Nach dem Kanada-Grand-Prix gastiert der Formel-1-Zirkus nun in Silverstone. Mit acht Siegen ist Lewis Hamilton dort der Rekordgewinner. Mit dem Mercedes-Star hat Red-Bull-Weltmeister Max Verstappen noch eine Rechnung aus dem Vorjahr offen. Und Mick Schumacher hofft auf ein Ende der Pechsträhne.
Im vorletzten Rennen in Baku/Aserbaidschan feierte Max Verstappen seinen „silbernen" Jubiläumssieg: Triumph Nummer 25. Eine Woche später, auf der Île Notre Dame in Montreal/Kanada, belohnte sich der „fliegende Holländer" bei seinem 150. Grand-Prix-Jubiläum mit Sieg Nummer 26. Für den „Bullen"-Rennstall war es der sechste Grand-Prix-Erfolg in Serie. Verstappen setzte sich nach einem Thriller-Finish denkbar knapp mit 0,993 Sekunden vor Ferrari-Fahrer Carlos Sainz und Lewis Hamilton im Mercedes durch. Sergio Pérez fiel im zweiten Red Bull mit technischem Defekt aus. Charles Leclerc, Ferrari-Dauerrivale von Verstappen, musste wegen Motorstrafen dem Feld aus der letzten Reihe von Rang 19 hinterherjagen. Mit einer sehenswerten Aufholjagd bis auf Platz fünf hinter Hamilton-Teamkollege George Russell gelang dem Monegassen mit einer großartigen Show zumindest Schadensbegrenzung.
Neun Saisonrennen, sieben Zielankünfte, sechs Siege – „Bulle" Verstappen macht unaufhaltsam Jagd nach seinem zweiten WM-Titel. Dabei hatte er nach zwei Ausfällen in den ersten drei Rennen als WM-Sechster noch 46 Punkte Rückstand auf den WM-Führenden Charles Leclerc. Vor dem zehnten Saisonlauf am Sonntag, 3. Juli, in Silverstone (16 Uhr, RTL und Sky), führt der „stramme Max" mit 46 WM-Zählern vor seinem mexikanischen Stallgefährten Perez (175:129) und Ferrari-Ass Leclerc (126) die Fahrerwertung an. Carlos Sainz belegt im zweiten Ferrari Rang fünf (102) hinter dem WM-Vierten George Russell (Mercedes/111) und vor Rekord-Champion Lewis Hamilton (77). Der einstige Mercedes-Überflieger hat seinen achten WM-Titel zwar abgehakt, wirkte als Kanada-Dritter aber auf der Strecke Circuit Gilles-Villeneuve, auf der er 2007 seinen ersten von 103 Siegen einfuhr, „wie neu geboren und neu beflügelt", wie es das Boulevardblatt „Daily Mail" ausdrückte. „Es ist ehrlich gesagt überwältigend, diesen dritten Platz zu erreichen. Das ist nach dem Auftakt in Bahrain, ebenfalls Platz drei, mein zweiter Podestplatz, und er war wirklich etwas Besonderes", wird der 37-jährige Brite in einer Mercedes-Presseaussendung zitiert. Montreal machte Hunger auf mehr beim Heimrennen in Silverstone.
Verstappen will Titel Nummer zwei
Während Hamilton nach acht Rennen ein Podiums-Comeback erlebte, geriet die Gefühlswelt von Mick Schumacher völlig durcheinander. Der 23-jährige Fahrer in Diensten des US-Rennstalls Haas erlebte den nächsten Rückschlag – wenn auch diesmal unschuldig und ohne Unfall. Mit Startplatz sechs hatte der Sohn von Rekordweltmeister und Rennlegende Michael Schumacher (53) das beste Qualifying in einer bunt gemischten, völlig durcheinander gewirbelten Startaufstellung eingefahren und ein fettes Ausrufezeichen gesetzt. Platz sechs war zunächst mal ein Befreiungsschlag. Die dritte Reihe war mit dem Dänen Kevin Magnussen (Startnummer fünf) und eben Schumacher eine komplette Haas-Reihe.
