Hans Zimmers Herangehensweise an die Filmmusik war schon immer anders, sein Stil ist außergewöhnlich und überraschend. Das mag daran liegen, dass er, anders als viele Komponisten, nicht aus der Orchestermusik kommt und keine klassische Ausbildung hat.
Kaum ein Genre ist so facettenreich wie das der Filmmusik. Und kaum eines ist so wenig klar definiert. Beim Stichwort Filmmusik denken die meisten spontan an ausladende sinfonische Musik, also Orchestermusik. Trotzdem gibt es natürlich auch Soundtracks, die sich überwiegend bei anderen Stilrichtungen bedienen, etwa bei der Rockmusik, beim Jazz oder der Singer-Songwriter-Musik. Welche Musik zum Einsatz kommt, hängt ganz klar vom Film ab: Sie muss eben passen. Das klingt zunächst sehr liberal. Natürlich gibt es aber auch im Filmmusik-Geschäft gewisse ungeschriebene Regeln, es gibt No-Gos und Stilbrüche. Und genau für Letztere ist Hans Zimmer zuständig. Obwohl er sich mittlerweile einen großen Namen gemacht hat, waren seine ersten Jahre in Hollywood musikalisch eher unkonventionell. Denn sowohl sein Leben als auch sein Schaffen sind geprägt von jenen Situationen, in denen er eben nicht das tat, was die Regeln vorschreiben und was von ihm erwartet wird.
„Immer ein Problem mit Autoritäten"
Einen eigenen Kopf hatte Hans Zimmer schon immer. Als Schüler in Hessen habe man ihm mehrfach nahegelegt, die Schule zu wechseln, erzählte er kürzlich im Interview-Podcast „Shortcuts" der Zeitschrift „Cinema". Und manchmal sei es nicht nur beim Nahelegen geblieben, ergänzt er, er habe die eine oder andere Schule auch unfreiwillig verlassen müssen, bis er schließlich nach England auf ein Internat geschickt wurde. Dort habe man ihn dann aber endlich verstanden, erinnert er sich: „Ich bin ins Ausland gegangen, weil ich immer ein Problem mit Autoritäten hatte. Und in Deutschland gab es viele Autoritäten."
Um seine Musik und seine Soundtracks zu verstehen, ist es wichtig, diese Züge seiner Persönlichkeit, die Einstellung gegenüber Autoritäten und Regeln zu kennen. Eine weitere Anekdote, die in diesem Zusammenhang häufig herangezogen wird, ist, dass Zimmer keine akademische musikalische Bildung besitzt. Für einen preisgekrönten Komponisten ist das fast undenkbar. Und dennoch: Zimmers musikalische Ausbildung soll sich tatsächlich auf eine Woche Klavierunterricht in seiner Jugend beschränkt haben, bevor sowohl Lehrer als auch Schüler das Handtuch warfen. Ob das stimmt, wird er im Interview gefragt. „Nein, das stimmt nicht!", sagt er entschieden und fügt dann lachend hinzu: „Es waren zwei Wochen!" Dass die Musik in seinem Leben trotzdem immer eine Rolle gespielt hat, betont er auch. Mit zwei Jahren habe er seine erste Oper besucht, die klassische Musik und die Harmonien der europäischen Klassik waren prägend für ihn, weshalb er sich auch heute immer noch als „deutschen Komponisten" bezeichnet. Nach seiner dennoch eher kurzen Klavierschülerkarriere wird Zimmers Instrument später in England der Synthesizer, in seine Kompositionen fließen aber auch Anleihen aus der Klassik mit ein. Nach seiner Schulzeit musiziert er in London in mehreren Formationen und komponiert Werbe-Jingles, um Geld zu verdienen. Für den 1957 geborenen Zimmer fallen damit seine ersten professionellen musikalischen Schritte Ende der 1970er-Jahre in eine Zeit, in der Elektromusik und neue technische Möglichkeiten nicht nur die Musikwelt revolutionierten, sondern auch zum Experimentieren einluden. Zimmer, übrigens bis heute ein Fan der Band Kraftwerk, nutzte die Möglichkeiten, die sich ihm boten. Dass er als Keyboarder der Gruppe Buggles im Musikclip zu „Video Killed the Radio Star" zu sehen ist – dem ersten jemals auf MTV ausgestrahlten Musikvideo –, ist zwar nur eine Randnotiz, könnte aber passender nicht sein: Es geht nicht mehr nur um die Musik, sondern um das Verschmelzen von Musik mit bewegten Bildern.
Dass er sich der Tradition der Filmmusik – etwa einen Soundtrack für ein komplettes sinfonisches Orchester durchzukomponieren – nicht unterworfen hat, mag Zimmers Karriere in die entscheidende Richtung gelenkt haben und seinen Kompositionen die kreativen Freiheiten gegeben haben, die sie damals aus der Masse herausstechen ließen. Noch heute wird Hans Zimmer oft vorgeworfen, dass er eigentlich nicht komponieren könne und die eigentliche Arbeit, wie etwa das Schreiben von Orchesterstimmen, deshalb von seinen Mitarbeitern verrichtet werde. Dennoch wird Zimmer heute in einem Atemzug mit den großen Komponisten John Williams, James Horner oder Howard Shore genannt. Dabei stellt Zimmer allerdings keine bloße Ergänzung zum Reigen der alteingesessenen Komponisten dar, sondern steht für eine Fortführung, ein Weiterdenken des Soundtrack-Genres, das er seit den späten 1980er-Jahren maßgeblich mitgeprägt hat.
