Max Mutzke hat sich besondere Verdienste um die deutschsprachige Unterhaltungsmusik erworben und ist dafür mit dem renommierten Paul-Lincke-Ring ausgezeichnet worden. Der Sänger aus dem Schwarzwald ist einer der Top-Acts des Saarbrücker Kultstadtfestes.
Max Mutzke, am 16. Juli treten Sie in Saarbrücken einmal mehr mit dem Saarländischen Staatsorchester auf. Wie fühlt es sich an, wenn solch ein Klangkörper Ihre Musik spielt?
Hinsichtlich Aufwand und Ästhetik ist das die Königsklasse. Ich habe das große Glück, auch mit vielen Big Bands spielen zu dürfen, was hinzukommend ein totales Brett ist, aber mit einer ganz anderen Energie auf der Bühne. Bei einem großen Orchester stehen allerdings 50 bis 80 Musikerinnen und Musiker auf der Bühne. Ich bin extrem glücklich über die Situation, dass meine Songs von solch einem seriösen großen Apparat gespielt werden – und ich darf dabei vorne stehen. Eine große Ehre.
Braucht man für solch ein Projekt besonders viel Disziplin?
Es darf bei den Proben nicht daran scheitern, dass die Sängerin oder der Sänger nicht checkt, wo es langgeht. Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass die Orchesterproben länger dauern als üblich. Es gibt verschiedene Ansätze zwischen der E- und U-Musik, auch wenn ich diese Begriffe nicht mag. Bei Proben darf von mir keine Frage mehr kommen, gerade wenn ich mit meinem Dirigenten und Arrangeur Enrique Ugarte arbeiten darf. Für das Orchester ist wichtig, welche Dynamik ich als Sänger mitbringe, die sich beim Konzert vor Publikum noch einmal immens steigert.
Was machen Sie eigentlich, wenn die Anspannung vor einem Auftritt zu groß wird?
Sie ist zum Beispiel dann groß, wenn man in einem Rahmen spielt, der neu für einen ist. Ich kann mich mittlerweile aber darauf verlassen, dass meine Songs und meine Ansagen das Publikum sehr unterhalten oder berühren. Ich weiß, dass ich übermäßig gute Arrangements habe. Ich nehme ein Orchester sehr ernst, weshalb ich möchte, dass die Musikerinnen und Musiker richtig gefordert werden, damit sie das Beste aus sich herausholen. Da ist man manchmal schon sehr aufgeregt, aber ich verlasse mich immer auf meine Erfahrung. Ich brauche vor der Show meine zwei Minuten, wenn alle schon auf der Bühne sind und beginnen zu spielen. Dann hat die Band die Gelegenheit, einmal alleine zu glänzen. Diese Minuten nutze ich, um in mich zu gehen und mir zu sagen: Gib alles! Denn jedes Individuum im Publikum hat seine eigene Geschichte, um hier zu sein und zahlt dafür sogar noch Geld.
In Ihrem Song „Hier bin ich Sohn" besingen Sie die Alkoholsucht Ihrer Mutter. Lange Zeit haben Sie nicht darüber gesprochen, dass sie Trinkerin war, woran sie schließlich starb. Warum sangen Sie erst so spät darüber?
In meinem aktuellen Privatleben vermeide ich solche Selbstöffnungen. Wenn man die einmal begangen hat, kriegt man diese Tür nicht mehr zu. Ich vermeide deshalb alles, was für Klatsch und Tratsch sorgen kann. Wenn ich aber darüber singe, dass meine Mutter Alkoholikerin gewesen ist und sie daran gestorben ist, überwiegt für mich in dem Fall der Wert, Menschen ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln. Viele Leute im Publikum waren von diesem Song ergriffen und erzählten mir, dass es bei ihnen genauso sei. Aber jetzt hätten sie als Betroffene endlich die Möglichkeit, einem alkoholkranken Familienmitglied zu sagen, wie sie sich fühlen, weil ich diese Wahrnehmung auf den Punkt gebracht habe. Ich fand diesen Mehrwert so wichtig! Man muss sich als Künstler nicht nur politisch äußern, sondern eben auch Themen ansprechen, die man selber als schweres Paket mit sich herumträgt. Deshalb habe ich mich in dieser Hinsicht sehr gerne geöffnet.
„Das Leben fließt, ich nehm nicht daran teil" heißt es in einem anderen Song von Ihnen. Wie kam es zu „Durcheinander"?
Der Song ist über eine schwere Depression, die im ganz engen Kreise passiert. Mehrere Freunde von mir hatten Cannabis-induzierte Psychosen. Denen hat es das Leben langhaltend richtig zerschossen, teilweise auch durch Burnout. Das ist auch ein Tabuthema, über das ich auf der Bühne spreche. Es gab sogar eine erschütternde Situation, wo mir von einer Person gesagt wurde, dass sie gerade selbst in solch einer Lage stecke.
„You are all around me" entstand nach dem Tod Ihrer Mutter. In welchen Situationen haben Sie das Gefühl, dass sie irgendwie noch bei Ihnen ist?
