Die Sommerwelle hat das Saarland ziemlich im Griff. Die Herbstwelle ist in Sichtweite. Vorbereitungen dagegen laufen, aber noch ist vieles unklar – vor allem Regelungen, die im Bund getroffen werden müssen.
Das Saarland ist Spitzenreiter. In diesem Fall aber in einer Disziplin, die eher Anlass zur Sorge geben muss. Und die hat Gesundheitsminister Magnus Jung schon frühzeitig geäußert.
Zuletzt war das Saarland das einzige Bundesland mit einer vierstelligen Inzidenz (1.063). Dabei ist seit Langem klar, dass diese Zahlen nur eine begrenzte Aussagekraft haben. Die Dunkelziffer kann, was in der Natur der Sache liegt, nur geschätzt werden. Anhand von Indikatoren erscheint es aber nicht als übertrieben, von einer deutlich mehr als doppelt so hohen Zahl Infizierter auszugehen. Schon zu Beginn der Sommerwelle hatte Jung vor Inzidenzen im vierstelligen Bereich gewarnt, gestützt auf Berechnungen und Szenarien von Experten.
Eine Sommerwelle mit derartiger Intensität ist eine neue Entwicklung in der Pandemie. Zunächst schienen die fast schon explodierenden Zahlen noch keine allzu große Besorgnis auszulösen. Die Omikron-Varianten verbreiteten sich zwar schnell, die Verläufe waren aber überwiegend milde, die Hospitalisierungsrate, also die Zahl der Corona-Patienten in Krankenhäusern, blieb auf überschaubarem Niveau. Von daher war keine Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems zu erwarten. Das war zuletzt das Kriterium für Maßnahmen gegen die Pandemie.
Allerdings gab es schon frühzeitig Warnungen vor den Auswirkungen einer anderen Entwicklung. Mit steigenden Infektionszahlen stieg auch die Zahl der quarantänebedingten Ausfälle. Besonders kleinere Unternehmen, Handwerker oder Gastronomie bekamen die Auswirkungen schnell zu spüren. Inzwischen ist das auch die Hauptsorge in den Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen. Wegen Personalausfällen mussten Stationen geschlossen, Operationen verschoben werden.
Die Entwicklung war schon früh von widersprüchlichen Diskussionen begleitet. Ende März fielen fast alle Corona-Schutzmaßnahmen. Schon damals warnte die Saarländische Krankenhausgesellschaft. Die Lage in den Kliniken sei angespannt und ein Ende dieser Anspannung nicht absehbar. Der Sozialverband VdK hielt den weitgehenden Wegfall der Maßnahmen gar für „fahrlässig". Das war Ende März, das Saarland verzeichnete offiziell eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 2.200.
Außer im öffentlichen Personennahverkehr und in Gesundheitseinrichtungen war die Maskenpflicht entfallen, viele Politiker und Verbände riefen aber dazu auf, freiwillig weiter Maske zu tragen. Es hätte zwar die Möglichkeit gegeben, auf Hotspot-Regelungen zurückzugreifen. Bundesländer kritisierten aber, dass diese Regelungen zu unklar und schwer umzusetzen seien. Die Rechtsunsicherheit verbunden mit etlichen Gerichtsurteilen, die Maßnahmen wieder gecancelt hatten, wirkte lähmend.
Im Zuge der weiteren Entwicklung wurde bereits Ende April/Anfang Mai strittig über Quarantäneregelungen diskutiert. Etliche Bundesländer verkürzten die Zeit mit dem Hinweis auf mildere Verläufe und die zunehmende Immunisierung der Bevölkerung, das Saarland blieb dabei zunächst zurückhaltend.
Anfang Mai schließlich wurde auch hierzulande die Quarantänedauer auf fünf Tage verkürzt, gleichzeitig entfiel die Testpflicht an Schulen. Minister Jung betonte aber, weniger rechtliche Vorgaben würden umgekehrt mehr Verantwortung für den Einzelnen mit sich bringen. Die Zahlen lagen Anfang Mai bei knapp unter 1.000.
