Mit der Flutung des letzten Abschnitts in Beilngries am 31. Juli 1992 wurden die 32 Jahre dauernden Bauarbeiten am Main-Donau-Kanal abgeschlossen. Es war aus ökologischer wie wirtschaftlicher Sicht ein höchst umstrittenes Prestigeprojekt des Freistaates Bayern.
Brütende Hitze lag am 31. Juli 1992 über dem oberbayerischen Beilngries – was aber Tausende von Schaulustigen nicht davon abhalten konnte, sich an jenem Freitag im Altmühltal einzufinden. Schließlich galt es, beim historisch wohl wichtigsten Tag der Gemeindechronik Denkwürdiges zu feiern. Der „Donaukurier“ sprach rückblickend sogar davon, dass Beilngries durch die Flutung des letzten Abschnitts des Main-Donau-Kanals „das große Rad der Weltgeschichte mitgedreht“ habe. Alle örtlichen Bäcker und Metzger schleppten ihre Waren zu den Festwiesen, wo die Ehrengäste mit dem bayerischen Wirtschaftsminister August Lang an der Spitze zudem von einem Catering-Unternehmen mit einem exklusiven Menü verwöhnt wurden.
Die befürchteten Protestaktionen von Seiten der Gegner des umstrittenen Großprojekts blieben aus, einzig mit einem schwarzen, auf dem Wasser treibenden Sarg hatten die Kanal-Kritiker ein kleines Zeichen ihres Widerstands setzen wollen. „Wenn da und dort auch negative Betrachtungen zum Main-Donau-Kanal aufgetreten sind“, so Bürgermeister Willy Muschaweck in seiner Festtagsrede, „so darf ich dem Träger versichern, dass eine breite Bevölkerungsschicht und der Stadtrat dem Projekt positiv gegenüberstehen.“
Kein Wunder, hatten viele bayerische Anliegergemeinden der neuen, 171 Kilometer langen Schifffahrtsstraße doch finanzielle Vorteile für sich aushandeln können. Beilngries hatte beispielsweise durch den Verkauf eines größeren Waldstücks an die beim Kanalbau federführende Rhein-Main-Donau AG (RMD) einen erklecklichen Millionenbetrag erhalten, mit dem unter anderem das lokale Seniorenzentrum eröffnet werden konnte. Die Gesamtkosten summierten sich auf 4,7 Milliarden D-Mark, wovon auf Bayern ein Drittel, auf den Bund zwei Drittel entfallen waren.
An sämtlichen Stammtischen der involvierten Region soll ständig darüber gefeixt worden sein, welche Gemeinde während des im Juni 1960 begonnenen und bis zur Fertigstellung 32 Jahre laufenden Projekts wohl am meisten vom Kanalbau profitiert hatte. Was übrigens ganz im Sinne der politisch Verantwortlichen im Freistaat Bayern war, weil einer der frühen Protagonisten, nämlich Hanns Seidel, zunächst als Wirtschafts- und Verkehrsminister, zwischen 1957 und 1960 dann auch als bayerischer Ministerpräsident, die Idee einer leistungsfähigen Wasserstraße im Herzen Europas als absolute Notwendigkeit bezeichnet hatte, um die „strukturell benachteiligten Gebiete Ostbayerns“ aufzuwerten. Die RMD hatte noch vor Beginn des Projekts den Kanal in einer Werbebroschüre als „die einzige Möglichkeit für Bayern, sich seinen Anteil an der Arbeit des deutschen Volks zu sichern“ bezeichnet.
Offizieller Startschuss 1960
Nach Überwindung der Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges hatte in der Bundesrepublik ein unglaublicher Modernisierungsprozess eingesetzt. Was den noch immer stark bäuerlich geprägten Freistaat Bayern auf der Suche nach einer neuen, zeitgemäßen Identität zu einem grundlegenden Umdenken zwang. Dem schnellen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur wurde dabei eine ganz zentrale Rolle beigemessen. Zunächst konzentrierte man sich auf die Eisenbahn und das Straßennetz, doch dann rückte auch das uralte Konzept einer Wasserverbindung von Main und Donau wieder in den Fokus der bayerischen Staatskanzlei.
Schon Karl der Große hatte davon geträumt, musste aber im Jahr 793 nach ersten Spatenstichen und winzigen Erfolgen, die heute noch als Fossa Carolina oder Karlsgraben bewundert werden können, das ambitionierte Vorhaben aufgeben. Es sollte bis ins späte 17. Jahrhundert dauern, bis erneut Pläne über eine direkte Verbindung von Rhein und Donau durch einen Kanal in intellektuellen Kreisen erörtert wurden.
Doch konkrete Resultate sollte es erst dank König Ludwig I. geben, auf dessen Anweisung hin der gut 172 Kilometer lange „Ludwig-Donau-Main-Kanal“ zwischen Bamberg und Kelheim in den Jahren 1836 bis 1845 fertiggestellt wurde. Die erhoffte Wirtschaftlichkeit sollte sich vor allem wegen der haushoch überlegenen Eisenbahn nicht einstellen, auch war der Kanal für die zunehmend größer werdenden Schiffe zu schmal geschnitten.
Der Kanal verlor schnell an Bedeutung, auch wenn der Frachtschifffahrtsbetrieb endgültig erst 1950 eingestellt werden sollte. 1892 wurde der „Verein zur Hebung der Fluss- und Kanalschiffahrt in Bayern“ gegründet, der Lobbyarbeit für eine Großschifffahrtsstraße zwischen Main und Donau betrieb. Das gleiche Ziel verfolgte die 1921 in München etablierte „Rhein-Main-Donau-Aktiengesellschaft“. Doch erst die Nationalsozialisten nahmen auf Betreiben von Hermann Göring ab 1938 erste Vorarbeiten für den Kanalbau in Angriff, mussten jedoch kriegsbedingt 1943 wieder damit aufhören.
