.350 Sphingen-Statuen gesäumte Prozessionsstraße wurde vor wenigen Jahren wieder freigelegt, restauriert und im November 2021 mit großem Rummel neueröffnet.
Am Strand von El Gouna entspannen
In Ägyptens größter Tempelstadt Karnak gehen die bunten Lichter an. Wie an jedem Abend wird sie in vielen Farben angestrahlt und aus Lautsprechern bespielt. Zur Beleuchtung gibt es Musik, Geräusche und Geschichten. Wer die großartige Baukunst bei Tageslicht und ohne Kitsch erlebt, kann ihrer Schönheit und Dramatik allerdings viel näherkommen.
Während am nächsten Morgen einige der Luxor-Gäste ihre Reise auf dem Nil beginnen und per Kreuzfahrtschiff in Richtung Edfu nach Assuan aufbrechen, fährt der Rest der Gruppe wieder an die Küste. Ziel ist der Ferienort El Gouna, 20 Kilometer von Hurghada. Samt Wasserwegen, Stränden, Hafen, Krankenhaus und Flugplatz wurde die Lagunenstadt seit 1989 komplett neu erschaffen. Längst zählt sie zu den Wassersport- und Urlaubs-Hotspots an der Ägyptischen Riviera.