Tierschutz und Mitgefühl mit nicht menschlichen Lebewesen seien ein wichtiger Baustein für eine sozial-ökologische Transformation. Das meint Hester Pommerening, Pressereferentin und Sprecherin beim Deutschen Tierschutzbund. Ein Gespräch über Erfolge und Ziele.
Es gibt wohl Milliarden an inspirierenden Videos auf den sozialen Netzwerken oder Portalen wie The Dodo, bei denen man sieht, wie sich Menschen rührend um Tiere aller Art kümmern. Macht Ihnen dieser Einsatz von so vielen Ehrenamtlern mehr Mut, als schlimme Nachrichten über Tierquälerei, Animal Hoarding oder sonstige Respektlosigkeiten Sie traurig machen?
Also zum einen glaube ich generell daran, dass Mitgefühl und Liebe einfach mächtiger und größer sind als Gewalt und Hass und Quälerei von Tieren. Ich glaube, sonst könnte man auch gar nicht im Tierschutz arbeiten. Aber gerade bei süßen Tier-Videos im Internet muss man auch ein bisschen aufpassen. Da kann es sich auch mal um Profitmacherei handeln, also dass Rettungsaktionen gefakt sind. Nicht jedes süße Tier-Video ist auch wirklich ein inspirierendes Beispiel für guten Tierschutz.
Wo ich die Inspiration eher herziehe, ist durch die Arbeit der uns angeschlossenen Vereine. Wir sind der Dachverband der deutschen Tierschutzvereine. Die Tierheime haben über 700 Mitgliedsvereine, über 550 Tierheime, die den Vereinen angeschlossen sind. Ich bekomme über den Verband ganz viel mit, wenn man beispielsweise auch mal selbst ein Tierheim besucht. Das ist die Arbeit, wo Menschen mit Herzblut, oft ehrenamtlich und mit ganz viel Leidenschaft wirklich Tag und Nacht alles dafür geben, dass Tieren geholfen werden kann. Das sind Menschen, die die Seele des Tierschutzes ausmachen.
Wenn ich selbst zum Schrank gehe, in dem das Katzenfutter steht, werde ich von meinen beiden Samtpfoten verfolgt und zumindest mein Kater dreht schon beinahe durch. So sehe ich direkt, dass die beiden fühlende und denkende Wesen sind. Wieso zählen Tiere erst seit 1990 nicht mehr als „Sache"?
Leider ist es gar nicht so seltsam, dass sie mal als Sache galten und dass das auch lange gedauert hat, bis das aus dem Gesetz raus war. Es gab lange die Auffassung, zum Beispiel durch Strömungen in der Verhaltensforschung, dass Tiere quasi funktionieren wie Reiz-Reaktions-Automaten. Und auch heute noch ist es gar nicht so selten, dass man Tieren abspricht, dass sie fühlende Wesen sind, die intelligente Entscheidungen treffen, die Emotionen haben. Also die Forschung ist da mittlerweile natürlich weiter, und mittlerweile wissen wir von verschiedenen Tieren, nicht nur Menschenaffen, sondern auch von Elefanten zum Beispiel, dass sie sogar ein Ich-Bewusstsein haben. Viele Regelungen, die für Sachen gelten, gelten aber übrigens dennoch auch heute noch für Tiere. So kann man bis heute Tiere besitzen, kaufen, verkaufen et cetera. Und wenn ich das Tier eines anderen verletze oder töte, zählt das neben Tierquälerei auch als Sachbeschädigung. In der Geschichte der Menschheit ging es sehr lange vor allem darum, wie man Tiere für sich nutzen kann.
Der Tierschutzbund hat nach eigener Auskunft mehr als 800.000 Mitglieder und damit mehr als doppelt so viele wie die mitgliederstärkste Partei, die SPD. Warum ist es trotz dieser Masse an engagierten Menschen so schwer, Tierschutz politisch stärker zu verankern?
Wir müssen ja die Interessen der Tiere nicht in erster Linie gegenüber Parteien verteidigen, sondern gegenüber den Interessen der Tiernutzer in unserer Gesellschaft. Und es ist im Tierschutz leider so, dass es immer nur Schritt für Schritt langsam vorangeht. Und dann ist es natürlich auch politisch schwierig, weil der komplette Bereich Tierschutz durch eine Abteilung im Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft verwaltet wird – also dort, wo es eigentlich um die Tiernutzung geht. Dem Staatsziel entsprechend muss der politische Tierschutz endlich ressortübergreifend koordiniert werden. Es wäre wichtig, dass eine Stabsstelle für Tierschutz im Bundeskanzleramt geschaffen wird, wo alle Gesetze und Verordnungen auch wirklich überprüft werden können. Das ist noch nicht so richtig in den politischen Strukturen drin.