Meine Mutter war für mich ein prägender Mensch, weil sie mich erzogen hat. Darüber hinaus war sie eine Schauspielerin, die unglaublich lustig war. Sie hat ein crazy Life à la Monty Python gelebt. Ihretwegen nimmt unsere ganze Familie kein Blatt vor den Mund. Das ist immer charmant, kann aber auch sehr derb sein. Immer wenn ich einen Witz mache und Leute sich darüber kaputtlachen, ist meine Mutter wieder präsent. Dass Menschen auch nach ihrem Tod noch bei uns sind, ist vielleicht damit zu erklären, dass wir Seiten der Verstorbenen angenommen haben, die die gleiche Außenwirkung haben. Hätte ihr Umfeld vor 20 Jahren nicht so sehr auf meine Mutter reagiert, hätte es mich nicht gegeben. In dem Lied „Wenn ich mal nicht mehr da bin" setze ich mich übrigens mit meinen eigenen Genen auseinander. Ich stecke voll in meinen Kindern drin, weil wir ein sehr enges Verhältnis haben.
In Ihrer ARD-Sendereihe „Lebenslieder" geht es um die Lieder, die einen Menschen geprägt haben. Wer oder was hat Ihnen als Jugendlicher dabei geholfen, eine eigene Identität herauszubilden?
Ich habe das große Glück, in einer Zeit geboren worden zu sein, in der es nur physische Freundschaften gab. Man pflegte zwar auch Brieffreundschaften, aber die hatten eine andere Sinnlichkeit als virtuelle Bünde, die bei vielen jungen Leuten heute selbstverständlich sind. In der Zeit, in der ich groß werden durfte, gab es weder Smartphones noch Handys. Man hat sich vom Festnetz aus angerufen und für das Schwimmbad verabredet. Der eine kam um 14, der zweite um 15 und der dritte um 16 Uhr. Es waren andere Verbindlichkeiten als heute, eine ganze andere Ruhe. In meiner Kindheit gab es anfangs drei TV-Programme, später kamen die Privatsender hinzu. Aber am meisten geprägt hat mich mein Umfeld im Schwarzwald, die Natur. Das Leben draußen in den Wiesen und Wäldern, am Fluss, am See, im Steinbruch.
Ihre Musik ist eine Mixtur aus Pop, Rock, Soul, Funk, Jazz, HipHop. Wie haben Sie zu Ihrem Sound gefunden?
Die Musikalität hat mein Vater mitgebracht. Er hörte nie Radio, sondern immer nur die Musik, die er liebte. Das war alles, was heute als Black Music bezeichnet wird: R&B, Soul, Fusion, Funk und so weiter. Es gibt Songs, die mich geprägt haben, weil mich der jeweilige Künstler enorm beeindruckt hat. Bei mir gab es nicht das typische Idolbild, aber ich wollte zum Beispiel wie Prince tanzen können oder die Gelassenheit von Frank Sinatra haben. Mit welcher Kraft und Energie James Brown auf der Bühne stand! Ich bin eigentlich Schlagzeuger, weshalb mich auch Instrumentalisten total abgeholt haben. Die Energie der Black Music hat mich stark geprägt. Sie ist zu meiner Sprache auf der Bühne geworden.
Ich habe gelesen, dass Sie seit Jahren einen Lkw zu einem Expeditionsfahrzeug umbauen. Damit würden Sie gern auf große Fahrt gehen – am besten von Russland aus durch den Kaukasus runter ans Meer und über Nordafrika, Portugal und Spanien wieder zurück. Bleibt es beim Wunschreiseland Russland?
Ich wollte immer schon mal Moskau sehen, weil mich diese Stadt einfach interessiert. Das ist gerade überhaupt nicht denkbar, weil ich das russische Regime in keiner Weise unterstützen will – mit keinem einzigen Euro. In der gegenwärtigen Situation sind die Spritpreise zudem so hoch, dass eine Reise mit dem Lkw mehr als dekadent wäre. Als ich mir dieses Fahrzeug kaufte, kostete ein Liter Diesel 1,20 Euro. Zeitweise war er sogar bei 99 Cent. Man hätte nicht gedacht, dass der Preis wieder rapide nach oben schießt. Aus mehreren Gründen habe ich meinen Traum gerade ein bisschen zur Seite gelegt. Mal gucken, ob sich das noch einmal ändern wird oder ob sich andere Reisemöglichkeiten bieten. Wir sind ja mindestens sechs Personen, die losziehen. Dann ist eine Lkw-Reise ökonomisch und ökologisch nicht groß anders als ein Flug und ein Aufenthalt mit Hotel inklusive Poolbenutzung. Wir würden dann ja keine Klimaanlage und kein anderes Verkehrsmittel benutzen und immer nur auf einem kleinen Gasherd kochen. Grundsätzlich glaube ich, dass eine Reise in die genannte Richtung wahnsinnig schön wäre, aber bei dem gegenwärtigen Konflikt traue ich mich nicht, überhaupt daran zu denken.