Nachdem er also erst Werbe-Jingles komponierte, kam er über die Zusammenarbeit mit dem Filmkomponisten Stanley Myers zur Filmmusik und damit auch nach Hollywood. Sein erster größerer Auftrag dort, der überraschende Soundtrack zum Film „Rain Man", machte ihn über Nacht berühmt und brachte ihm aus dem Nichts seine erste Oscarnominierung ein. Der Rest ist Geschichte: Bis heute hat Zimmer mehr als 500 Soundtrack- und Musikprojekte abgeschlossen, zwei Oscars (für „Der König der Löwen" und „Dune") und zahlreiche weitere Auszeichnungen gewonnen, er hat einen Stern auf dem Walk of Fame und seit einigen Jahren bringt er seine Filmmusik auch orchestral auf die Bühne und tourt damit durch die Welt.
Einbinden von Geräuschen
Ziel für den Score von „Rain Man", durch den sich für Hans Zimmer alles geändert hat, sei es gewesen, gerade jenes Klischee musikalisch nicht zu bedienen, das von einem Roadmovie dieser Art erwartet wurde, erzählte Zimmer in der Interviewreihe „Conversations with Screen Composers" im Rahmen der Bafta Awards. Und da in dieser Zeit jedes Roadmovie entweder mit Gitarrenmusik oder Streichern untermalt war, entschieden sich Zimmer und Regisseur Barry Levinson bewusst gegen diese Art von Musik. Für die Reise der beiden Brüder setzte Zimmer musikalisch stattdessen auf etwas, das zur Wahrnehmung des autistischen, aus der Welt gefallenen Exoten Raymond (gespielt von Dustin Hoffman) passen sollte. Deshalb entschied er sich für einen exotischen, unerwarteten Mix aus Ethno-Themen mit kubanischen Rhythmen, sehr präsenten Panflöten für das Hauptthema, Didgeridoo-Klängen hier und da, rockigeren Parts und unkonventionellen Chor-Arrangements. Und natürlich durfte auch hier der Synthesizer – Zimmer nutzte den berühmten Fairlight CMI, den auch Peter Gabriel und Kate Bush für sich entdeckt hatten – als prägendes Hauptwerkzeug nicht fehlen.
Wenn es um seinen Stil in den folgenden Jahrzehnten geht, stehen Synthesizer immer wieder im Vordergrund. In seinem Studio wimmelt es bis heute nur so vor Knöpfchen, Reglern, Tasten und Modulen. Dank seiner Expertise konnte Zimmer im Laufe der Zeit dadurch seinen ganz eigenen Stil entwickeln und einen Sound mit Wiedererkennungswert erschaffen. Zum kreativen Umgang mit der Materie gehören bei ihm neben dem Einsatz von Instrumental-Samples auch das Einbinden von Geräuschen oder Stimmen in seine Scores. Auch ausgefallene Instrumente sind keine Seltenheit und stellen Sinfonieorchester regelmäßig vor kleinere oder größere Herausforderungen, wenn sie die Musik von Hans Zimmer live auf die Bühne bringen wollen. So kommt beim Soundtrack von „Gladiator" etwa die Duduk, ein armenisches Holzblasinstrument, zum Einsatz, das für den Soundtrack von dem bekannten, mittlerweile verstorbenen Duduk-Spieler Djivan Gasparyan eingespielt wurde, aber in einem Orchester normalerweise nicht vorkommt.
Zimmer mag auf eine gewisse Art und Weise davon profitieren, als Komponist keinen wissenschaftlichen Hintergrund zu haben. So sagt er zum Beispiel: „Es wird mir nicht passieren, dass ich Begriffe benutze, die der Regisseur nicht versteht, wie etwa ‚allegro‘ … Es geht um die Geschichte des Films und die Frage, wie die Geschichte erzählt wird." Das ist ein Mantra, das er immer wieder betont: Zimmer geht es um die Story und die Stimmung des Films. Um einen Soundtrack zu schreiben, braucht er keinen fertigen Film. Oft kennt er nur die Story im Vorfeld und schreibt seine Musik schon, bevor der eigentliche Film überhaupt fertiggestellt ist. Allerdings steht er dabei im Austausch mit Kameraleuten und den Set-Designern, damit er seine Musik der Optik und visuellen Stimmung des Films anpassen kann.
Zu explizit soll seine Musik dabei nie werden, die Handlung müsse nicht musikalisch nacherzählt werden. Zimmer sagt im „Cinema"-Podcast: „Die Musik ist eine Tür, durch die man gehen kann und die einem die Möglichkeit gibt, etwas zu empfinden. Ich möchte kein emotionaler Diktator werden."