Was man von den Ferien aus der Kindheit als Erwachsener lernen kann
Wenn ich an Urlaub denke, muss ich eines zugeben: Die angeblich schönste Zeit im Jahr ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Die Magie, die Vorfreude und vor allem die Glücksgefühle, die einmal die Sommerferien freisetzten, sind passé. Das motiviert mich dazu, die besten Urlaubsmomente von früher ins Jetzt herüberzuretten. Denn wenn alle Durchschnittsdeutschen immer von ihrem Jahresurlaub träumen, und wenn er vorbei ist, von ihm in höchsten Tönen schwärmen, blenden sie doch aus, dass als Kind diese Zeitspanne ein ganz besonderes Qualitätsmerkmal hatte.
Früher zumindest war der Urlaub, wie ich ihn kennengelernt habe, eine Zeit, in der ich mich um absolut nichts zu kümmern brauchte. Natürlich mache ich mir da nichts vor: Ich hatte starke, hart arbeitende Eltern, die sich mächtig ins Zeug legten und mir und meiner Schwester eine unvergessliche Ferienzeit auf diversen Inseln im Atlantik, Mittelmeer und in der Ostsee, in Portugal, Italien, Frankreich, Österreich und sogar in den USA möglich machten. Und das Schönste war, dass die Urlaubstage einem eingespielten Ablauf folgten.
Morgens frühstückten wir meistens die bekannte Schokocreme, deren wertvolle Lebensbausteine wie Eiweiß, Kalzium und Eisen in einer Fernsehreklame in den 80ern von einem Herrn in weißem Kittel angepriesen wurden. Oder das nicht weniger nährstoffreiche Knuspermüsli mit dem Hahnenkopf auf der Verpackung.
Befand sich ein Sandstrand in der Nähe unseres Urlaubsortes, war Chillen angesagt – nur unterbrochen vom Baden im Meer, Lesen leichter Lektüre und von einem tennisähnlichen Spiel mit Holzschlägern ohne Netz. Meine Schwester und ich spielten uns manchmal endlos lange den kleinen Plastikball zu.
Fast immer durften wir nachmittags ein Eis am Stiel oder in der Waffel essen, und abends gingen wir oft in ein Restaurant. Die Tage gingen fließend ineinander über, das Ende der Ferien schien für uns ganz weit weg.
Selbst die An- und Abreisen waren für mich als Kind keine todlangweiligen Fahrten im Auto, auf der Fähre oder an Bord des Flugzeugs. Endlich war die Zeit, um all die vielen Comic-Hefte aus der Stadtbücherei oder die spannenden Jugendbücher zu lesen und dabei Fruchtgummis bis zum Abwinken zu lutschen. Was ich sagen will: Der erste Urlaubstag begann nicht erst bei der Ankunft am Zielort, sondern mit dem Einstieg und Anschnallen im Auto. Und das Wunderbarste bei unserer Rückkehr war: Wenn wir die Treppen hochstiegen zu unserer Mietwohnung, wo ich mit meinen Eltern und meiner Schwester wohnte, duftete es dort immer so gut.
Aber die Urlaubszeit von damals hat längst ihre Unschuld verloren. Vielmehr gleicht der Urlaub, den ich kenne, einem wenig erholsamen Überlebenstraining – nur eben fernab des Heimatortes. Dabei gilt es die vermeintlich schönste Zeit im Jahr zu planen – das fängt an bei der Buchung und hört bei der Zusammenstellung der Reiseverpflegung auf. Daneben muss man – vor allem wenn man mit Kindern verreist – die Freizeitgestaltung organisieren, ein Schlechtwetterprogramm aus dem Ärmel schütteln können, damit in der Ferienwohnung nicht der Lagerkoller ausbricht und – ganz, ganz wichtig – rund um die Uhr sollte der Kühlschrank mit Lebensmitteln, die allen schmecken, gefüllt sein. Ansonsten muss man Stimmungs- tiefs bei allen Beteiligten in Kauf nehmen.
Die große Frage bleibt: Wie kann ich die besondere Qualität des Familienurlaubs von damals, die ich als Kind als Zeit des Freiseins und Frei-Fühlen-Könnens erlebte, zurückholen? Indem ich stur mein Ding durchziehe und nur das mache, was mir Spaß macht? Nein, natürlich nicht. Es geht auch nicht darum, das unterdrückte Kind in einem freizulassen, sondern sich im Urlaub nicht in erster Linie als Erwachsener, als Papa, Ehemann und Versorger fühlen zu müssen.
Dazu gehört auch, sich eine Sache bewusst zu machen: Auch im Urlaub mit der eigenen, über alles geliebten Familie kann es durchaus legitim sein, sich Rückzugsräume für die eigenen Bedürfnisse zu erobern. Sei es ein Nickerchen nach dem Essen, das Zeitungslesen am Frühstückstisch oder das Joggen durch den Wald. Denn schließlich will ich dieses Jahr eines nicht wieder erleben: dass ich Urlaub vom Urlaub brauche.