Beim Branchentreff des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE) erklang leises Grollen ob vertaner Jahre, die aus Branchensicht längst für deren Ausbau hätten genutzt werden können. Schlimmer: Nach der Photovoltaik könnte auch Windkraft-Unternehmen das Aus drohen.
Die Forderung des Lobbyverbandes liegt auf dem Tisch: „Wir müssen die Genehmigungsverfahren vereinfachen. Da gibt uns die Bundesrepublik ein sehr gutes Beispiel mit den neuen Gesetzen", schob im Gespräch Giles Dickson der Forderung hinterher, der CEO des Interessenverbands Wind-Europe, dem 400 Unternehmen der europäischen Windindustrie angehören. „Mit dem Prinzip des überragenden öffentlichen Interesses zum Beispiel." Die Europäische Kommission gebe den Mitgliedstaaten für vereinfachte Genehmigungsverfahren gute Leitlinien vor. „Das ist sehr positiv." Giles Dickson war einer der Gäste des kürzlichen veranstalteten Branchentreffs der Erneuerbaren Energien in Berlin. Doch der Chefsprecher, die „Stimme der Windindustrie", der aus Brüssel nach Berlin gekommen war, sieht nach den Debatten um Artenschutz vor allem Finanzierungsprobleme, die als Bremsklötze zwischen die Rotorblätter der Windparks hinsichtlich der ehrgeizigen Ausbauziele der Europäischen Union gelangen könnten. „Bis 2030 brauchen wir 510 Gigawatt. Fast dreimal so viel, wie wir heute haben. In acht Jahren muss man das schaffen. Das ist wirklich sehr ehrgeizig."
Probleme bei der Finanzierung
Die größte Sorge, die die Windkraftindustrie habe, sei die Gesundheit der Lieferkette. Die EU und die Regierungen müssten sich hier einsetzen, fordert der Verbandschef. „Wir dürfen es uns nicht leisten, dass wir das zweite Mal den Fehler begehen, wie wir es eben mit der PV-Industrie gemacht haben, dass wir unsere Windenergie industriell skaliert aufbauen." Zu der Frage, ob es der Windkraftindustrie sonst ähnlich ergehen könne, wie der Solarindustrie, bei der Technologieführerschaft und 100.000 Arbeitsplätze verloren gingen, sagte Dickson: „Ich kann das nicht ausschließen. Es tut mir leid." Gelder, etwa aus dem Corona-Wiederaufbau-Programm der EU, müssten genutzt werden, um den Konzernen, die momentan unter Verlusten leiden, zu helfen neue Fabriken zu bauen. Dies sagte der europäische Windenergieverbandschef auch mit Blick auf die beabsichtigte Erhöhung der Zahl von Windkraftanlagen auf See.
Den Turbo bei den Erneuerbaren anwerfen, das treibt auch die Politiker angesichts des drohenden Gasstopps aus Russland um. Das gewachsene Bewusstsein der Dringlichkeit einer Klimaschutz-Energiepolitik betonte Wirtschaftsminister Robert Habeck. Es gehe nicht mehr um ein „Ob", sondern um das „Wie", so der Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister. „Und diese Dringlichkeit, sie ist allüberall zu spüren durch Dürre, durch Wassermangel, durch Hitzewellen, aber eben auch durch eine andere politische Kultur, durch eine andere Härte."
Es gehe darum, alle mitzunehmen, alle ernst zu nehmen und dennoch nicht im Zweifeln zu verharren, betonte der Vize-Kanzler. „Die größte, vielleicht die wichtigste Energiemengen-Reform in den letzten Jahren und Jahrzehnten" stehe nicht alleine da, sagte Robert Habeck über das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). Eingefasst durch Reformen im Energiewirtschaftsgesetz, „aber eben auch im Artenschutz und im Naturschutz-Recht beziehungsweise mit der Ausweisung von zwei Prozent der Flächen." Ziele, die jetzt landesweit umgesetzt werden müssten. Beim Artenschutz und bei der Energiepolitik habe mit diesem Gesetz eine „neue Denkschule" Einzug gehalten.
„Go to areas", in die Flächen gehen, als Stichwort: „Das wäre tatsächlich dann der nächste Schritt, den wir in Deutschland brauchen, um schnell zu genehmigen", sagte Habeck. „Eigentlich müsste es nämlich so sein: Je länger und je besser sich die Arten entwickeln, umso mehr Windkraft kann zugebaut werden." Wichtig sei: „Ein gemeinsames Interesse, dass die Windmüller versuchen, Renaturierungsmaßnahmen durchzuführen, Hilfen zu geben und nicht Angst haben, dass die Tiere, die sie dann heranzüchten, ihre nächsten Planungen verhindern." Dass dies künftig so sei, habe man aufs Gleis gebracht.
