„Der Weinlobbyist"-Inhaber Serhat Aktas startet in der Küche mit Menüs von Chef Ronny Marx, einem neuen Weinladen sowie einem Sektfestival durch. Unlängst wurde er vom VDP, Meiningers Sommelier sowie vom „Gault & Millau" ausgezeichnet.
Ist aus „Der Weinlobbyist" klammheimlich „Der Sektlobbyist" geworden? Gute Gründe gäb’s genug: Die verschiedenen Winzersekte, von denen wir mehrere als Menübegleitung probieren. Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) und die Fachzeitschrift „Meiningers Sommelier" zeichneten kürzlich Lokal und Inhaber Serhat Aktas mit dem Sonderpreis für die beste Auswahl deutscher Flaschengärsekte aus. Ein Messingschild am „Weinlobbyist"-Eingang in der Kolonnenstraße kündet davon.
Kurzum: Es tut sich viel im „Weinlobbyist", der am 14. Juni zwei Jahre alt wurde. Normalerweise wäre das kein so besonderes Ereignis. Doch eine Eröffnung mitten in der Pandemie zählt doppelt. Oder halb: „Eigentlich waren wir nur insgesamt ein Jahr richtig geöffnet", sagt Aktas. Dafür war es von Anfang an immer voll – nicht zuletzt, weil die Gäste den Innenhof mit südländischem Flair lieben. Auch das eine oder andere Glas von den 600 Weinpositionen und 70 Sekten überzeugte sicherlich. Zudem ist seit einem Jahr Aktas’ kulinarische Geheimwaffe im Einsatz – der Allrounder-One-Man-Küchenchef Ronny Marx. Der Koch pflegt neben der zu erwartenden Liebe zu den Hauptgerichten eine nicht minder große zum Brotbacken wie zu den Desserts.
Marx brachte die Speisekarte mit unerschrockenen Kombinationen und handwerklicher Präzision zum Glänzen. Zunächst mit österreichischen Tapas, die mit der deutschen und österreichischen Weinauswahl korrespondierten. Währenddessen ging’s an die Überarbeitung der Karte in Richtung Menüs, nach denen die Gäste zunehmend verlangten. Die gibt es nun: zwei viergängige, davon eines mit Fisch und Fleisch sowie ein vegetarisches. Sie können auch auf drei Gänge abmontiert oder einzeln à la carte bestellt werden. Die Gerichte marschieren flotten Schrittes in Richtung Casual Dining. Die Brotzeiten mit Jahrgangssardinen, Oliven, Käse-, Schinken- oder kombinierten Platten zum Wein blieben auf gewohnt hohem Produkt-Niveau erhalten – so klappt es weiterhin mit einem Glas oder der Flasche Wein und einer Kleinigkeit.
Grandioser Schweinebauch
Auch der Flammkuchen als klassischer Weinbegleiter wurde von Ronny Marx generalüberholt. Der nun mit Sauerteig angesetzte, hausgemachte Teig ist eine gute Basis für ausdrucksstarke bis unkonventionelle Auflagen. Der Klassiker mit Steirischem Schinken ist gesetzt. Der Liebling von Serhat Aktas und Mitarbeiterin Antje Ewald wiederum ist mit Ziegenkäse, Walnüssen, Rucola und Honig belegt. Er erhielt durch den dünnen, aber nun viel aromatischeren Teig einen Geschmacksbooster. Mein Liebling ist das neue „Modell Peking-Ente": Streifen von knuspriger Ente und Haut, Frühlingszwiebel, Szechuan-Pfeffer und eine süßliche Hoisin-Sauce gemeinden die chinesische Hauptstadt kurzerhand ins Elsass ein. Ich schiele in Richtung restsüßer Weine, zu den Flaschen mit Riesling Kabinett und Ähnlichem. Gibt’s da was gut Gereiftes von Weingüter Wegeler, die mit der „Wehlener Sonnenuhr" Riesling Kabinett von 2008 einen meiner Favoritenweine hergestellt haben? Allein schon dessenthalben muss ich den „Weinlobbyist" regelmäßig aufsuchen. Serhat Aktas kaufte kurzerhand den gesamten Jahrgangsbestand des Feinherben auf.
Pardon, dieses Mal sind wir ja beim „Sektlobbyist"! Eine Menü-Begleitung mit Sekt aus dem Hut zu zaubern ist für Serhat Aktas kein Problem. Selbst wenn es sie – noch – nicht offiziell gibt, existiert sie definitiv in seinem Kopf. Wir schweben zum Flammkuchen immer noch bei einem Sauvignon-Blanc-Sekt in klassischer Flaschengärung von Vaux aus dem Jahr 2018 herum. Ein Sonder-Gang, denn wir sollen, dürfen und müssen das Signature der kleinen Gerichte probieren. Dabei lassen die regulären vier Gänge ohnehin niemanden hungrig zurück. Sie sind zudem mit 47 und 51 Euro „pur" sowie 67 und 71 Euro mit Weinbegleitung überaus portemonnaie-freundlich bepreist.