Schon 1947 erhielten der Freistaat Bayern und die RMD die Erlaubnis, die Arbeiten wieder aufzunehmen. Allerdings wurde der Kanalbau wenig später als Teil eines Binnenschifffahrts-Gesamtkonzeptes eingeordnet, das zuvor die Erweiterung von Main und Donau zu Großschifffahrtsstraßen und die Errichtung von Wasserkraftwerken zur Elektrizitätsgewinnung vorgeschrieben hatte. Laut dem „Historischen Lexikon Bayerns“ wurden aber schon 1959 parallel zur Main-Kanalisierung erste Arbeiten am Main-Donau-Kanal zwischen Bamberg und Nürnberg aufgenommen, der offizielle Startschuss erfolgte im Juni 1960.
Frachtzahlen unter Erwartung
Erklärtes Ziel des Gesamtkonzeptes war es, eine durchgehende, 3.500 Kilometer lange Großschifffahrtsstrecke zu schaffen, die von der Rheinmündung in die Nordsee bei Rotterdam bis ins Schwarze Meer beim rumänischen Constanta reichen sollte. Die 171 Kilometer des Main-Donau-Kanals von Bamberg und Forchheim über Nürnberg, das Altmühltal und das Mittelgebirge des fränkischen Jura bis nach Kelheim bildeten dabei nur einen von vier Teilabschnitten. Das Nordstück von Bamberg bis Nürnberg wurde bis 1972 fertiggestellt.
Für die südliche Streckenführung von Nürnberg bis Kelheim brauchte man hingegen weitere 20 Jahre, in denen sich ab Mitte der 1970er-Jahre mit dem wachsendem Umweltbewusstsein in der Bevölkerung reger Protest gegen die Zerstörung von naturbelassenen Landschaften vor allem im Altmühltal zu formieren begann. Eine bei der Dimension dieses Projekts eigentlich selbstverständliche Kosten-Nutzen-Analyse wurde nie erstellt. Sie wäre wohl kaum im Sinne der bayerischen Kanal-Befürworter ausgefallen. Ministerpräsident Alfons Goppel hatte in seiner Funktion als RMD-Aufsichtsratsvorsitzender in den Siebzigern den „Grundsatz der Kostendeckung“ für den neuen Kanal als nicht anwendbar deklariert: „Sollen sich auch demnächst noch die Schulen rentieren?“
In Planspielen war schon 1969 ein Frachtvolumen von jährlich 18 Millionen Tonnen genannt worden, eine reine Fantasie-Zahl, die später niemals auch nur annähernd erreicht werden sollte. Im Rekordjahr 2000 wurden 8,53 Millionen Tonnen Fracht erreicht, im Mittel sollte sich der Wert bei gut sechs Millionen Tonnen einpendeln. Gegen den Siegeszug des Lkw-Verkehrs hatten die zwar billigeren, aber vergleichsweise langsamen Frachtschiffe keine Chance, zumal größere Containerschiffe wegen der teilweise nur sechs Meter hohen Kanalbrücken die Strecke gar nicht befahren können. Angesichts sich drastisch leerender öffentlicher Kassen wollte SPD-Verkehrsminister Volker Hauff den Kanalbau Anfang der 1980er-Jahre komplett einstellen und hatte das Projekt als „so ziemlich das dümmste Bauwerk seit dem Turmbau zu Babel“ bezeichnet.
''
Nach dem Regierungswechsel konnte Ministerpräsident Franz Josef Strauß den Weiterbau jedoch in einer geheimen, sogar von der konservativen „FAZ“ als „Kanal-Kumpanei“ deklarierten Absprache mit Kanzler Helmut Kohl durchsetzen. Kritikern hielt Strauß noch 1986 vollmundig entgegen: „Der Rhein-Main-Donau-Kanal wird dieselbe Bedeutung haben wie der Panamakanal und der Suezkanal.“
Wichtige Wasserversorgung
Schönes Wunschdenken, denn aus wirtschaftlicher Sicht gilt der Main-Donau-Kanal heute laut der „Süddeutschen Zeitung“ als „ein kompletter Fehlschlag“. Auch die ökologische Bilanz wird von Naturschützern wegen der Zerstörung von Biotopflächen, Feuchtgebieten und Kulturlandschaften als „verheerend“ eingestuft. Immerhin gilt er mit seinen 16 Schleusen und der Überquerung der europäischen Hauptwasserscheide auf erstaunlichen 406 Meter über Null als Meisterleistung deutscher Ingenieurskunst. Zudem hat sich der Kanal inzwischen zu einem Magneten für Naherholungssuchende und Touristen entwickelt und profitiert stark vom Boom der Flusskreuzfahrten.
Und es gibt noch einen sogar von Naturschützern inzwischen anerkannten positiven Nebeneffekt: Der Kanal versorgt das trockene Nordbayern mit dem Wasserüberschuss aus dem südlichen Landesteil, rund 125 Millionen Liter Wasser werden pro Jahr aus dem Donaugebiet nach Franken übergeleitet und können dadurch das Austrocknen mehrerer Main-Zuflüsse in heißen Sommern verhindern. „Wobei man eine solche Leitung“, so die „Süddeutsche Zeitung“, „auch für sehr viel weniger Geld als die 2,3 Milliarden Euro Kanal-Baukosten hätte haben können“. Für Naturschützer ist der Kanal daher „die teuerste Freizeitwasserstraße und die teuerste Wasserüberleitungsstraße der Welt“.