Es gibt inzwischen nicht nur Grundschüler, die keinen anderen deutschen Fußball-Meister kennen als den FC Bayern München. Und wie immer fragen sich alle Fans: Reißt die nun zehn Jahre andauernde Siegesserie in dieser Saison?
Es war schon vor 2013 ein gängiges Zitat in der Fußball-Bundesliga: Wenn die Bayern schwächeln, musst du da sein. Soll heißen: Läuft alles normal, wird der FC Bayern München Deutscher Fußball-Meister. Und werden sie es nicht, dann entscheiden sie es quasi selbst durch ihr eigenes Schwächeln. Und dann müssen die, die bei normalem Verlauf keine Chance haben, die plötzlich aufkommende Gelegenheit auch nutzen.
In den vergangenen zehn Jahren gab es selten die Gelegenheit – und wenn, wurde sie nicht genutzt. Und so heißt der Meister seit dieser Zeit also durchgängig FC Bayern München. Zehn Jahre in Folge nun schon. Und das vor allem meist so souverän, dass es legendäre Herzschlag-Finals um den Titel wie 2001 gegen „Vier-Minuten-Meister" Schalke zuletzt gar nicht mehr gab. Sondern nur noch die Frage: Wie viele Spieltage vor dem Saisonende machen die Bayern den Titel klar? Und das sehen extrem viele als Gefahr für die Bundesliga.
Titel sind für Bayern selbstverständlich
Die boomt zwar auch nach der Corona-Geisterphase zuschauermäßig schon wieder kräftig, dennoch ist die Sehnsucht nach einem neuen Deutschen Meister abseits der Münchener extrem groß. Und selbst in und um den Verein gibt es viele, die sich wenigstens mal wieder einen echten Titelkampf wünschen. Zumal die Bayern sich ja selbst gar nicht mehr richtig freuen können, wie manche spotten. Als Bayerns Ehrenpräsident Uli Hoeneß nach dem Klassenerhalt des VfB Stuttgart am letzten Spieltag erklärte: „In Stuttgart denkt man ja, sie haben die Weltmeisterschaft gewonnen. Dabei sind sie nur nicht abgestiegen", konterte VfB-Vorstandschef Alexander Wehrle mit dem Spruch: „Wenn man die Emotionen bei den Feiern der Bayern sieht, denkt man, sie sind gerade Zehnter geworden – und nicht zum zehnten Mal Meister."
Doch nach mehr Spannung sehnt sich nicht nur der Bundestrainer – und frühere Bayern-Coach – Hansi Flick, der soeben erklärte: „Es würde uns schon guttun, wenn wir wie in England vier, fünf Mannschaften hätten, die um den Titel mitspielen könnten." Sondern auch die Bayern selbst. „Wir haben nichts gegen ein Titelrennen mit viel Spannung. Im Gegenteil", sagte Vorstandschef Oliver Kahn vor wenigen Tagen der „Süddeutschen Zeitung": „Aber am Ende mit einem Deutschen Meister FC Bayern!" Natürlich wisse er, „dass sich alle Nicht-Bayern-Fans mehr Spannung im Kampf um die Meisterschaft wünschen. Doch für die Spannung muss die Konkurrenz sorgen."
Und mit dieser Aufgabe fühlte sich Borussia Dortmund zuletzt alleine gelassen. Der BVB, 2011 und 2012 als letzter Club vor den Bayern Meister, gilt immer als die große Hoffnung der neutralen Fans. Die Dortmunder sind auch meist „Best of the rest", in den zehn Jahren der Bayern-Dominanz wurden sie sechsmal Vizemeister. Doch der scheidende Sportchef Michael Zorc sagte auch: „Es mag komisch klingen, aber es ist ein Nachteil, wenn man ständig mit der Erwartungshaltung zu tun hat, dass wir als BVB doch gefälligst die Bayern zu stoppen hätten. Das ist eine Falle."
Beim BVB wehrt man sich dagegen, als Zweiter stets als gescheitert zu gelten oder hören zu müssen, dass man das Saisonziel verpasst hätte. In Westfalen verweist man dann schon fast mantra-artig darauf, dass das Saisonziel die Qualifikation für die Champions League ist und dass der finanzielle Abstand zu den Bayern einfach so groß ist, dass niemand vom BVB den Titel erwarten dürfe. In der kommenden Saison könnten die Dortmunder aber im Kampf gegen München Gesellschaft bekommen. Bayer Leverkusen und RB Leipzig gelten gerade nach der vergangenen Saison und angesichts der Tatsache, dass sie fast alle Stars halten konnten, als gefestigt und stark. Was in Dortmund aber auch ein ganz übles Szenario möglich erscheinen lässt: Denn wenn die Bayern diese Saison tatsächlich schwächeln sollten und dann ein anderer Club als der BVB Meister würde, das wäre für die Borussen dann doch eine riesige Enttäuschung.