Ist es aus Ihrer Sicht jetzt besser, da der Grünenpolitiker Cem Özdemir das zuständige Ministerium leitet?
Ja. Also zumindest, wenn man sich den Koalitionsvertrag anguckt. Da können wir die Tierschutz-Pläne der Koalition ausdrücklich begrüßen. Und wir wissen, dass gerade die Grünen auch viel im Wahlprogramm drin hatten. Für uns sieht es diesmal wirklich so aus, dass sich jemand ambitionierte Ziele gesetzt hat. Ein Bundestierschutzbeauftragter zum Beispiel, eine Novellierung des Tierschutzgesetzes. Das fühlt sich so an, als würde jetzt seit Einführung des Staatsziels Tierschutz, das war ja im Jahr 2002, sich erstmals eine Bundesregierung wirklich auf den Weg machen, dieses politische Staatsziel auch mit Leben zu füllen. Ich meine, nach Julia Klöckner konnte es im Grunde nur besser werden. Eine Ministerin, die der Industrie viel Zugeständnisse gemacht hat, viel auf Freiwilligkeit gesetzt hat. Ich denke an den Kastenstand, wo die Verordnung zum Schlechteren korrigiert und der tierschutzwidrigen Realität angepasst werden sollte, oder das Kükentöten. Da ist das Verbot letztlich gekommen. Aber bis es dazu gekommen ist, hat man sich lange davor gedrückt und darauf gesetzt, dass die Industrie technische Lösungen findet für das Problem.
Natürlich wird sich die Regierung an der Umsetzung des Koalitionsvertrags messen lassen müssen. Wir werden zur Halbzeit der Legislaturperiode schauen, was draus geworden ist. Und wir werden die Regierung auch an ihren tatsächlichen Taten messen und in die Pflicht nehmen, wo nötig. Also dass zum Beispiel die Nutztierhaltung artgerecht umgebaut werden soll, dass bestehende gesetzliche Lücken geschlossen werden sollen, Lebend-Tiertransporte in Drittstaaten beschränkt werden sollen. Oder mit der verbindlichen Tierhaltungs-Kennzeichnung, wo es sicherlich noch deutliches Verbesserungspotenzial gibt, jetzt aber erste Schritte gemacht werden. Nachdem in der letzten Legislaturperiode Stillstand in allen Tierschutzbelangen herrschte, setzen wir auf jeden Fall gerade in Cem Özdemir große Hoffnung.
Sie haben gerade auch das Kükentöten angesprochen, das jetzt verboten ist. Ist das einer der größten Erfolge aus Sicht des Tierschutzbundes?
Genau. Auch wenn die Ausgestaltung des Verbots mutlos ist, Fragen offen bleiben und eigentlich ja nur an Symptomen eines kaputten Systems herumgedoktert wird. Ein großer Erfolg ist sicherlich auch, dass das Staatsziel Tierschutz ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Grundsätzlich ist es aber so, dass im Tierschutz oftmals nur Teilerfolge erzielt werden, ein Missstand immer nicht unmittelbar abgeschafft wird. Es werden Kompromisse eingegangen, es gibt lange Übergangsfristen, und das ist natürlich oft auch ein Weg, der langen Atem braucht, um voranzukommen. Umso schöner ist es, wenn dann tatsächlich so wichtige Erfolge passieren. Das Staatsziel war auf jeden Fall ein ganz wichtiger Meilenstein. Allerdings hat der Bundesgesetzgeber bis heute versäumt, ein Tierschutzgesetz zu erlassen, das dem Staatsziel entspricht. An grundlegenden Missständen in der industriellen Intensivtierhaltung, in Forschung, Zoo und Zirkus oder auch im Heimtierbereich hat sich bis heute wenig geändert.
Wäre seitens der Politik eine stärkere staatliche oder kommunale Finanzierung wünschenswert? Beispielsweise der vereinseigenen Tierheime oder Auffangstationen?