Ende Mai gab es ein neues Signal der Ständigen Impfkommission (Stiko), die jetzt auch Impfungen für Fünf- bis Elfjährige empfahl. Jung appellierte daraufhin, auch Grundschüler impfen zu lassen, da es jetzt eine „sichere Entscheidungsgrundlage" für eine Impfung gebe. Die Impflust der Saarländerinnen und Saarländer hatte zu diesem Zeitpunkt aber enorm nachgelassen.
Das führt zu einem Problem, das sich zum Herbst hin weiter verschärfen wird. Bekanntlich lässt der Impfschutz mit der Zeit nach. Betrachtet man die Statistiken zu Impfungen, lässt sich leicht ausrechnen, wie die Immunisierung der Bevölkerung über die Zeitverläufe nachlässt. Für die Landesregierung ist das das Hauptargument, mit dem Aufruf zu Auffrischungs-Impfungen beziehungsweise (Booster-)Impfungen nicht nachzulassen. Das gilt insbesondere für die sogenannten vulnerablen Gruppen, vor allem ältere Menschen.
Gezielte Kampagnen im Herbst geplant
Während Erfahrungen und Statistiken zeigen, dass Menschen mit einer Grundimmunisierung durch die Bank auch eine Bereitschaft zu Boosterimpfungen zeigen (nach neueren Erkenntnissen aber auch nachlassend), hat sich an der Impflücke selbst nicht viel verändert. Die Landesregierung will mit gezielten Kampagnen im Herbst die Impfquote noch einmal erhöhen, nur fehlt dabei noch das entscheidende zusätzliche Argument zu den ohnehin bekannten und immer wieder bestätigten Schutzwirkungen von Impfungen. Die Zulassung von speziell auf Omikron angepassten Varianten lässt noch auf sich warten.
Zudem hat der Wegfall kostenfreier Bürgertests für neue Verärgerung gesorgt. Dass der Bund nicht dauerhaft die enormen Summen dafür aufbringen wollte, und das Land angesichts eigener enger finanzieller Spielräume auch nicht einspringen konnte, war vielfach noch nachvollziehbar. Es war einmal mehr die Art und Weise der Umsetzung, die Ärger auslöste, und das nicht zu knapp. Weil es erneut auf Bundesebene erst in allerletzter Minute zu einer Einigung kam, war die Vorbereitung miserabel. Mehr Transparenz über die Entwicklungen ist damit nicht erwartbar.
Was all diese Entwicklungen nun für den nächsten Pandemie-Herbst bedeuten könnten, fällt selbst Experten schwer einzuschätzen. „Der Infektionsdruck ist nach wie vor groß", betont Saar-Virologe Jürgen Rissland. Es müsse aber nicht zwingend einen Automatismus geben, der zu einer schwierigen Ausgangslage für den Herbst führen würde, also sozusagen ein nahtloser Übergang von der Sommer- zur Herbstwelle. Wesentlichen Anteil hätten die Menschen selbst. Die einfachen Schutzmaßnahmen sind bekannt. Aber es fällt natürlich vielen schwer, beim ersten Festivalsommer seit zwei Jahren ständig eine Maske zu tragen.
Derweil laufen aber bereits Debatten, dass es im Herbst wieder zu einer Maskenpflicht kommen könnte – zumindest in Innenräumen. Derartige Vorschläge werden sich noch häufen, wenn es ernst wird mit einem neuen Infektionsschutzgesetz, das das im September auslaufende derzeitige Gesetz ablösen soll.
Unabhängig davon hat Minister Jung angekündigt, nach den Sommerferien eine möglichst umfassende, landesweite und flächendeckende Testaktion im Saarland durchführen zu wollen. Das gäbe zumindest einen einigermaßen klaren Überblick.
Aktuell wird auf Bundesebene heftig darüber gestritten, die Isolationspflicht für Infizierte aufzuheben. Nur wer krank ist, also Symptome hat, solle zu Hause bleiben, fordert beispielsweise Kassenärztechef Andreas Gassen. Dann steigen die Fallzahlen, weil der Arbeitsplatz zum Risiko für Ansteckungen wird, kontert Gesundheitsminister Lauterbach. Gleichzeitig wird an die Selbstverantwortung der Bürger appelliert. Nach einer einigermaßen klaren Orientierung sieht das derzeit nicht aus.