Hans Zimmer gehört zu den erfolgreichsten Komponisten der Gegenwart. In Hollywood ist er längst der unangefochtene König des Film-Soundtracks. Er geht mit seiner Band auf Welttournee und liefert in ausverkauften Hallen Musik-Shows der Superlative.
Hans Zimmer lächelt: „Heute Abend rocke ich die Olympiahalle in München." Und er hält Wort. Nach einem verhaltenen Einstieg mit Zitaten aus dem oscarprämierten „Dune"-Soundtrack legt er mit seiner Band richtig los. Drei Stunden lang wird er sein Publikum begeistern und es zu Standing Ovations hinreißen. Wesentlichen Anteil an diesem exquisiten Klangfest hat seine fantastische Band, das Odessa Opera Orchestra, in der auch zehn Künstler mitspielen, die er noch vor dem Kriegsausbruch aus der Ukraine herausholen konnte. Er versteht es, seine Mitspieler glänzen zu lassen und schaut ihnen oft wie ein hingerissener Fan beim Spielen zu. „Ich kann zwar Klavier und Gitarre spielen, bin aber kein Virtuose. Das überlasse ich dann lieber den Könnern in meiner Band." Hans Zimmer legt großen Wert darauf, bei seinen Konzerten die Soundtracks nicht einfach nach „Schema F" abzunudeln, sondern sie ganz neu und aufregend live zu arrangieren. Man spürt seine unbändige Lust, mit den berühmten Hit-Melodien zu spielen – allerdings nur so weit, dass sie nicht völlig verfremdet werden, sondern immer erkennbar bleiben. Auf der Bühne ist er außerdem ein mitreißender Conférencier, der gern und viel aus seinem eigenen Leben erzählt. „Den Kontakt zum Publikum herzustellen ist mir unendlich wichtig. Dabei darf ich aber auch meine Bandmitglieder nicht vergessen. Denn nur wenn ich mit beiden einfühlsam kommuniziere, wird aus einem Okay-Abend ein fantastisches Konzert." Als nach der Zugabe mit dem Song „Circle of Life" aus „König der Löwen" die Lichter im Saal ausgehen, hat Hans Zimmer einmal mehr souverän bewiesen, dass er der Rockstar unter den Filmkomponisten ist.
Er galt als Enfant Terrible
Hans Florian Zimmer wurde am 12. September 1957 in Frankfurt am Main geboren. Seine Eltern waren beide jüdischer Abstammung. Seine Mutter floh 1939 vor den Nationalsozialisten nach England. Sein Vater, ein Chemie-Fabrikant, starb, als Hans sechs Jahre alt war. Ein traumatisches Erlebnis, das Hans Zimmer nach eigener Aussage zu verarbeiten versuchte, indem er sich „in die Musik verkroch". Der hochbegabte Junge brachte sich das Klavierspielen selbst bei, nachdem diverse Versuche, ihm eine klassische Ausbildung angedeihen zu lassen, kläglich scheiterten. Auf seine Schulzeit schaut er heute mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück: „Ich war wohl viel zu verträumt und eigenwillig, als dass ich in dieses rigide Schulsystem gezwängt werden konnte. Meine Mutter war da manchmal schon kurz vor dem Verzweifeln. Überall flog ich raus. Ich erinnere mich noch an eine besonders schlimme Zeit in einem Schweizer Internat. Erst vor Kurzem hat mir ein ehemaliger Lehrer, der dort Dienst tat, jene Protokolle zukommen lassen, in denen nicht nur meine schulischen Leistungen, sondern vor allem auch mein Betragen dokumentiert wurde. Da sah ich schwarz auf weiß, wie falsch man mich dort eingeschätzt hat und wie ungerecht ich behandelt wurde. Das war wirklich scheußlich. Aber heute kann ich – Gott sei Dank – darüber lachen." Schließlich kam das Enfant terrible auf ein englisches Internat und machte an der Hurtwood School in Surrey sein Abitur.