Auf jeden Fall, das fordern wir schon lange. Viele Tierheime standen schon vor Corona nicht gut da. Und jetzt konnten viele Veranstaltungen wie Tierheimfeste nicht stattfinden, wo Einnahmen, auch Rücklagen, aufgebraucht worden sind, wo Einnahmen nicht durch Spendengelder gemacht werden konnten und man jetzt wichtige Bauvorhaben vielleicht nicht umsetzen kann oder die Lage einfach noch dramatischer geworden ist.
Kurz zur Erläuterung: Tierheime, die in Trägerschaft eines Vereins stehen, müssen sich größtenteils von Spenden finanzieren, haben Mitgliedsbeiträge, Erbschaften oder Ähnliches. Und für Abgabe-Tiere und Vermittlungen gibt es oft eine kleine Gebühr, was dann aber eher eine symbolische Zahl ist. Und was die Kosten angeht, für die Unterbringung, für die Versorgung von Fundtieren, da sind eigentlich die Kommunen verantwortlich. Das ist laut Bürgerlichem Gesetzbuch im Fundrecht im § 967 geregelt, dass Gemeinden genau wie bei Fundsachen, wenn ein Fahrrad gefunden wird oder so, verpflichtet sind, das dann für sechs Monate aufzubewahren, auch bei Tieren, die ohne ihren Halter aufgefunden werden. Das fällt in dieses Recht hinein. Die Tiere müssen natürlich irgendwo untergebracht werden, sie müssen medizinisch versorgt werden. Sie brauchen Futter und eine Unterkunft. Das übernehmen oft die privaten Tierschutzvereine und übernehmen damit Aufgaben der Kommune. Ebenso, wenn Behörden Tiere beschlagnahmen.
Da muss ein Verein mit der Kommune immer einzeln verhandeln. Als Dachverband unterstützen wir natürlich, finanziell und durch Rechtsberatung. Aber trotzdem ist das schwer für die Vereine – auch, weil sie im Grunde natürlich leicht erpressbar sind. Die werden die Arbeit, die sie aus Leidenschaft und aus Liebe für die Tiere machen, nicht einfach einstellen, wenn sie keine Kostenerstattung aus öffentlicher Hand bekommen.
Wäre ein Gesetz, wie es in Spanien auf den Weg gebracht wurde, auch in Deutschland wünschenswert? Dort sind Tiere jetzt juristisch als vollwertige Familienmitglieder zu behandeln.
Das, was damit jetzt in Spanien eingeführt wurde, gilt nach deutschem Recht zum Großteil schon seit Längerem. Also dass Tiere um ihrer selbst willen schützenswert sind. Seit 1971 steht im deutschen Tierschutzgesetz in §1, dass der Mensch Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf hat. Weil Tiere Schmerzen und Leiden empfinden können, wozu auch psychische Leiden wie Angst zählen. Davor sollen Tiere bewahrt werden, darauf haben wir uns als Gesellschaft geeinigt. Seit 1990 gilt das Tier außerdem ganz klar nicht mehr als Sache. Anspruch und Realität fallen aber leider noch immer weit auseinander. Auch hierzulande müssen Tiere besser und durch konkretere Vorgaben geschützt werden, im Heimtierbereich zum Beispiel durch eine Heimtierschutzverordnung, wie wir sie fordern.
Der Tierschutzbund setzt sich auch gegen Tierversuche in der Kosmetik ein.
Der Tierschutzbund lehnt alle Tierversuche ab. Jedes Jahr sterben in Deutschland Millionen Tiere in und für Tierversuche. Elektroden werden in die Gehirne von Affen implantiert, Mäuse leiden unter Tumoren, und Kaninchen werden Substanzen in die Augen geträufelt, um zu testen, ob diese sie verätzen. Affen, Hunde, Katzen, Mäuse – sie alle leiden. Und die meisten von ihnen müssen für fragwürdige Methoden herhalten, die größtenteils im vergangenen Jahrhundert entwickelt wurden. Eine Gesamtstrategie für einen Ausstieg aus Tierversuchen ist dringend nötig. Neben Organbiochips, bildgebenden Verfahren, klinischen und epidemiologischen Forschungen gehören dazu beispielsweise auch In-vitro-Verfahren.
Wie kann ich als Einzelner mich im Tierschutz engagieren?
Wer unterstützen mag, ruft am besten einfach mal im Tierheim vor Ort an und fragt, was gebraucht wird.