Schumacher machte sich berechtigte Hoffnungen auf seinen ersten WM-Punkt. Seit seinem Formel-1-Debüt 2021 rennt er dem ersten Zähler immer noch hinterher. In Montreal, in seinem 30. Rennen, sollte es mit den heiß ersehnten Karriere-Punkten klappen. Eine Garantie auf Zählbares ist die gute Startposition aber mitnichten, weiß der Deutsche: „Es wird nicht ganz einfach werden, diese Position zu verteidigen. Aber eins steht fest: Ich werde mich so teuer wie möglich verkaufen." Und das tat er auch. Aber nur bis zur 20. von 70 Runden. Komfortabel mit Platz acht auf Punktekurs musste Mick seinen Dienstwagen wegen technischer Probleme abstellen. „Heute wäre es so weit gewesen, wir haben schon gezeigt, dass wir das Zeug haben, um in die Punkte zu fahren (bis Platz zehn, Anm. d. Red.)", erklärte Schumacher im Sky-Interview. „Es ist ein unschönes Gefühl, das Auto war schnell, wir hatten die Pace, um Platz fünf mitzufahren. Daher ist es sehr ärgerlich", schob er nach. „Aber ich nehme auch Positives aus Kanada mit." Aber wieder nix Zählbares. Erneut mit leerem Punktekonto musste der Haas-Pilot frustriert den Heimflug in die Schweizer Heimat antreten.
Kommentator Christian Danner schätzt Schumachers Umstand als verkraftbar ein. „Das muss man abhaken. Und ich glaube, Mick geht in Silverstone gestärkt ins Rennen. In Montreal hatte er ein Wochenende, ohne das Auto in zwei Teile zu zerlegen, ohne eine Sekunde langsamer als Teamkollege Magnussen zu sein. Das gibt Selbstvertrauen", erklärte der ehemalige Formel-1-Fahrer im „AvD-Talk" auf Sport1. Derartige Ausfälle würden zum Rennfahrer-Leben dazugehören. Trotz seines unverschuldeten Ausfalls war der Kanada-GP für Schumacher ein Befreiungsschlag. Das Rennen galt als großer Charaktertest für den kriselnden Piloten. Mit starker Leistung hat er auf zunehmende Kritik geantwortet und dem Druck standgehalten.
Großer Name als Fluch und Segen
Schumacher durchlebt zuletzt schwere Zeiten. Die Schonfrist ist vorbei. Der Komfort des ersten (Lehr-)Jahres ebenfalls. Der Druck ist gewachsen. Die Kritiker wurden mehr – und die Kritik lauter. Der Gegenwind wurde heftiger. Und rauer. Schumacher befand sich in einer Abwärtsspirale. Aus den Negativ-Schlagzeilen kam er nicht raus. Es wurde vogelwild, wenn über ihn gesprochen wurde. Der Name Schumacher war Fluch und Segen zugleich. „Ich trage einen großen Namen" heißt eine deutsche Fernsehsendung, die seit 1977 ausgestrahlt wird und sich mit Persönlichkeiten befasst. Mick Schumacher trägt seit 2021 nicht nur in der Formel 1 einen großen Namen und ist eine Persönlichkeit. „Der Name ist nicht genug. Es braucht mehr als nur einen berühmten Namen, um zu gewinnen", hatte Ex-Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo (74) vor überzogenen Erwartungen an das Debütjahr von Mick Schumacher in einem früheren Interview mit „Sport-Bild" gewarnt. Auch Rallye-Ikone Walter Röhrl gibt zu bedenken: „Mick trägt mit dem großen Namen seines Vaters und mit dessen großartigen Erfolgen eine unheimliche Last, auch aufgrund der Erwartungen, dass Mick eine große Persönlichkeit sein müsse. Das ist hart und schwer", sieht der zweimalige Rallye-Champion (1980 und 1982) jüngst im Interview mit „Bild am Sonntag" den großen Druck.