Beim Hauptgang haben wir allerdings den vegetarischen Pfad komplett verlassen. Weil ich ihn schon einmal begeistert aß, nötige ich dem Fotografen und der kulinarischen Freundin den wegweisendsten Schweinebauch jenseits Asiens geradezu auf. Kartoffelstrudel mit Steinpilzsud und Rüben sind gewiss prima, aber das innen weiche, aber nicht fettige Fleisch und die außen à la Bayerischer Schweinsbraten knusperkrosse Kruste mit Salzkrümeln sind perfekt auf ihre sehr unterschiedlichen Punkte gebracht. Der nicht allzu große und so auch sommers bekömmliche Würfel vom thüringischen Duroc-Schwein wird von Gelbe-Rübchen-Scheiben und einem Rettich-Kimchi sowie einer Creme aus schwarzem Knoblauch begleitet. Die Säure vom heimischen Kimchi in ausdrucksstarker Kälte und die Geschmeidigkeit der Creme sind ein hervorragender Gegenpart zum warmen Fleisch. Der Teller hat das Zeug zum Signature Dish. Ronny Marx lässt es gern mal kontrastreich krachen, ohne dass es aber je ins Grobe abrauscht.
Die Temperatur spielt beim Schweinebauch das zweite Mal am Abend eine bemerkenswerte Rolle. Ähnlich wie beim ersten vegetarischen Gang. Der überraschte mit einer geeisten Hollandaise zu fermentiertem grünen Spargel und Algenkaviar auf Pumpernickel-Bröseln und Miso. In einer gläsernen „Astronautenschüssel, mit der ich manchmal davonfliege", so Aktas, erwartete uns ein sehr selbstverständliches „Eisklötzchen", dessen Schmelz den säuerlichen Spargel im Mund hochleben lässt. Der begleitenden Westfälin geht das Herz auf: „Du erwartest nicht so etwas Kaltes, so einen Kontrast der Texturen und Temperaturen." Dazu gibt’s einen 2016er Münzberg Spätburgundersekt. „Der startet dicht, etwas fruchtig, beinah gefällig und wird nach hinten raus herber", meint die Freundin.
Aktas ist ein Freund neuer Ideen
Zum geflämmten Rindertatar mit Forellenkaviar, Rote-Bete-Ponzu und fermentiertem grünen Spargel im „Mit"-Menü sowie zur Parmesansuppe mit einer Einlage von Tomaten, Kapern und Rucola-Pesto auf der Veggie-Seite gab es à la „Sektlobbyist" zuvor einen Riesling-Sekt von Griesel. Wir sagen: Der ist präsent. Herber zu Beginn, kommt die Frucht anschließend nach. Der Fotograf gabelt und löffelt auf beiden Seiten der Teller: „Der Sekt schmeckt fast ein bisschen fischig nach dem Tatar." Das liegt an den Gerichten: Der Forellenkaviar bringt eine andere Art von Umami mit als der Parmesan in der Suppe. Der Sekt antwortet – und zwar unterschiedlich.
„Griesel ist einer der größten, aber auch guten deutschen Sekterzeuger", weiß Serhat Aktas. Die Vielfalt der deutschen Sekte entdeckte der Sommelier und Weinakademiker auf seinen Touren durch die Weingüter. „Ich habe die Sekte mitprobiert und immer welche mitgenommen. Ich bin ein Riesen-Winzersekt-Fan." Mark Barth etwa habe er 2018 das erste Mal mit dessen Lagensekten wahrgenommen: „Da ist er Pionier. Der Barth Riesling Brut mit seinem schönen Trinkfluss ist eigentlich noch ein Einsteigersekt, unkompliziert und von einer Super-Qualität." Finden wir auch. Er passt zum zart asiatisch nuancierten Ivoire-Parfait mit Tom-Ka-Schaum, Blaubeeren und Krabbenchips ebenso wie zum krawumsigeren Kürbiseis mit Caraibe-Schokolade. Der Sekt hält insbesondere der selbstbewussten Salzkaramell-Paste stand. „Die ruft so richtig laut: ‚Ich bin hier!‘ und stampft mit dem Fuß auf", findet die Freundin.
„Früher war Sekt eine Art Nebenprodukt", sagt Aktas. Wer kennt nicht den Anlasssekt, der eigens zum Anstoßen geöffnet wurde? Diese Herangehensweise hat sich auf beiden Seiten der Flasche inzwischen deutlich geändert. „Die Winzer nehmen ihre Sekte immer ernster, und sie werden damit auch deutlich ernster genommen. Der Zug mit dem Sekt ist gerade erst losgefahren. Es gibt noch viele Stationen, an denen er anhalten kann."
„Der Weinlobbyist" fährt bereits jetzt auf einer enorm gut ausgebauten Nebenstrecke, und Ende Juli 2023 gibt’s den ersten großen Bahnhof mit einem eigenen Sektfestival in Berlin. Ein- bis dreimal Station und auf sich aufmerksam machen darf es bereits während des „Eat! Berlin"-Feinschmeckerfestivals im Herbst. „Ich mag neue Ideen", sagt Aktas. Er tut alles dafür, sie auch umzusetzen. Noch in diesem Monat eröffnet zwei Türen weiter ein eigener Weinladen, in dem auch das von Ronny Marx gebackene und bei den Gästen beliebte Sauerteigbrot laibweise verkauft werden soll.
So viel erfolgreiche Umtriebigkeit bleibt fachkundigen Beobachtern ebenso wenig verborgen. Die Jury der „Berliner Meisterköche" nominierte Inhaber und Lokal gleich zweimal – Serhat Aktas als „Berliner Gastgeber 2022" und „Der Weinlobbyist" in der Kategorie „Berliner Barkultur 2022". Doch zunächst einmal darf Aktas eine weitere Plakette anschrauben: Der Restaurantführer Gault & Millau zeichnete „Der Weinlobbyist" kürzlich mit einer ersten roten Haube aus.