Die Deutschen sind es nicht mehr gewohnt, sich einzuschränken
Die Spree fließt rückwärts, die italienischen Eisdielen verlangen jetzt zwei Euro pro Kugel, die Schwimmbäder senken die Wassertemperatur und Bock auf Politik hat keiner mehr. Ausgerechnet jetzt – der Sommer ist da, die Lebensfreude kehrt zurück, die Corona-Pandemie ist vorbei (denkt jeder) – fordert uns die Regierung auf, Energie zu sparen, den Wasserverbrauch einzuschränken und das Licht zu dimmen. „Regelmäßig das Eisfach abtauen, Duschkopf wechseln oder in Büros die Beleuchtung auf LED umstellen", rät Energieminister Robert Habeck. „Wenn viele das machen, bringt das in der Summe wirklich was."
Duschköpfe gegen Putin, spotteten alle, aber tatsächlich bringen die Maßnahmen was. Alles ist Energiepolitik. Aber es wird nicht reichen, die Gasspeicher zu füllen, wenn aus Russland zu wenig kommt – oder gar nichts mehr. Im Sommer beträgt der Verbrauch der privaten Haushalte ohnehin nur zehn Prozent der Gasmenge.
Habeck hat inzwischen die zweite Stufe seines Notfallplans gestartet, die Alarmstufe. „Gas ist nun ein knappes Gut in Deutschland", sagt er. Geht es jetzt wirklich zur Sache? Reserve-Kohlekraftwerke sollen die Stromerzeugung aus Gaskraftwerken ersetzen, was die Grünen extrem „schmerzt" (Habeck), aber sie seien als Übergang nötig.
Gaskraftwerke selbst galten mal als Brückentechnologie in eine CO2-arme Zukunft. Sie haben gegenüber anderen Kraftwerkstypen den Vorteil, dass sie innerhalb kürzester Zeit von Stillstand auf Volllast hochgefahren werden können. Sie eignen sich deshalb besonders für die Abdeckung von Lastspitzen. Für den Bau sind die Investitionskosten gering, doch der laufende Betrieb verschlingt jede Menge Gas. Denn sie haben einen niedrigen Wirkungsgrad und lohnen sich erst, wenn die Gas- mit Dampfturbinen gekoppelt werden. Mit Putins Erdgaspolitik sind die Gaskraftwerke erledigt.
Friedrich Merz (CDU) geht noch einen Schritt weiter und regt an, die drei verbliebenen Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Und die SPD will endlich ein Tempolimit … aber nein, das hat keiner in die Diskussion gebracht. Obwohl sich durch ein Tempolimit gewiss mehr einsparen ließ als durch neue Duschköpfe.
Jetzt sind die Deutschen es ja gewohnt zu sparen. Statistisch gesehen hat kein anderes Volk in Europa mehr auf der hohen Kante. Der Konsumklima-Index zeigt nach unten. Aber Preise hin oder her: Die Schlange vor der Eisdiele reißt nicht ab. Die Wirtshäuser und die Biergärten sind voll, ohne Reservierung hat man wenig Glück. Und gefahren wird, als wären die Spritpreise nicht auf einem historischen Hoch. Die Sendung plus/minus hat nachgezählt: Der Autoverkehr auf den wichtigsten Strecken ist nicht weniger geworden, die Durchschnittsgeschwindigkeit auch nicht. Wie passt das zusammen?
Habecks Appelle – „Die Lage ist ernst, der Winter wird kommen" – und seine Alarmstufe – „Gas ist von nun ein knappes Gut in Deutschland" – bewirken (noch) nichts. Sie erreichen eine Gesellschaft nicht, die sich seit 30 Jahren nicht mehr einschränken musste. Und hat der Staat mit den in Aussicht gestellten 300 Euro Energiezuschuss nicht die Hoffnung geweckt, er werde das schon wieder ausgleichen? Da hat der Wirtschaftsminister aber einen Riegel vorgeschoben: Wenn jeder denkt, er bekomme noch 50 Euro dazu, wenn er spart, sei das falsch. „Die kriegst du nicht, Alter!", so Habeck.
1973, als die OPEC den Ölpreis pro Barrel von drei auf zwölf Dollar anhob und gleichzeitig damit drohte, die Fördermenge jeden Monat um fünf Prozent zu kürzen, war die Gesellschaft besorgter als heute. Die vorübergehende Einführung des Tempolimits und die vier autofreien Sonntage machten gewaltig Eindruck. Einen Ausgleich? Gab es nicht. Heute scheint niemand so recht wissen zu wollen, wie ernst die Lage wirklich ist. Die Botschaft ist noch nicht angekommen: Wir steuern in eine Wirtschaftskrise, in der es eher Zumutungen als Wohltaten geben wird.