Bayern in der Breite wohl noch stärker
Aber fragen wir uns doch zuerst: Gibt es die Hoffnung, dass München in diesem Jahr schwächelt? Die Antwort: nur bedingt. Zwar ist mit Robert Lewandowski die Tormaschine der vergangenen Jahre gegangen. Doch mit Sadio Mané vom FC Liverpool kam ein Spieler, der zwar nicht im selben Maße als Goalgetter gilt, dafür aber als kompletter und mannschaftsdienlicherer Spieler und als einer, der vom Weltstar-Flair her ebenbürtig ist. Dazu ist der Münchener Kader in der Breite durch die Transfers der Ajax-Spieler Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui sowie das zuletzt bei Juventus Turin spielende Ajax-Eigengewächs Matthijs de Ligt bei Abgängen von Niklas Süle und Corentin Tolisso in der Breite wohl stärker geworden. Zudem wurde die Unruhe rund um den Club allgemein eher weniger. Die, die da war, bezog sich zuletzt fast ausschließlich auf den gegangenen Lewandowski.
Die Hoffnung ist also da, aber gering. Aber sind die anderen bereit? Dortmund hat durch die Transfers der drei aktuellen Nationalspieler Niklas Süle, Karim Adeyemi und Nico Schlotterbeck sowie von Salih Özcan und Sébastien Haller auf dem Transfermarkt Zeichen gesetzt. Doch der BVB hat auch Tormaschine Erling Haaland verloren und muss den Schock verkraften, dass bei dem als Nachfolger gedachten Haller kurz nach der Ankunft ein Tumor am Hoden diagnostiziert wurde. Club-Chef Hans-Joachim Watzke formulierte das Ziel im „Deutschlandfunk" vage: „Irgendwann bröckelt es, irgendwann in den nächsten Jahren kommt es zum Einsturz", sagte er dort in Bezug auf die Münchener Dominanz: „Je mehr wir es herbeischreien, desto mehr befeuern wir auch die Bayern, noch achtsamer zu sein. Aber ich glaube, dass in den nächsten drei Jahren etwas passiert, das ist mein Gefühl." Und der als sportliche Berater tätigte Matthias Sammer sagte im „Kicker": „Ich erwarte keinen Einbruch. Wenn sie nächstes Jahr wieder super sind und Meister werden, bin ich der Erste, der gratuliert."
Leverkusen schielt nach vorne
Fast schon deutlicher wird man da in Leverkusen und Leipzig. Bei Bayer, wo man die umworbenen Florian Wirtz, Patrik Schick und Moussa Diaby halten konnte, sagt Club-Chef Fernando Carro: „Irgendeinem wird es irgendwann gelingen, die Serie der Bayern zu brechen. Ich hoffe, dass es möglichst früh passieren wird. Und ich hoffe, dass wir es sein werden." In jedem Fall hätten „Dortmund, Leipzig, wir oder jetzt auch Frankfurt, die Aufgabe, diese Liga spannender zu machen. Ich würde gern Meister werden, ja. Aber wenn wir das nicht können, würde ich mir zumindest wünschen, dass wir in der Lage sind, die Liga länger spannend zu halten." Sein Kapitän und Torhüter Lukas Hradecky sagt: „Auch in der nächsten Saison gilt: Wir müssen uns weiter verbessern. Und wenn man im Vorjahr Dritter war, wird das schwer ohne einen Titel." Er sagt aber auch: „Ich sehe leider nicht, dass Bayern schwächelt. Die Hoffnung gibt man nie auf. Aber man kennt doch die Bayern. Die fangen die neue Saison wieder mit 3:0 und 4:0 an, und dann läuft es wieder." Er wolle „auch keine Kampfansagen formulieren. Wir müssen einfach mal Taten sprechen lassen. Klar ist: Wir haben in der letzten Saison 64 Punkte geholt. So viele habe ich noch nie mit irgendeiner Mannschaft in irgendeiner Liga geholt. Aber um Meister zu werden, braucht man um die 80. Das ist schon noch mal eine andere Hausnummer."
Und auch in Leipzig verspüren sie Aufbruchsstimmung nach dem Gewinn des DFB-Pokals, dem tatsächlich ersten Titel überhaupt des ambitionierten Vereins, der noch nicht mal bei seinen Aufstiegen Erster geworden war. „Was ich auf Anhieb spüre ist, dass der Pokalsieg im Verein etwas gemacht hat", sagte Trainer Domenico Tedesco in einem „Kicker"-Interview: „Ich glaube, dass es auch bei den Spielern in der DNA etwas verändert. Da ist jetzt drin: Wir können gewinnen, wir sind Siegertypen. Da wird die Brust schon breiter."
Manch einer traut sogar Europa-League-Sieger Frankfurt zu, die Bayern bei optimalem Verlauf ärgern zu können. Doch das wäre schon ein echter Sensationsmeister, und ob es solche Knaller wie Kaiserslautern 1998, Stuttgart 2007 oder Wolfsburg 2009 so schnell noch mal geben wird, scheint fraglich. Letztlich lauern aber diesmal doch drei Konkurrenten auf ein Schwächeln der Bayern. Ob sie zum elften Mal Meister werden, entscheiden die Münchener aber am Ende wohl doch wieder selbst.