Hoffnung auf pragmatische Problemlösungen in der Energie-Krise machte auch Simone Peter, die als Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien an diesem Tag bei der Delegiertenversammlung wiedergewählt worden war. „Eine bürgernahe Versorgung mit heimischen erneuerbaren Quellen ist möglich, sicher und günstiger als das derzeitige Energiesystem. Erneuerbare senken den Börsenstrompreis in Deutschland." Auch der Wärmesektor hinke noch hinterher, das bestätigen Experten wie das Institut für Zukunfts-Energiesysteme (IZES): Wärmepumpen-Roll-out, tiefe Geothermie, gerade auch für Wärmenetze, Solarthermie und Bioenergie ersetzten russisches Gas schon heute ganz konkret, so Peter. „Das ist unser Angebot gegen kalte Wohnungen und Wirtschaftskrise", sagte die Verbandspräsidentin. Ihr Appell: „Nutzen Sie es. Es braucht den gesamten Erneuerbare-Energien-Mix. Auch, weil die Klima-Krise mit der Versorgungs- und Kosten-Krise zusammenzudenken ist."
Die gute Nachricht sei: „Wir hier wissen, wie Deutschland energiesouverän werden kann" sagte Peter. „Erstens: Energiewende, jetzt erst recht. – Angesichts der Energie-Krise legen wir den Ausbauturbo ein und entfesseln alle Erneuerbaren." Knapp seien nicht die Erneuerbaren, knapp sei die Zeit. „Dafür brauchen wir überall Flächen und einfache Verfahren." Als Zweites nannte die Verbandschefin die Wärmewende. Fossiles Gas werde hauptsächlich im Wärmebereich verbraucht. „Um energieunabhängig zu werden, müssen wir die erneuerbare Wärmewende anpacken."
Die Industriestrategie sprach Peter als dritte Maßnahme an: „Damit der Wirtschaftsstandort Deutschland und auch Europa, wieder Vorreiter werden kann, braucht es eine Strategie für Produktionskapazitäten der Energiewende entlang der Wertschöpfungsstufen – und neuer Technologien, zum Beispiel grünen Wasserstoff." Die Verfügbarkeit von Grünstrom begründe bereits jetzt manche Standortwahl: „Erneuerbare Energien sind schon heute ein Wettbewerbsvorteil. Wer schneller ausbaut, der hat die Nase vorne", sagte Peter.
Klare Absage an Atomkraft
Mit Blick auf die Lausitz, in der Energie immer ein Garant für Wohlstand und Arbeit gewesen sei, erläuterte die Verbandspräsidentin die Chancen des Strukturwandels in der Region: „Die Kohle geht, die Erneuerbaren kommen. In Zukunft werden damit weiter heimische Energien für Wohlstand sorgen." Ehemalige Kohlebeschäftigte würden in einem Qualifizierungsverbund mit LEAG und anderen weitergebildet, um deren wertvolle Kompetenzen für die Energiewirtschaft von morgen zu nutzen.
Matthias Stark, Leiter des Fachbereichs Erneuerbare Energiesysteme beim BEE, verwies auf die aktuelle Studie des Verbandes zum Strommarktdesign. Stark riet zu einem umfassenden Blick darauf, was Atomkraft beispielsweise auch den Steuerzahler koste und warf im Gespräch auch ein Spotlight auf die Einbeziehung von Kommunen bei den Gewinnen aus den Erneuerbaren.
Von wachsendem Strombedarf in den 2020er-Jahren und einer weiteren Verdoppelung des Energiebedarfs bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts sprach Bundeskanzler Olaf Scholz. Mit den Ursprungsenergien Sonne, Wind und Wasser führe der Weg „irgendwie auch zurück in die Zukunft". Jedes Windrad, jede Photovoltaikanlage, jede Biomasse-Anlage sei ein Schritt auf dem Weg dahin, dass Energieversorgung unabhängiger und nachhaltiger werde, dass sie sicher und bezahlbar sei und bleibe.
Deshalb habe die Bundesregierung in den vergangenen Wochen die größte Gesetzesnovelle im Energiebereich in der Geschichte dieses Landes auf den Weg gebracht. Mit Frühjahrs- und Sommerpaketen habe sie die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass der Ausbau der Photovoltaik sowie von Wind an Land und Wind auf See verbessert und massiv beschleunigt werde. Herbstpakete sollen folgen.
Einem Revival der Kernenergie erteilte Scholz eine klare Absage, betonte vielmehr, dass es der Ausbau der erneuerbaren Energien sei, der „im überragenden öffentlichen Interesse" liege.
Die Weichen sind also gestellt. Die Branche aber hat es nicht komplett selbst in der Hand, ob die hehren Ausbauziele in dieser knappen Zeit erreicht werden.