Im Haas-Rennstall entwickelte sich Schumacher zunehmend zum Sorgenkind. In seinem Premierenjahr hatte er noch leichteres Spiel. Seinen damaligen Teamkollegen, den Russen Nikita Masepin, hatte er im Qualifying und im Rennen meistens gut im Griff. Der nur mittelmäßig talentierte Oligarchen-Sohn war nur mithilfe des Geldes seines Vaters in der Formel 1 angekommen. Nach der russischen Invasion in der Ukraine beendete Haas die Zusammenarbeit mit Masepin und reaktivierte seinen Ende 2020 aussortierten Piloten Kevin Magnussen. Der Pilot mit Erfahrung von 115 Einsätzen zeigte dem jungen Deutschen schnell seine Grenzen auf. Der 29-jährige Däne fuhr dem 23-Jährigen regelmäßig um die Ohren – ohne Unfälle. Aber Schumacher machte auf eine andere Art auf sich aufmerksam. Er produzierte viel Kleinholz. Er drehte sich in Frankreich in der Qualifikation in die Pistenbegrenzung, verursachte in Ungarn einen Unfall im dritten Training, konnte am Abschlusstraining nicht teilnehmen und verunfallte in Saudi-Arabien im Rennen. Fazit: Rookie Schumacher stieg zum „Crash-King" des Jahres 2021 auf.
Ebenfalls in Saudi-Arabien hatte Mick Ende März 2022 einen haarsträubenden Unfall, diesmal in der Qualifikation. Sein Auto zerbrach in drei Teile. Am Rennen konnte er aufgrund der Schäden nicht teilnehmen. In Miami/Florida kollidierte er mit seinem Freund Sebastian Vettel, in Monaco zerfetzte er im Rennen seinen Boliden in zwei Teile, konnte sich aber unversehrt aus dem Schrottauto schälen. Teamchef Günther Steiner beziffert die selbst verschuldeten zwei Totalunfälle auf mindestens zwei Millionen Dollar. Das Portal „F1 Maximaal" hatte ausgerechnet, dass Schumachers diverse Unfälle Schäden in Höhe von rund 4,21 Millionen Euro verursacht haben sollen. Ein Fahrer denke hinter dem Lenkrad nicht ans Budget, sondern nur an seine Karriere, so Steiner zu den Unfällen.
„Der Speed ist inzwischen ganz gut"
Experte Danner hat erkannt: „Der Speed von Mick ist inzwischen ganz gut. Aber er versucht, aus seinem Auto das herauszunehmen, was möglich ist. Das führt dann oft zu einem Unfall oder zu Unsicherheiten. Aber mit den Unfällen kann es so nicht weitergehen. Das sind Millionenschäden. Gerade ein Team wie Haas kann das Geld vernünftiger ausgeben." Teamchef Steiner zeigt sich angefressen, ist von den Unfällen und vom Punktlos-Fluch genervt. Für einen Weltmeister-Sohn mit Schumi-Genen muss ein durchschnittlicher Pilot wie Magnussen die Messlatte sein. Steiner konkretisiert: „Ziel von Schumacher muss es sein, auf das Niveau von Magnussen zu kommen und ihn zu schlagen." Der zeigt mit seinem 15-Punkte-Konto, was mit dem Haas-Auto möglich ist. In Silverstone könnte auch für Schumacher der Knoten platzen.
Im „Home of British Motor Racing" ist Mercedes seit 2013 Herr im Haus – mit einer Ausnahme. 2018 hieß der Sieger Sebastian Vettel im Ferrari. Achtmal dominierte Lewis Hamilton, davon siebenmal im Mercedes und 2008 im McLaren. Eröffnet hat die Mercedes-Erfolgsserie 2013 Nico Rosberg. Im vergangenen Jahr krachte es auf dem 5,891-Kilometer-Kurs mit seinen Hochgeschwindigkeitskurven im „Bogen" neun. Eine minimale Berührung zwischen Lokalmatador Hamilton und Verstappen sorgte dafür, dass der „fliegende Holländer" mit mehr als 250 km/h in die Streckenbegrenzung flog. Hamilton bekam zwar eine Strafe, gewann aber trotzdem. Verstappen musste aus dem Krankenhaus mitansehen, wie sein Gegner mit dem Union Jack seinen Sieg überschwänglich feierte. Das bedeutet: Am Sonntag hat der „stramme Max" noch eine Rechnung mit dem Local Hero offen. Die Zeche dürfte wohl Publikumsliebling Hamilton mit einer Niederlage bezahlen.
Verstappen ist ganz heiß auf seinen ersten Sieg in Silverstone, der Geburtsstätte der modernen Formel 1.