Ohne weitere Ausbildung ging Hans Zimmer dann nach London und freundete sich mit englischen Musikern der New-Wave-Szene an. Und machte dort das, was ihm am meisten Spaß bereitete: Musizieren und Komponieren. Für kurze Zeit war er auch Mitglied der Band The Buggles und spielte 1979 bei dem Hit „Video Killed the Radio Star" den Synthesizer. Danach war er auch bei anderen Bands wie der Experimental-Pop-Formation Krisma, der spanischen Band Mecano und der Punk-Combo Helden als Keyboarder tätig. Um im teuren London die Miete bezahlen zu können, komponierte er fleißig diverse Werbe-Jingles und Musik zu Videoclips. 1980 lernte er in London den Filmmusik-Komponisten Stanley Myers („Die durch die Hölle gehen") kennen, der sein Mentor wurde. Mit ihm zusammen gründete Hans Zimmer das Filmmusik-Label Notefornote Music. „Von Stanley habe ich viel über Filmmusik gelernt. Er hat mich immer unterstützt und mir mit der Zeit auch immer mehr Arbeiten zugeschanzt. Das war eine sehr gute Ausbildung." 1988 komponierte Hans Zimmer dann den Soundtrack zu dem Anti-Apartheid-Film „Zwei Welten". Kurz danach engagierte ihn Hollywood-Regisseur Barry Levinson für seinen Film „Rain Man" (siehe auch Überblick zu Hans Zimmers Filmmusiken, Seite 34).
Zimmer brachte Neues in die Branche
„Dieser Film hat mir die Türen nach Hollywood weit aufgeschlagen. In dieser Zeit bin ich ständig von London nach Los Angeles geflogen – und wieder zurück, was ziemlich stressig war. Bis mich eines Tages ein Freund fragte: ‚Wie lange warst du dieses Jahr eigentlich in London?‘ Da habe ich nachgerechnet und bin auf nicht einmal drei Wochen am Stück gekommen. Das war der Punkt, an dem ich nach Los Angeles umgezogen bin." Unweit der großen Hollywood-Studios gründete Hans Zimmer dann Anfang der 90er-Jahre in Santa Monica gemeinsam mit Jay Rifkin das Studio „Media Ventures". Und suchte sich nach und nach einen festen Stamm hervorragender Musiker zusammen, mit denen er in den kommenden Jahren viele seiner Soundtracks einspielte. Zimmer gilt in der Musikbranche auch als Pionier, der die Computertechnologie, Elektro-Keyboards und Synthesizer mit der klassischen Orchestertradition verbunden hat. Darauf angesprochen, kommt er ins Schwärmen: „Wissen Sie, ich habe in Hollywood noch den Luxus, mit einem echten Orchester zusammenzuarbeiten. Das ist wirklich ein großes Glück. Heutzutage kann sich ja kaum noch jemand ein Orchester leisten. Längst vorbei sind die Zeiten, als der Kronprinz oder die Kirche noch ein Orchester gefördert haben. Was wäre wohl aus Richard Wagner geworden ohne Ludwig II.? Wir in Hollywood bekommen noch ein großes Orchester finanziert. Und das hört man dann natürlich in den Aufnahmen."
„Meine erste Liebe gehört der Musik"
Einen noch tieferen Einblick in seine Musikwerkstatt will uns Hans Zimmer dann doch nicht gewähren. „Es ist aber immer sehr harte Arbeit, bis ein Sound den gewünschten Klangeffekt hat", versichert er. Und nicht immer sind die Regisseure gleich offen für seine Vorschläge: „Ich bin ja mit vielen der erfolgreichsten Hollywoodregisseure befreundet, und so funktioniert es schließlich und endlich schon, dass wir uns zusammenraufen. Aber auch da passiert es oft, dass sie mir sagen: ‚Wir wollen mal etwas ganz Neues …‘ Wenn ich ihnen dann genau das liefere, fühlt man allerdings sofort dieses Grauen – die Gesichter werden immer länger – und sie sagen, so hätten sie das aber gar nicht gemeint. Doch damit", lacht er, „kann ich gut leben."
Bei so viel Leidenschaft für die Musik bleibt das Privatleben oft auf der Strecke. Hans Zimmer war zweimal verheiratet. Aus seiner ersten Ehe – mit der Deutschen Vicky Carolin (von 1982 bis 1992) – hat er eine Tochter, Zoe, die als Model arbeitet. Mit seiner zweiten Ehefrau Suzanne hat er vier gemeinsame Kinder. Überraschend reichte er 2020 – nach fast 30 Jahren – die Scheidung ein. Seitdem ist er, wie er selbst sagt, ein „happy Single". Schon vor ein paar Jahren gestand Zimmer in einem Zeitungsinterview: „Wir Musiker sind meistens sehr schlechte Ehemänner. Denn unsere erste Liebe gehört eindeutig der Musik. Meine Frau hat es schon lange aufgegeben, dass ich jeden Abend um sieben zum gemeinsamen Dinner zu Hause bin." Am meisten freut sich Hans Zimmer darauf, dass er auch nächstes Jahr wieder mit seiner Band auf Tournee gehen wird. Unter anderem wird er erneut in Deutschland auftreten.
Und sein vorläufiges Lebensfazit? „Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück gehabt. Ohne Glück hätte ich diese Erfolge niemals feiern können. Auch deshalb habe ich viele Gründe, bescheiden zu sein."